© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/15 / 05. Juni 2015

Was bleibt?
Pegida: Die Protestbewegung hat etwas bewirkt, ist aber an ihre Grenzen gestoßen
Michael Paulwitz

Fast ein Dreivierteljahr lang hat Pegida den politischen Diskurs in Deutschland kräftig aufgemischt. Mit keinem der üblichen Disziplinierungsmittel – vom Ignorieren über die Diffamierung, von der versuchten Zähmung bis zur herablassenden Nichtbeachtung – konnten etablierte Parteien und Medien dieses Phänomen in den Griff bekommen. Trotzdem sieht es so aus, als sollte der erste Pegida-„Spaziergang“ im Juni 2015 auch der vorerst letzte sein. Ein Zeichen, daß die Bewegung selbst an ihre Grenzen gestoßen ist.

Diese Grenzen liegen zum einen in der eigenen Dynamik. Als Protestbewegung, die Woche für Woche mehr Menschen auf die Straße bringen kann, hat Pegida alle, die das Volk nur als Adressaten von oben herab verfügter Belehrungen und Ermahnungen wahrnehmen, nervös gemacht. Ein Hauch von Wende lag zeitweise in der Luft. Doch selbst 25.000 Teilnehmer auf dem Höhepunkt der Dresdener Montagsdemos waren noch weit davon entfernt, zur kritischen Masse zu werden. 

Eine Bewegung, aus der sich einzelne Protagonisten herausbrechen lassen, die sich spaltet und schließlich an Zuspruch verliert, ist für die Hüter des etablierten Diskurses weit weniger zu fürchten, auch wenn zuletzt einige tausend Demonstranten, wie bei der Dresdener Pfingstmontags-Kundgebung, in Anbetracht der Umstände noch immer eindrucksvoll sind. So manche der von den üblichen „breiten Bündnissen“ aufgestellten Staatsdemos bringen weit weniger auf die Beine.

Ohne ein konkretes und erreichbares Ziel konnte der hohe Mobilisierungsgrad auf Dauer nicht aufrechterhalten werden; das dürfte auch den Organisatoren klargeworden sein. Eine politische Kraft, mit der sie sich nach „Tea Party“-Art als Stachel im Fleisch hätte verbinden können, hat Pegida nicht gefunden. Die zeitweise Annäherung an die AfD ist wohl aus beiderseitigen Vorbehalten nicht enger geworden. Die schließlich auf den Weg gebrachte Pegida-Kandidatur zur Dresdener Oberbürgermeisterwahl ist dafür weder in Anspruch noch in Reichweite ein gleichwertiger Ersatz.

Denn Pegida ist früh auch an geographische, oder besser: Mentalitäts-Grenzen gestoßen, die verhindert haben, daß aus dem aufsehenerregenden Dresdener Aufbegehren eine ganz Deutschland mit gleicher Intensität erfassende Bewegung werden konnte. Die meisten der zahlreichen Anläufe, Ableger in anderen Städten zu bilden, sind kurzlebige Fragmente geblieben, selbst die Leipziger Variante Legida. 

Vor allem im Westen der Republik, wo die Multikulturalismus- und „Kampf gegen Rechts“-Propaganda schon länger und tiefer in die Köpfe eingedrungen ist, die „Nazi“-Alarmrufe besinnungsloser geglaubt werden und die organisierten Drohkulissen eine ungleich größere Abschreckungswirkung auf die ganz normalen Leute haben. Dort kamen von Anfang an nur kleine Häuflein Dickfelliger und Unentwegter zusammen, unter die sich unvermeidlich auch schräge Gestalten und Teile des üblichen Narrensaums mischten, als ob sie die vorab verbreiteten Vorurteile im nachhinein bestätigen wollten.

Trotz alledem hat Pegida die Republik schon jetzt verändert. Wo Bürger aller Schichten aus eigenem Antrieb auf die Straße gehen, um ihrem Unbehagen Luft zu machen, wo nicht auf Geheiß und Stichwort von politischen, gesellschaftlichen und medialen Autoritäten demonstriert wird, sondern gegen deren einhelligen Widerstand, da findet das Demonstrationsrecht als Freiheitsrecht des Bürgers gegenüber der Obrigkeit seinen eigentlichen Sinn, da haben Tausende, Zehntausende eine demokratische Urerfahrung gemacht und einen Gemeinschaftssinn erlebt, der sich vervielfachend fortwirkt.

Der offene Vertrauensentzug eines signifikanten Teils der Bürgerschaft gegenüber der politischen und medialen Klasse ist die bleibende Leistung der Pegida-Bewegung, die Delegitimierung der Gesinnungswächter, die sich in dem bis heute von den Angesprochenen gehaßten Schlagwort „Lügenpresse“ zuspitzt, gewissermaßen ihr Vermächtnis. Wer einmal an einer Pegida-Kundgebung in Dresden teilgenommen, die Reden gehört, die Positionspapiere gelesen und den unmittelbaren eigenen Eindruck mit dem verglichen hat, was Politik und Medien daraus machen, der wird auch dann so schnell nicht wieder an das Zerrbild der Wirklichkeit glauben, das ihm in Zeitungs-, Fernseh- und Politikerphrasen vorgesetzt wird, wenn der Schwung der allmontäglichen Spaziergänge einmal nicht mehr weiterträgt.

Dieser Schrecken ist manchen Entscheidungsträgern in Regierungen und Medienhäusern ordentlich in die Glieder gefahren. Daß sich die Diskursgewichte verschoben haben, daß Asylmißbrauch und Islamisierung zumindest von einigen wieder als Problem erkannt worden sind, daß sich in manchen Redaktionen und Parteizentralen herumgesprochen hat, nicht jeder, der davon sprechen will, könne gleich in den „Nazi“-Topf gesteckt werden, daß ein SPD-Vorsitzender das „demokratische Recht“ anerkennt, „rechts zu sein oder deutschnational“ – das ist auch eine Leistung des Durchhaltewillens von Pegida-Demonstranten. Die Wutausbrüche von Gralshütern der reinen Lehre, die sich echauffieren, dank Pegida sei es „wieder salonfähig, etwas gegen Ausländer zu haben“, sind dafür der beste Beweis. 

Die Emanzipation des Bürgers von den Gesinnungsgouvernanten ist ein mühseliger Prozeß. Irrtümer, Fehltritte und Sackgassen gehören zu diesem Weg, auf dem Pegida neue, unübersehbare Schneisen geschlagen hat. Die Erleichterung, mit der einige der von ihr Bloßgestellten ein Abflauen der Bewegung feiern, ist daher voreilig und töricht. Der Protest hat gezeigt, wie dünn das Eis ist, auf dem sie tanzen.