© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/15 / 29. Mai 2015

Absturz mit Ansage
Spanien: Die Regional- und Kommunalwahlen wirbelten das starre Parteiensystem ordentlich durcheinander / Konservative Regierung unter Zugzwang
Michael Ludwig

Ein halbes Jahr vor den entscheidenden Parlamentswahlen im November mußte die konservative Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy, die bislang als verläßlicher und berechenbarer Partner innerhalb der Europäischen Union und der Eurozone galt, bei den Regional- und Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag eine schwere Niederlage hinnehmen. Sie stürzte von 37,5 (2011) auf 27 Prozent ab, was einen Verlust von fast 2,5 Millionen Wählerstimmen bedeutet. 

Auch die Sozialisten büßten rund 700.000 Stimmen ein und rangieren nun mit 25 Prozent auf dem zweiten Platz.

Obwohl der Partido Popular (PP) von Rajoy noch immer die stärkste politische Kraft im Land ist und die Sozialistische Partei (PSOE) mit einem blauen Auge davon kam, hat sich das politische Gefüge auf der Iberischen Halbinsel grundlegend verändert. 

Konnten bislang die beiden großen traditionellen Parteien die Geschicke des Landes mehr oder minder unter sich ausmachen, haben sie nun zwei ernstzunehmende Konkurrenten – die linksradikale Protestpartei Podemos (Wir können), die in vielen Regionen und Gemeinden Listenverbindungen mit anderen Organisationen einging und so erhebliche Erfolge erzielen konnte, und die bürgerlich-liberalen Ciudadanos (Bürger), die landesweit auf 6,6 Prozent kamen. Sowohl PP wie auch PSOE gelang es nur in Ausnahmefällen, die absolute Mehrheit zu erringen, sie sind deshalb auf Koalitionen mit den beiden Newcomern angewiesen.

Von besonderer symbolischer Bedeutung war das Ringen um die beiden wichtigsten Städte des Landes – um Madrid und Barcelona. In der Hauptstadt trat für den PP die ehemalige Bildungsministerin Esperanza Aguirre an, die als beinharte konservative Politikerin und interne Gegenspielerin Rajoys gilt. Espe, wie sie von ihren Bewundern genannt wird, wollte eigentlich der Politik Lebewohl sagen und sich aufs Altenteil zurückziehen, doch die plötzlichen Erfolge der Podemos-Partei, die sie für eine zerstörerische Bedrohung des Landes hält, ließen die 63jährige nochmals in den Ring steigen. 

Auf der Gegenseite focht Manuela Carmena mit ihrer Parteienallianz Ahora Madrid, die maßgeblich von Podemos gesteuert wird. Lange Zeit sah es nach einem Unentschieden aus, doch am Ende gewann Aguirre mit einem hauchdünnen Vorsprung – sie schaffte es, einen Abgeordneten mehr in den Stadtrat zu bringen, was ihr jedoch nichts nutzen wird, wenn, wie zu erwarten, Ahora Madrid mit den Sozialisten ein Bündnis eingehen wird. Sowohl in Madrid wie auch in vielen anderen Regionen und Rathäusern gibt es eine strukturelle linke Dominanz, die dem PP das Leben schwer machen wird.

In Barcelona schaffte es Podemos mit der Listenverbindung Barcelona en Comú, an der bisher regierenden Convergència i Unió vorbeizuziehen. Sollte es BComú, an deren Spitze Ada Colau steht, die sich durch ihr kompromißloses Eintreten gegen Zwangsräumungen von Wohnungen einen landesweiten Namen machte, gelingen, einen Linksblock zu schmieden, wäre dies ein Rückschlag für die nach Unabhängigkeit strebenden Katalanen. Sie verlören die Mehrheit im Stadtrat und damit die Kontrolle über die katalanische Metropole.