© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/15 / 29. Mai 2015

Wenn Abtreibungsfreunde Schule machen
Berlin: Eine Organisation, die Kundgebungen gegen den „Marsch für das Leben“ organisiert, unterrichtet Sexualkunde
Michael Schultz

An diesem Tag geben die Lehrer des Schul- und Leistungssportzentrums Berlin (SLZB) in den siebten Klassen keinen Unterricht. Die Schüler absolvieren statt dessen den Sexualkundeunterricht. Und dieser wird nicht von schulinternen Lehrpersonen gehalten, sondern von Pädagogen einer externen Organisation – dem „Familienplanungszentrum – Balance“. Nach eigenen Angaben eine Einrichtung, „in der sowohl Beratung als auch medizinische Hilfe angeboten wird.“ Was nach einer unpolitischen, beratenden und medizinischen Einrichtung klingt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als politisch aktive Gruppe. 

So ist das Familienplanungszentrum Balance Teil des „Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung“. Dieses organisiert die Kundgebung „Leben und lieben ohne Bevormundung“, eine Art Gegenveranstaltung zum jährlichen „Marsch für das Leben“ der Lebensschützer. Das Bündnis attestiert den Teilnehmern des „Marschs für das Leben“ regelmäßig ein „reaktionäres, christlich-fundamentalistisches Weltbild“. Die Abtreibungsgegner würden die „totale Kontrolle über Frauen und die Rekonstruktion der ‘alten Ordnung’ mit der ‘heiligen Familie’“ fordern. Zudem will das Bündnis „den uneingeschränkten Zugang zum legalen Schwangerschaftsabbruch und die Streichung des Paragraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch“, der den Schwangerschaftsabbruch in Deutschland regelt. 

Stellungnahme gegen Lebensschützer

Damit geht das Bündnis noch einen Schritt weiter als der baden-württembergische „Bildungsplan 2015“, der im Herbst beschlossen werden soll. Die grün-rote Landesregierung will damit die „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ an den Schulen verankern. Die Online-Petition „Zukunft – Verantwortung – Lernen: Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ mit rund 200.000 Unterschriften wurde im Oktober vorigen Jahres vom Landtag verworfen. In Niedersachsen fand die „Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten“ bereits Ende vergangenen Jahres mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP den Einzug in die Schulpläne. Es gehe darum, anzuerkennen, „daß die Schule einen wichtigen Beitrag zu Offenheit und Toleranz gegenüber sexuellen Auffassungen und Identitäten leisten muß“, sagte Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD).

Die politischen Überschneidungen des Familienplanungszentrums mit linken Organisationen und Parteien finden sich aber nicht nur beim eben genannten Bündnis. Auch auf der Internetpräsenz der Einrichtung wird damit geprahlt, daß die Partei Die Linke Lichtenberg „die Mitarbeiter_innen des Familienplanungszentrums für ihren Einsatz für die Rechte von Frauen in Berlin“ ehrte. Die „selbsternannten ‘Lebensschützer’ erhalten steigenden Zulauf. Vor diesem Hintergrund ist die Verleihung des Lichtenberger Frauenpreises an das Familienplanungszentrum Balance ein ermutigendes Zeichen für die Unterstützung ihrer Arbeit“, hieß es zur Begründung für die Auszeichnung.

Laut Gesetz darf ein Arzt, der die Schwangerschaftsberatung geleistet hat, keine Abtreibung an der Person vornehmen. Ebenso ist es bei beratenden Einrichtungen wie dem Familienplanungszentrum, das unter anderem von „Pro Familia“ getragen wird. Eine solche Organisation darf weder organisatorisch noch wirtschaftlich mit einer Einrichtung verbunden sein, die Abtreibungen vornimmt. Auf Nachfrage bei der Schule, ob die Eltern darüber informiert wurden, welche Personen von welcher Organisation ihren Kindern Sexualkundeunterricht geben, erhielt die JUNGE FREIHEIT bislang keine Antwort. 

Daß es sich um ein Mißverständnis handelt, ist schwer vorstellbar, besuchen doch jährlich rund 10.000 Personen die Einrichtung und nehmen doch jedes Jahr über 350 Schulklassen an sexualpädagogischen Gruppenveranstaltungen teil. Bei Balance setzt man auf Diskretion. So taucht etwa unter den häufig gestellten Fragen die Information auf, daß die Einrichtung die Eltern nicht über einen Schwangerschaftsabbruch informiere, wenn das Mädchen mindestens 14 Jahre alt sei und nach einem Gespräch mit einer Ärztin des Familienplanungszentrum entschieden werde, daß die Schwangere „selbst die Verantwortung für die medizinischen Maßnahmen treffen“ könne.