© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Der Flaneur
Drinnen und draußen
Sebastian Hennig

Durch das Strauchwerk auf der Landzunge beim Hafen bewegen sich raschelnd junge Menschen voran. Sie halten große rote Foliensäcke in einer Hand, überschauen den Boden und bücken sich zuweilen. Was die Unachtsamkeit übers Jahr zurückließ, was der Wind verwehte und verteilte, das sammeln sie achtsam wieder ein, um es einzustecken. An diesem Sonnabendvormittag findet ein großer freiwilliger Einsatz zur Entmüllung der Flußaue statt. Auf einem Klapptisch stehen unbeachtet Getränke in Flaschen und Kannen.

Die gleiche Sinnes­freude und Heimatliebe, in der Kunstgalerie wie auf der Flußaue.

Hier sind auch die Säcke erhältlich. Die Teilnehmer streifen als Paare und in kleinen Grüppchen in Rufweite über die Wiese und durchs Gestrüpp. Viele der Säcke werden bereits halbvoll hinterhergeschleift. Am anderen Ufer setzt sich das Gewimmel fort. Auch dort schleppen sie, wie Ameisen eine sperrige Beute, ihre voller werdenden Säcke hinter sich drein.

Vorüberfahrend beruhige ich mein Gewissen damit, daß von mir und den Meinen hier kein Unrat verstreut wurde. Aber es sind ja stets andere, die sammeln, als jene, die zerstreuen. Im Schließfach einer Museumsgarderobe taste ich nach meiner Mütze, die ich gestern dort vergaß. Weil ich nun einmal hier bin, betrete ich nebenan die Gemäldegalerie. Dort wird eine Sonderausstellung von zweihundert Jahre alten Landschaftsbildern gezeigt. So belebt habe ich die Räume lange nicht mehr gesehen. Die volkstümliche Stimmung von draußen setzt sich hier fort. Es liegt daran, daß der Gehalt dieser Malerei nicht verstanden, sondern lediglich empfunden werden muß. Es gibt keine Führung, und doch drängen sich die Leute um die Bilder. Man muß warten, bis einmal ein Platz zum Nähertreten frei wird.

Jene zwei Maler aus Norwegen und Pommern haben die Stadt am Fluß gemalt und ihre Umgebung, die Seitentäler mit den reißenden Bächen, lieblichen Mühlen und schroffen Felsen, wie sie heute noch bestehen. Es ist die gleiche Sinnesfreude und Heimatliebe, die auch hier in der Kunstgalerie wie auf der Flußaue ihre Augenweide findet.