© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Der Tod in den Lüften
Stromtrassen und Windräder: Gemischte Bilanz der Forschungserfolge beim Vogel- und Fledermausschutz
Dieter Menke

Das Untere Odertal, mit 293 Arten eines der vogelreichsten Gebiete Deutschlands, ist Brandenburgs einziger Nationalpark. Hier findet sich die größte deutsche Population des Wachtelkönigs (Crex crex), hier trifft man noch auf einen stattlichen Bestand der anderswo selten gewordenen Bekassine (Gallinago gallinago), und hier liegt das einzig verbliebene Vorkommen des Seggenrohrsängers (Acrocephalus paludicola). Neben dieser Bedeutung als Reservat für gefährdete Brutvogelarten war jedoch der Stellenwert des Odertals als Vogelzugstraße ausschlaggebend für die Ausweisung als Nationalpark.

Im Odertal ist der Vogelzug ganzjährig zu erleben, wobei sich das eindrucksvolle Naturgeschehen direkt am Oderstrom darbietet, den die Tiere als ihre „Hauptstraße“ favorisieren und dessen Uferstreifen sie als Rastplatz nutzen. Zur Zeit der Winter- und Frühjahrsfluten sammeln sich auf den überschwemmten Wiesen Tausende Rastvögel aus Nord- und Osteuropa, unter ihnen Kranich (Grus grus) und Singschwan (Cygnus cygnus).

Im Flug prallen die Vögel direkt gegen das Leiterseil

Aus dieser überregionalen Funktion als „Verkehrsknotenpunkt“ des Vogelzugs ergibt sich aber auch das von Ornithologen mit Sorge registrierte hohe Konfliktpotential an der unteren Oder. Denn die Freileitungen der Stromversorger konnten bei der Einrichtung des Nationalparks nicht demontiert werden. Sie bilden daher ein tückisches Hindernis, da die meisten Vogelarten wegen ihres geringen binokularen Sehfeldes horizontal gespannte Erd- und Leiterseile nur schwer oder gar nicht rechtzeitig abschätzen können. Infolgedessen fliegen viele Vögel direkt gegen das Leiterseil oder sie prallen bei Ausweichversuchen gegen die noch schlechter wahrzunehmenden, da dünneren Erdseile der Freileitungen.

In Zusammenarbeit mit Umweltschützern hat daher das Energieunternehmen 50Hertz Transmission GmbH 2013 einen Abschnitt ihrer 380-kV-Leitung, deren 13 Kilometer lange Trasse vom Umspannwerk Vierraden nahe Schwedt bis nach Gartz an der Oder verläuft, mit Vogelschutzmarkierungen ausrüsten lassen. Mit weißen und schwarzen Spiralpaaren wurden 2,4 Kilometer Freileitung unmittelbar westlich der Oder markiert.

Bei sehr mühevollen Voruntersuchungen im Jahre 2012, die zeigten, daß auch sehr kleine Vögel wie Rotkehlchen (Erithacus rubecula) und Wintergoldhähnchen (Regulus regulus) zu den Kollisionsopfern zählten, sie also gegenüber größeren Artgenossen keineswegs im Vorteil bei der Erkennung von Stromleitungen sind, ermittelten die Vogelschützer zunächst die „natürliche“ Verlustrate.

Unter Einbeziehung von Korrekturfaktoren, die berücksichtigen, daß nicht alle getöteten Vögel in die Statistik eingingen, weil Aasfresser sie rasch vertilgt hatten oder sie von Projektmitarbeitern unentdeckt blieben, registrierte man auf dem Areal vor Montage der Marker 201 Kollisionsopfer. Danach ging diese Zahl auf 38 tote Vögel zurück. Dies ergebe eine Verminderung um 81 Prozent und somit eine, wie die Forscher um die Berliner Biologin Beate Kalz erfreut vermelden (Naturschutz und Landschaftsplanung, 4/15), „hochsignifikante“ Reduktion der Totfunde. Ein solcher Erfolg sei zwar abhängig von der extrem hohen Zugvogeldichte dieses „Ausnahmegebietes“ und darum nicht auf andere Trassen übertragbar, wo die Marker nicht in vergleichbar drastischer Weise die Verlustquoten senken. An der prinzipiellen Wirksamkeit von Vogelschutzmarkierungen an Freileitungen ändere dies aber nichts.

Von wissenschaftlich ähnlich gut fundierten Aussagen können Fledermausschützer nur träumen. Obwohl alle 25 heimischen Fledermausarten streng geschützt sind und gerade jene Arten, die wie Bechstein- und Mopsfledermaus den Lebensraum Wald bewohnen, auf der Roten Liste stehen, ist die Bedrohung ihrer Populationen durch Windenergieanlagen ungenügend erforscht. Dies belegt ein von Johanna Hurst (Institut für Tierökologie, Freiburg) mit anderen Tier-

ökologen erstellter Überblick über die Diskussion von Erfassungsstandards für Fledermäuse bei Windkraftprojekten in Waldgebieten (Natur und Landschaft, 4/15). Es fehle an Methoden, mit deren Hilfe man das Kollisionsrisiko sicher prognostizieren könne. Die Höhenaktivität der Fledermäuse und damit ihre Kollisionsgefährdung in wichtigen Waldquartieren sei derzeit ebenso unerforscht wie anziehende oder störende Effekte von Windparks auf die verschiedenen Fledermausarten.

Obwohl ihre Bedrohung durch den forcierten Ausbau der Windenergie täglich zuzunehmen scheint, tappen die Forscher selbst bei der so zentralen Frage nach dem Einfluß der Kollisionsgefährdung auf die Populationsentwicklung generell wie auf den Bestand besonders bedrohter Arten noch im dunkeln, so daß effiziente Schutzmaßnahmen nach dem Vorbild der Vogelmarkierungen auf sich warten lassen.

Foto: Ein Schwarm Stare überfliegt Hochspannungsleitungen: Die Stromtrassen stellen für Vögel aller Größen ein tückisches Hindernis dar, das durch den Einbau von markierenden Spiralpaaren (kl. Bild) sehr gemindert werden kann