© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Der mißverstandene Standpunkt
Vor neunzig Jahren starb der konservative Schriftsteller Arthur Moeller van den Bruck
Karlheinz Weißmann

Die Nachricht vom Tode Arthur Moeller van den Brucks am 30. Mai 1925 nahm nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Menschen zur Kenntnis. Der „heimliche König“ (Max Hildebert Boehm) der neuen oder „Jungkonservativen“ starb zu einem Zeitpunkt, als diese politische Strömung ihre Bedeutung weitgehend verloren zu haben schien. Davor lag eine kurze Phase der Konjunktur, die Moeller zu einer Größe unter den Berliner Intellektuellen gemacht hatte, ihn allerdings auch von seinen literarischen Anfängen entfernte.

Moeller wurde am 23. April 1876 in Solingen geboren und entstammte einer bürgerlichen Familie, empfand aber für das Milieu seiner Herkunft zeitlebens eine ausgesprochene Aversion. Das war schon an seinen ersten biographischen Stationen deutlich zu erkennen: Er mußte die Schule abbrechen und das heimatliche Düsseldorf verlassen, ging nach Leipzig, dann nach Berlin und führte das Leben eines Bohémien zwischen Lektüre, Vorlesungen und dem Verkehr in Dichterzirkeln. Der Anarchist Erich Mühsam beschreibt ihn in seinen Lebenserinnerungen als Dandy von „sehr origineller Eleganz, Monokel im Auge, langer, grauer Gummimantel, Stöckchen mit silbernem Griff und hellgrauer Zylinder“. Zur Stilisierung ins Aristokratische gehörte auch die 1902 vollzogene Änderung des Nachnamens von Moeller-Bruck in Moeller van den Bruck; den Vornamen benutzte er nicht, wegen des Bezugs auf Schopenhauer, dessen „ruchlosen Pessimismus“ er verabscheute.

Das Jahr 1902 war auch deshalb von Bedeutung für Moeller, weil er, um dem Militärdienst zu entgehen, nach Frankreich floh. Seine Lebensumstände dürften erbärmlich gewesen sein, trotzdem dauerte der Aufenthalt drei Jahre an. Erst 1906 wechselte er von Frankreich nach Italien, wo er fast ein Jahr mit Theodor Däubler und Ernst Barlach verbrachte. Im Herbst 1907 kehrte Moeller nach Deutschland zurück, nachdem ihm erlaubt worden war, seinen Militärdienst verspätet abzuleisten. Er hatte unter Hinweis auf das zwischenzeitlich erscheinende, zum Schluß achtbändige Werk „Die Deutschen“ (1904–1910) alle Vermutungen hinsichtlich etwa fehlender nationaler Gesinnung ausräumen können.

Wieder im Zivilleben, verbrachte Moeller die kommenden Jahre auf Reisen, so daß er jetzt auch Skandinavien, das Baltikum und Rußland kennenlernte. Die Eindrücke, die er hier sammelte, standen im scharfen Kontrast zu den Erfahrungen, die er in Frankreich gemacht hatte. Schon in seinem 1905 erschienenen Buch „Das Théâtre Français“ wurde eine Wendung gegen Frankreich und dessen kulturellen Führungsanspruch bemerkbar. Moeller kritisierte vor allem den „Nationalcharakter der Äußerlichkeit“ und den Mangel an Authentizität.

Die Vorstellung, daß sich in den kulturellen Hervorbringungen eines Volkes dessen Wesensart zeige, spielte auch für die Konzeption der Deutschen eine wichtige Rolle. In einer merkwürdigen Spannung stand dabei die optimistische Annahme, daß die „deutsche Zeit“ noch bevorstehe und die skeptische Annahme vom zwangsläufigen Niedergang aller Kulturen, Staaten und Nationen. Moeller hat sich in dieser Phase intensiv mit organologischen wie darwinistischen Theorien beschäftigt. Er wollte unter „Jugend“ und „Alter“ aber nicht einfach biologische Tatsachen verstehen, es waren Synonyme für das Vorhandensein oder das Fehlen von Lebenskraft. Frankreich war für Moeller „alt“, verbraucht, mechanistisch, unschöpferisch, anders als Nordamerika, dessen Pioniergeist die Vorstellung nährte, ganz von vorn beginnen zu können, oder die Slawen , „die letztgekommene, die älteste und zugleich die jüngste unter den arischen Rassen“.

Die Gestaltungskraft des Preußischen bewundert

Der zuletzt zitierte Passus stammte aus dem Vorwort der Dostojewski-Gesamtausgabe, die Moeller zwischen 1906 und 1920 für den Piper-Verlag besorgte. Die Begegnung mit Dostojewski war für ihn einschneidend. In ihm entdeckte er nicht nur einen großen Schriftsteller, sondern mehr noch einen politischen Denker, dessen Vorstellungswelt wie seine eigene vom Zusammenspiel zwischen konservativen und revolutionären Faktoren bestimmt war. Gleichzeitig machte sich ein stärkeres Interesse an Hegel bemerkbar, das seinen Niederschlag vor allem in dem 1916 erschienenen Buch „Der preußische Stil“ fand. Moeller verknüpfte hier kunst-, das heißt vor allem architekturgeschichtliche mit kulturtheoretischen Überlegungen auf ungewohnte Weise. Ganz im Zentrum stand dabei die Bewunderung für die Gestaltungskraft des Preußischen. Preußen war für Moeller in jeder Hinsicht antiromantisch, die Gegenposition zu jener „ghibellinisch-mystischen Selbsttäuschung“, in der befangen die Deutschen seit dem Verfall der staufischen Macht lebten. Eine Argumentation, die auch die Schärfe von Moellers Kritik an Wilhelm II. verständlich macht, den er schon im 1909 erschienenen dritten Band der Deutschen unter die „scheiternden Deutschen“ eingereiht hatte.

Der Hinweis darauf ist deshalb wichtig, weil man Moellers Ablehnung der 1919 gegründeten Republik nicht als Ausdruck politischer Nostalgie mißverstehen darf. Moeller war nicht „reaktionär“ in einem oberflächlichen Sinn, er hat sogar mehrfach Bereitschaft bekundet, Frieden mit den Revolutionären zu schließen, wenn diese denn bereit gewesen wären, ihre Hauptaufgabe zu erfüllen: die „Nationalisierung der Demokratie“ zum Zweck der Wiederherstellung Deutschlands.

Daß diese Wiederherstellung möglich sei, hat Moeller trotz der Niederlage 1918 geglaubt. Zwar klingt der Enthusiasmus, mit dem er in der Vorkriegs- und dann in der Kriegszeit als Mitarbeiter der Propagandastelle der Obersten Heeresleitung von einer großen Zukunft des Reiches sprach, nur noch sehr gedämpft, aber er stürzte sich in den wenigen Jahren, die ihm verblieben, mit seiner ganzen Energie in die politische, genauer müßte man sagen meta-politische Arbeit. Im Zentrum stand dabei der Kampf gegen Versailles. In seinem kurz nach Kriegsende erschienenen Buch „Das Recht der jungen Völker“ (1919) hatte Moeller noch an den US-Präsidenten Wilson appelliert, die Wesensverwandtschaft von Deutschen und Nordamerikanern zu erkennen und den Konflikt als Schiedsrichter zu beenden. Allerdings rechnete er schon mit dem Scheitern solcher Hoffnungen, was dann die Bereitschaft erklärt, trotz seines prinzipiellen Antikommunismus über die Möglichkeit einer zukünftigen deutsch-russischen Zusammenarbeit nachzudenken. Moeller begrüßte ausdrücklich den Vertrag von Rapallo, und wichtig war für diesen Zusammenhang auch die Debatte mit dem Emissär der Komintern, Karl Radek, über einen nationalen „Schlageter-Kurs“ der KPD.

Unterscheidung zwischen Links und Rechts aufheben

Hatte Moeller noch im „Recht der jungen Völker“ die Unumgänglichkeit der „Demokratisierung“ anerkannt und gleichzeitig die Anverwandlung der Demokratie für notwendig erklärt, so war die Sondierung einer „national-bolschewistischen“ Option wie die Erwägung einer kommissarischen Diktatur aus politischer Verzweiflung geboren, die den Gebrauch verzweifelter Mittel legitim erscheinen ließ. In diesen Zusammenhang gehört auch der Kontakt Moellers zu Hitler als Führer der im Aufbau befindlichen NSDAP, der allerdings rasch und mit einem Eklat endete. Moeller war über das Auftreten Hitlers entsetzt und kommentierte es mit den Worten: „Der Kerl begreift’s nie.“

Die Distanz zu den Nationalsozialisten lag nicht zuletzt darin begründet, daß Moeller überhaupt an eine Neufassung des Konservatismus dachte. Seit 1921 waren in der Zeitschrift Gewissen Beiträge von ihm veröffentlicht worden, die als Vorarbeiten für das Buch „Das dritte Reich“ (1923) dienten. Darin hieß es in klarer Abgrenzung zu den Vorstellungen der klassisch-konservativen Theoretiker: „Wir wollen nicht die Revolution weitertreiben, sondern die Ideen der Revolution, die in ihr lagen und die sie selbst nicht verstand. Wir wollen diese revolutionären Ideen mit den konservativen verbinden, die sich immer wieder herstellen, und wollen sie konservativ-revolutionär dahin treiben, wo wir Zustände erreichen, bei denen wir wieder leben können.“ Durch einen so verstandenen Konservatismus sollte die alte Unterscheidung zwischen Links und Rechts aufgehoben werden. Moeller hatte deshalb ursprünglich vor, das Buch „Der dritte Standpunkt“ zu nennen.

Das „dritte Reich“ war aber als Titel attraktiver, und der wurde in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre zur Chiffre, für manche auch zum mobilisierenden „Mythos“. Aber diese Resonanz seines Werkes erlebte Moeller nicht mehr. Kurz nach Erscheinen seines letzten Buches erkrankte er schwer und erlitt im Herbst 1924 einen Nervenzusammenbruch. Was die Ursache des seelischen Verfalls war, ist mit Sicherheit nicht zu sagen. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus und einer Phase scheinbarer Besserung seines Gesundheitszustands nahm er sich in einem Moment der Verdüsterung das Leben.