© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Roms Rachefeldzug
Sechs Jahre nach der verheerenden Niederlage gegen Arminius kehrten die Römer nach Germanien zurück
Wolfgang Kaufmann

Im Jahre 12 v. Chr. faßte der römische Kaiser Augustus den Entschluß, die germanischen Gebiete zwischen Rhein und Elbe zu annektieren. Allerdings kam es während der hierzu erforderlichen Feldzüge zu einer katastrophalen Niederlage seiner Truppen: 9 n. Chr. vernichteten die Germanen unter der Führung des Cherusker-Fürsten Arminius sämtliche drei Legionen des Publius Quinctilius Varus – und damit immerhin ein Achtel des römischen Heeres. Deshalb wird die Schlacht bei Kalkriese häufig als das Ende der Bemühungen hingestellt, Germania Magna ins Imperium Romanum einzugliedern. Tatsächlich jedoch gingen die Römer bereits fünf Jahre später wieder in die Offensive, nachdem Tiberius auf den Kaiserthron gelangt war und seinen Neffen, Adoptivsohn und präsumtiven Nachfolger Nero Claudius Germanicus als Oberbefehlshaber am Rhein bestätigt hatte.

Am Anfang stand dabei eine Meuterei der vier Legionen in Niedergermanien, in deren Verlauf Germanicus zum Gegenkaiser ausgerufen werden sollte. Dieser blieb jedoch loyal und startete umgehend Strafexpeditionen gegen den Stamm der Marser an Ruhr und Lippe – offiziell wegen dessen Teilnahme an der Varusschlacht, tatsächlich aber ging es ihm darum, die Legionen zu beschäftigen und abzulenken. Das erklärt dann auch deren ausgesprochen brutale Kriegführung, welche offensichtlich der Aggressionsabfuhr diente.

Dem folgte die gründlicher vorbereitete Großoffensive von 15 n. Chr., deren Zweck nun wieder darin bestand, das Gebiet bis zur Elbe unter römische Kontrolle zu bringen. Hierbei gelangten jetzt sogar acht Legionen zum Einsatz, wobei vier davon zu einem zweiten Truppenkontingent gehörten, das vom Legaten Aulus Caecina Severus kommandiert wurde.

Germanicus brach Feldzug auf Wunsch des Kaisers ab

Aufgrund günstiger Wetterbedingungen gelang es Germanicus schon im zeitigen Frühjahr, vom Castellum apud Confluentes (später Koblenz) in die germanischen Siedlungsgebiete im Raum um das heutige Fritzlar vorzustoßen. Dort zerstörte er Mattium, das gegenwärtig immer noch nicht sicher lokalisierte politische und religiöse Zentrum der Chatten, um die selbigen ebenfalls für ihre Beteiligung am Kampf gegen Varus zu maßregeln. Danach erreichte ihn ein Hilferuf von Segestes, einem weiteren Fürsten der Cherusker, der jetzt plötzlich Krieg gegen Arminius führte, weil dieser Segestes’ Tochter Thusnelda entführt und geschwängert hatte. Aufgrund der römischen Intervention konnte der belagerte Stammesführer noch im Mai entsetzt werden.

Hierdurch beflügelt, wandte sich Germanicus gegen die Brukterer im Raum zwischen Ems und Weser. Diese mußten vor weiteren Feldzügen gegen die Cherusker ausgeschaltet werden, weil sie ansonsten in der Lage gewesen wären, den Legionen in den Rücken zu fallen. Und wieder war das Kriegsglück auf der Seite Roms, diesmal besonders wegen des engagierten Einsatzes eines Truppenkontingents unter Lucius Stertinius. Danach konnte Germanicus im Spätsommer bis zum Schauplatz der Varus-Schlacht vorrücken. Dort sorgte er dafür, daß manche der auf freiem Felde bleichenden Knochen der Gefallenen des Jahres 9 eine würdevolle Bestattung erhielten.

Kurz darauf lockte Arminius, der inzwischen auch die Chatten und Angrivarier sowie weitere Stämme um sich geschart hatte, die Römer in die Falle, woraus sich ein Gefecht entspann, welches zwar unentschieden ausging, Germanicus aber trotzdem zum Rückzug veranlaßte. Allerdings sollten die vier Legionen des Caecina Severus während desselben noch den Dammweg an den sogenannten „Langen Brücken“ instandsetzen. Dabei kam es südwestlich der Ems zum zweiten Zusammentreffen mit dem Heer des Cheruskers, das für die Römer zunächst einen ganz ähnlich fatalen Verlauf nahm wie die Varusschlacht, bis Arminius’ Onkel Inguiomer durch überhastete Attacken gegen das feindliche Hauptlager den sicheren Sieg zunichte machte.

Das nächste Zusammentreffen mit Arminus erfolgte dann im Jahre 16, als Germanicus mit seinen acht Legionen über die Weser vorstieß. Und jetzt wendete sich das Blatt deutlich: Der Cherusker verlor sowohl die Schlacht in der Ebene von Idistaviso (möglicherweise Evesen) als auch die am Angrivarier-Wall und wurde zudem noch schwer verwundet. Dennoch ordnete Tiberius in genau dieser Situation den sofortigen Abzug aus Germanien an. Grund hierfür waren die erneut recht hohen Verluste auf römischer Seite sowie der Wille des Kaisers, nunmehr dem Rat des Augustus zu folgen, das Reich in seinen bisherigen Grenzen zu belassen.

Deshalb sollte das „Germanenproblem“ jetzt dadurch gelöst werden, daß man die „Barbaren“ einfach ihren inneren Streitigkeiten überließ. Und tatsächlich starb Arminius schon im Jahre 21 n. Chr. durch die Hand seiner eigenen Verwandten, wonach sich die cheruskische Aristokratie in Bruderfehden auslöschte. Das heißt, in dem Moment, in dem die Gefahr einer römischen Invasion abgewendet war, brach der germanische Partikularismus durch.