© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/15 / 22. Mai 2015

Gabriel schaltet auf Angriff
Große Koalition: In der BND-Affäre verschärft die SPD den Ton und setzt die Bundeskanzlerin immer stärker unter Druck
Paul Rosen

Im Kräftemessen der Berliner Politiker hat sich das Tempo erhöht. SPD-Chef Sigmar Gabriel ist vom Austesten seiner Chancen im Zusammenhang mit dem Bekanntwerden amerikanischer Spähaktionen zum offenen Angriff auf den Koalitionspartner übergegangen. Nur vordergründig geht es noch darum, ob die Liste mit den Selektoren des amerikanischen Geheimdienstes NSA dem NSA-Untersuchungsausschuß des Bundestages zur Verfügung gestellt und damit faktisch veröffentlicht wird. In Wirklichkeit ist Kanzlerin Angela Merkel Ziel der Attacken, und – das ist neu – sie wird erstmals direkt angegriffen.

Die Attacken der SPD-Führung gegen den Koalitionspartner CDU/CSU haben inzwischen eine zweite Stufe auf der Treppe, die zum Koalitionsbruch führt, genommen. Stufe eins war vor knapp zwei Wochen erreicht, als Gabriel sich über alle Gepflogenheiten der Koalition hinwegsetzte und aus persönlichen Gesprächen mit der Kanzlerin berichtete. Zweimal habe er sie nach Hinweisen gefragt, daß der Bundesnachrichtendienst (BND) im Auftrag der Amerikaner Wirtschaftsspionage in Deutschland betreibe. Beide Male sei das von der Kanzlerin verneint worden. Gabriel blieb zwar stets im Konjunktiv, sprach aber auch von einem „Geheimdienstskandal, der geeignet ist, eine sehr schwere Erschütterung hervorzurufen“.

Die Kanzlerin soll dafür sorgen, daß die Amerikaner einer Übergabe der Selektoren-Listen an den Bundestagsausschuß zustimmen, so die Forderung der SPD. Für einen Geheimdienst kommt das einem Selbstmord gleich, denn Quellenschutz ist der allererste Grundsatz geheimdienstlicher Arbeit.

Erinnerungen an 1982

werden wach

Das dürfte auch der SPD klar sein. Besonders ihr Außenminister Frank-Walter Steinmeier müßte das wissen; der frühere Kanzlerkandidat verhält sich aber merkwürdig still. Statt dessen setzen Gabriel und seine Generalsekretärin Yasmin Fahimi zu einem Zangenangriff gegen Merkel an: „Da muß man als Bundesregierung auch mal Rückgrat zeigen“, mahnte Gabriel. „Eine deutsche Kanzlerin darf nicht unterwürfig sein gegenüber den USA“, äußerte Fahimi, die im übrigen auf Indizien verwies, wonach das Kanzleramt bei der Aufsicht über den BND „kläglich versagt“ habe. Mißverständnisse waren ausgeschlossen, die Äußerungen beider Politiker von ihnen persönlich autorisiert.

Daß der Koalitionspartner der Regierungschefin mangelndes Rückgrat und Unterwürfigkeit vorwirft, hat es in der bundesdeutschen Politik – wenn auch nicht direkt vergleichbar – zuletzt 1982 gegeben, als die FDP die Koalition mit Helmut Schmidt und der SPD kündigte. Die Frage ist nur, ob die SPD direkt zur dritten Stufe weiter will und letztlich den Bruch anstrebt, oder ob sie eine Pause einlegt. Für letztere Annahme spricht Fahimis Aussage vom Montag, wonach sie zuversichtlich sei, „daß es eine Einigung über ein geeignetes Verfahren (über die Selektoren) in den nächsten Tagen geben kann“.

Und Gabriel wäre nicht Gabriel, wenn er sich selbst nicht wieder ein wenig in Frage stellen würde. Dafür braucht der Niedersachse mit seiner Spielernatur nicht einmal ein weiteres Interview, sondern erledigt das in der Bild am Sonntag, wo er die Angriffe gegen Merkel führte, gleich mit.

Vielleicht muß Merkel Amtsjubiläum absagen

„Ach. Quatsch“, las das Publikum als Antwort auf die Frage, ob die Koalition an der Geheimdienstaffäre zerbrechen werde. „Wir sind angetreten, um vier Jahre gut zu regieren. Und wir haben eine Menge zu tun. Wir müssen die Flüchtlingsströme bewältigen, eine Lösung in der Ukrainekrise finden, die Eurokrise mit Griechenland klären. Wir stellen jeden Tag unter Beweis, daß Deutschland eine handlungsfähige Regierung hat“, erklärte Gabriel, der kein Problem damit hat, daß er wenige Absätze zuvor den gegenteiligen Eindruck erweckt hatte.

Das kann in der Koalition sonst nur CSU-Chef Horst Seehofer, dessen Unabhängigkeit von eigenen Grundsätzen beinahe einzigartig ist. Seehofer knöpfte sich diesmal Gabriel vor und nannte das Verhalten des Vizekanzlers von Form und Stil her „völlig inakzeptabel“. Das entspreche „nicht der Staatsverantwortung, die eine Regierungspartei hat. Das geht nicht“, empörte sich der Bayer. Das Verhältnis zwischen CSU und SPD ist in der Großen Koalition traditionell schlecht.

Die CDU hingegen schickte nur die zweite Reihe gegen Gabriel los, etwa den schleswig-holsteinischen Landesvorsitzenden Ingbert Liebing, der Gabriel warnte, der „Versuchung einer Krawallkoalition“ zu erliegen. Und auch CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn drehte auf: „Mit Frau Fahimi scheinen etwas die Pferde durchzugehen, das Gekläffe kann man ja nicht ernst nehmen.“ Im Prinzip hat Spahn recht: Fahimi ist weniger ernst zu nehmen. Nur diesmal waren die Äußerungen der SPD abgestimmt. Das gab der Attacke eine neue Qualität, auch wenn die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner den Eindruck hat, „daß die SPD dringend ein Thema sucht, um aus ihren schlechten Umfragewerten herauszukommen“. Wenn die SPD ein anderes Thema findet oder ihr der Zufall eins beschert, kann es sein, daß Merkel die Feiern zum zehnjährigen Amtsjubiläum im Herbst absagen muß.