© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/15 / 15. Mai 2015

Vom Reagenzglas ins ethische Dilemma
Reproduktionsmedizin: Verbote sind umgehbar, und die Rechtsprechung treibt den Gesetzgeber vor sich her
Heiko Urbanzyk

Die Reproduktionsmedizin kennt in Deutschland nur noch juristische Grenzen. Technisch ist einiges möglich, und was der eine für moralisch verwerflich hält, ist dem anderen auf der verzweifelten Suche nach dem Wunschkind gerade recht und sogar Menschenrecht. Die letzten Verbote werden auch in Deutschland kippen. Es ist nur eine Frage der Zeit.

In China sieht man die Debatte um Embryonenschutz und Reproduktion utilitaristisch. Wie das britische Magazin New Scientist berichtet, klonen die Forscher unter roter Fahne seit Jahren menschliche Embryonen. Forschungen dazu würden bisher nicht in Fachzeitschriften veröffentlicht und dementsprechend nicht durch externe Gutachter geprüft. Professor Chen Xigu von der Zhongshan Medizinischen Universität in Kanton habe zum Beispiel menschliches Erbgut in die Eizelle eines Kaninchens eingepflanzt, um Stammzellen zu gewinnen.

Samenspende legal, Eizellenspende verboten

In Deutschland ist das Klonen menschlicher Embryonen verboten. Ebenso die Bildung von Chimären und Hybriden, also untechnisch gesagt „Mischwesen“. In Großbritannien dürfen Forscher dagegen seit dem Jahr 2008 menschliches Erbgut in tierische Eizellen einpflanzen. Es dürfen sogar „Retter- oder Helfer-Geschwister“ (Saviour Siblings) erzeugt werden. Es geht dabei um die künstliche Zeugung vom Erbgut her weitgehend übereinstimmender Geschwisterkinder, die einem erkrankten Kind Zellen oder genetisches Material für die Behandlung liefern sollen. Menschliche Ersatzteillager? Der konservative Politiker Edward Leigh kritisierte damals diese „Frankenstein-Wissenschaft“ und sah Großbritannien auf dem Weg zum „Schurkenstaat der Wissenschaft“.

Verboten sind in Deutschland zudem zahlreiche Methoden künstlicher Fortpflanzung. So zum Beispiel die Eizellenspende im Gegensatz zur legalen Samenspende. Jene tritt in zweierlei Varianten auf. Eine davon ist die hierzulande ebenfalls verbotene Leihmutterschaft.

Bei der Eizellenspende spendet eine fruchtbare Frau ihre Eizelle einer (etwa altersbedingt) unfruchtbaren Frau, deren Eierstöcke keine Follikel mehr bilden. Die gespendete Eizelle wird durch In-vitro-Fertilisation (IVF) oder durch eine intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) befruchtet und der unfruchtbaren Frau eingepflanzt. Letzteres ist der Embryonentransfer.

Verboten ist auch der Mitochondrientransfer. Bei diesem wird eine Keimbahnintervention vorgenommen, die zur Schaffung von „Drei-Eltern-Embryos“ führt. Der Kern einer befruchteten Eizelle wird bei dieser Technik in die Eizelle einer weiteren Frau implantiert. Ein solches Kind hätte einen Vater und zwei biologische Mütter. Der Zellkerntransfer soll der Vermeidung von Krankheiten dienen, die durch DNS-Mutationen der im Eizellplasma befindlichen Mitochondrien entstehen: Taubheit, Erblindung, Herzerkrankungen, Diabetes, Nervenleiden. Ein- bis viertausend Neugeborene sollen jährlich betroffen sein. Nach einigen Quellen ist die Technik bisher nur an Tieren erprobt. Das Deutsche Ärzte­blatt berichtete im vergangenen Jahr, weltweit seien bereits dreißig „Drei-Eltern-Kinder“ gezeugt.

Derartige Verbote in Deutschland sind vor allem ethischen Vorstellungen von Schwangerschaft und Elternschaft geschuldet. Andere dienen dem Schutz des Kindeswohls. Über allem schwebt der Aspekt der unantastbaren Menschenwürde aus Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz – was sich beispielsweise im Embryonenschutzgesetz niederschlägt.

Fragwürdiges „Recht auf Fortpflanzung“

Diese Verbote werden fallen. Zwar geht der schwarz-rote Koalitionsvertrag auf Abstand zur Leihmutterschaft. Zwar protestieren weltweit zahlreiche, zumeist ultralinke Organisationen, gegen die Auflockerung dieser Verbote, weil sie eine neue genetische Selektion der Menschheit nach kapitalistischer Verwertungslogik behaupten. Doch das Oberlandesgericht Stuttgart stellte 2012 klar, daß eine biologische Mutter im Ausland ihr Kind zunächst zur Adoption freigeben müsse, damit es von der sozialen Mutter adoptiert werden könne (Beschluß vom 7. Februar 2012 – Az. 8 W 46/12). Eine bürokratische Hürde ist das schon, aber damit ist auch klar: Eine Adoption ist möglich. Das gesetzliche Verbot der Leihmutterschaft ist faktisch jederzeit umgehbar. Die Rechtsprechung treibt den Gesetzgeber damit vor sich her.

Beim Deutschen Ethikrat sind die Parteigänger der Lockerung oder Abschaffung dieser Verbote ebenso vertreten. Bereits auf der vergangenen Jahrestagung des Ethikrates unter dem Motto „Fortpflanzungsmedizin in Deutschland. Individuelle Lebensentwürfe – Familie – Gesellschaft“ meldeten sich viele Befürworter einer Liberalisierung zu Wort.

Georg Griesinger vom Kinderwunschzentrum der Universität Lübeck beantwortete dort die Frage danach, was die Medizin könne, denkbar knapp: „Ganz einfach: Alles!“ Die renommierte Juristin Dagmar Coester-Waltjen propagierte ein „Recht auf Fortpflanzung“. Setzt sich diese Rechtsauffassung durch, wäre praktisch jede neue Fortpflanzungstechnologie automatisch nicht zu verbieten, weil auf ihre Nutzung ein Grundrecht besteht.

Seit 2013 liegt überdies ein Gesetzesentwurf einer Gruppe Augsburger und Münchner Juristen vor; der Augsburg-Münchner-Entwurf für ein Fortpflanzungsmedizingesetz. „Mißbräuchliche Fortpflanzungstechniken, wie die Geschlechtswahl, die Keimbahnintervention, das Klonen sowie die Chimären- und Hybridbildung, sollen grundsätzlich untersagt werden“, heißt es in einer Beschreibung.

Doch auch das ist relativ. Die Autoren sind uneins, ob das Verbot nur gelten soll, wenn es um die Geburt von Kindern geht. Das Experimentieren an Embryonen soll also doch irgendwie möglich bleiben.

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