© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/15 / 15. Mai 2015

Peking stellt die Machtfrage
Spannungen im Südchinesischen Meer: China setzt Nachbarn wirtschaftlich und militärstrategisch unter Druck
Albrecht Rothacher

China baut seinen Führungsanspruch im Südchinesischen Meer immer weiter aus. Die Regierung in Peking setzt dabei nicht mehr nur auf sanften Druck. Für die Anrainer wird die Nachbarschaft zum Reich der Mitte immer unbequemer. Kritiker werfen Peking vor, mit Zuckerbrot und Peitsche zu agieren. Mit der Gründung der Asiatischen Investitionsbank, der auch die meisten Europäer beitraten, hat Peking einen großen diplomatischen Erfolg errungen. Zugleich sendet es ein deutliches Signal an die USA, daß man die Dominanz der „amerikanischen“ Institutionen IWF und Weltbank nicht mehr länger hinnehmen will.

Mit der Asiatischen Entwicklungsbank stellt China seinen zentral- und südostasiatischen Nachbarn große Infrastrukturinvestitionen bereit: Häfen, Kraftwerke, Pipelines, Autobahnen und Eisenbahnlinien werden mit Hilfe Pekings in den südostasiatischen Partnerländern errichtet.

US-Präsident Obama

beklagt Pekings Offensive

Auch bei seinen Grenzdisputen mit den Nachbarländern übt sich Peking derzeit in Zurückhaltung. Doch Kritiker registrieren genau, mit welchem Eifer Peking die für sich reklamierten Atolle im umstrittenen Territorium des Südchinesischen Meeres zu „unsinkbaren Flugzeugträgern“ ausbaut und befestigt.

China nutze seine „schiere Größe und Kraft“, um Länder wie Vietnam oder die Philippinen „in untergeordnete Positionen zu drängen“, beklagte vor kurzem US-Präsident Barack Obama. Doch die USA, einst unbestrittener Hegemon im Pazifik, finden gegen die chinesische Territorialpolitik – von regelmäßig vorgetragenen Bedenken einmal abgesehen – kein Rezept mehr.

Im Südchinesischen Meer spielt sich gerade ein Machtkampf mit ungewissem Ausgang ab. Die Fläche von knapp 3,7 Millionen Quadratkilometern wird neben China noch von den Anrainern Malaysia, Vietnam, Brunei und den Philippinen beansprucht. Auch das von China als „abtrünnige Provinz“ beanspruchte Taiwan meldet Ansprüche an.

Das Teilmeer des Pazifik ist für den Welthandel eine bedeutende Region. 40 Prozent des Welthandels sind auf die sichere Passage durch jenes Gewässer angewiesen. Waren im Wert von fünf Billionen US-Dollar müssen hier jedes Jahr ihren Weg finden, darunter auch praktisch der gesamte Öl- und Rohstoffbedarf von Japan, Korea und Taiwan. Bislang galt hier die Freiheit der Meere, über die – theoretisch – die US-Marine wacht.

Doch schon seit den vierziger Jahren reklamiert China das gesamte Meer für sich. Als Grundlage der Gebietsansprüche dient eine historische Seekarte mit neun Strichen, welche den chinesischen Anspruch abgrenzen sollen, obwohl doch die von China beanspruchten Spratly-Inseln 1.300 Kilometer vom chinesischen Hainan entfernt liegen und damit viel näher an den anderen Küstenanrainern. In Peking wird argumentiert, das gesamte Meer gehöre schon seit Urzeiten zu China. Als Beweis werden Grabstelen verunglückter chinesischer Fischer herangezogen, die auf einigen unbewohnten Felsen- und Sandinseln gefunden worden sein sollen.

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung hat China auch seine Armee aufgerüstet. Mittlerweile hat China die größte und schlagkräftigste Flotte der Region. Allein Chinas Küstenwache ist die größte der Welt. Schon vor einiger Zeit hat China Woody Island auf den Paracel-Inseln, die auch von Vietnam beansprucht werden, zu einer Inselfestung mit Hafen und Flughafen ausgebaut.

Die gleichen Befestigungen wurden auch auf einigen Riffen der Spratly-Inseln und vor der Küste der Philippinen errichtet. Auch andere Riffe werden aufgerüstet. Auf dem Subu Reef sind ähnliche Arbeiten im Gange. Kleine Felsen, die kaum aus dem Meer aufragen, Riffe, Atolle oder Korallenbänken werden mit Sand und Steinen aufgeschüttet, asphaltiert, die Ufer befestigt. Häfen und Flugplätze mit Landebahnen bis zu 3.000 Metern werden angelegt, Ölbunker und Unterkünfte gebaut.

Nichts hindert die Chinesen, dort auch Radar- und Raketenstellungen hinzuzufügen, mit denen die gesamte Schiffahrt kontrolliert oder unterbunden werden kann. Chinas Außenminister Wang Yi zufolge dient der Ausbau der Vereinfachung von Rettungsaktionen, der Meeresforschung, Meteorologie, dem Umweltschutz, der Fischerei. Jedoch ist auch von „unbestimmten militärischen Zwecken“ die Rede. Die Befestigungen richteten sich gegen niemanden, und da es sich um chinesische Territorien handele, könne China tun und lassen, was es wolle.

Philippinen fordern

entschlossenes Handeln

Doch das internationale Seerecht erkennt solche künstlichen Inseln nicht an. Völkerrechtlich betrachtet darf China weder exklusive Zonen für Fischerei oder Ölförderung beanspruchen, noch die Freiheit der Meere einschränken. Doch Beschwerden oder Klagen, wie jüngst von den Philippinen vor dem internationalen Schiedsgerichtshof in Den Haag, ignoriert Peking bislang mit Erfolg.

Die Philippinen fordern mehr Entschlossenheit im Inselstreit mit China. Auf der letzten ASEAN-Konferenz forderte der philippinische Außenminister Albert del Rosario die anderen ASEAN-Staaten auf, sich dem mächtigen Nachbarn „endlich entgegenzustellen“. Die Bedrohung, die von Chinas Gebietsansprüchen ausgehe, könne nicht länger „ignoriert oder geleugnet“ werden.

Der strategische Plan hinter Chinas Inselaktivitäten liegt längst auf der Hand: Der Inselring, der von Japan bis nach Südostasien reicht und derzeit von den USA kontrolliert wird, soll aufgebrochen werden, um auch militärisch Zugang zum Pazifik zu erhalten. Das Säbelrasseln gegen die südostasiatischen Anrainer und die Einschränkung der Schiffahrtsverbindungen ist der Auftakt dazu.

Die Staaten Südostasiens wenden sich hilfesuchend an die Vereinigten Staaten. Diese reagierten mit einer gemeinsamen Landeübung auf den Philippinen, an der 12.000 Soldaten beteiligt waren. Auch auf dem G7-Gipfel in Lübeck gab man sich auf Drängen Japans besorgt über einseitige Aktionen einer „ungenannten Seite“, welche durch Landgewinnung den Status quo verändere und Spannungen erhöhe.

Foto: Chinesische Patrouille im Südchinesischen Meer: Peking argumentiert, das gesamte Meer gehöre schon seit Urzeiten zu China