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Knapp daneben
Zynische Herablassung
Karl Heinzen

Das Berliner Theatertreffen wurde in diesem Jahr mit einem Paukenschlag eröffnet. „Flüchtlinge“ aus Afrika und Asien standen gemeinsam mit Profis des Hamburger Thalia-Theaters auf der Bühne, um das Publikum mit dem Drama „Die Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek zu unterhalten. Die Textvorlage mag zwar nicht zu den glanzvollsten im Schaffen der österreichischen Heimatdichterin zählen, die vor einigen Jahren als Nobelpreisträgerin für Literatur ausgelost wurde. Sie ist aber eindimensional und plakativ genug, um all das herauszuschreien, was einem zum Stichwort „Lampedusa“ einfällt, ohne Gefahr zu laufen, die Zuschauer durch subtile Gedanken auf eine falsche Fährte zu locken.

Die Inszenierung mit all ihrem aufgeregten Pathos ließe sich als humanitärer Hilfeschrei entschuldigen, wenn sie nicht von dem verqueren Selbstverständnis zeugen würde, die Menschen belehren zu können. Diese Bedeutung kommt der Bühne aber nicht zu.

Die Macher der Thalia-Inszenierung sind verblendet, sie treten mit herrenmenschlicher Attitüde auf.

Theater findet heute unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Würden die Bürger in ihren Regionalzeitungen nicht ab und zu auf merkwürdige Artikel stoßen, die sich mit irgendwelchen dubiosen Aufführungen auseinandersetzen, würden sie gar nicht wissen, daß es so etwas überhaupt gibt. Am Leben gehalten wird der Spuk allein durch Subventionen des Staates, weil dieser immer noch einem antiquierten Verständnis von Hochkultur anhängt. Menschen, die asketisch genug sind, zwei Stunden lang arriviertem Bühnengeschwätz zu lauschen, anstatt sich bei Popcorn und Cola von einem Kinospektakel mitreißen zu lassen, sind aber Mangelware geworden. Gesellschaftliche und politische Fragen werden heute durch „Honig im Kopf“ oder „Die Tribute von Panem“, nicht aber durch „Die Räuber“ oder „Die Dreigroschenoper“ bewegt.

Die Macher der Thalia-Inszenierung sind aber nicht nur verblendet. Sie lassen sich auch noch zu der herrenmenschlichen Herablassung hinreißen, Überlebende der Flüchtlingskatastrophen auf die Bühne zu zerren, um sie für ihre kommerziellen Zwecke zu mißbrauchen. Zynischer kann man „Schutzbefohlene“ nicht behandeln.