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Lukratives Spiel mit mehreren Bällen
Kasachstan: Der neuntgrößte Staat der Erde geht unter dem wiedergewählten Präsidenten Nasarbajew im eurasischen Kräftefeld seinen eigenen Weg
Michael Paulwitz

Der Stabilitätsgarant hat sich ein neues Mandat erteilen lassen: Kasachstans starker Mann Nursultan Nasarbajew wurde bei den Präsidentenwahlen mit sage und schreibe 97,7 Prozent für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt. Ein Signal an die Regierungen Rußlands, Chinas und Europas, daß in geopolitisch bewegten Zeiten weiter ein Staatsoberhaupt an der Spitze der größten, wohlhabendsten und einflußreichsten Republik Zentralasiens steht, das das Spiel mit mehreren Bällen als eigenständiger Faktor zwischen den globalen Machtzentren virtuos beherrscht.

Anteil der Russen im Land sinkt kontinuierlich

Der seit der Unabhängkeit Kasachstans 1991 durchgängig regierende Nasarbajew hatte den Zeitpunkt für den Urnengang mit Bedacht gewählt. In Zeiten einer zunehmenden globalen Wirtschaftskrise und geopolitischer Widersprüche sei es erforderlich, die „Stabilität und Einheit unserer Gesellschaft“ und die Fortsetzung einer „ausbalancierten“ Innen- und Außenpolitik zu bekräftigen, hatte Nasarbajew vor zwei Monaten den um anderthalb Jahre vorverlegten Wahltermin begründet.

Die Rolle, als erste Institution nach vorgezogenen Präsidentenwahlen zu rufen, kam der „Versammlung des Volkes Kasachstans“ (VVK) zu, einem vor zwanzig Jahren vom Präsidenten als Beratungsorgan ins Leben gerufenem Gremium, das seit der letzten Verfassungsreform auch neun der 107 Abgeordneten im von der Präsidentenpartei Nur Otan („Strahlendes Vaterland“) dominierten Unterhaus des Parlaments als Vertreter der nationalen Minderheiten entsendet.

Die Jubiläumsfeier der VVK wird in diesem Jahr für die kasachische Führung ebenso wie das bereits zum fünften Mal durchgeführte „Gipfeltreffen der tra-ditionellen und Weltreligionen“ Anfang Juni in der Hauptstadt Astana ein Anlaß sein, die in der Region einzigartige hohe innere Stabilität des Landes hervorzuheben, in dem nach offiziellen Angaben 130 Nationalitäten, 140 Konfessionen und rund 3.000 religiöse Vereinigungen friedlich koexistieren. Übrigens: Ein Deutscher, Albert Rau, ist Erster Vizeminister für Investitionen und Entwicklung.

Seit dem Ausbruch der Ukraine Krise steht das Verhältnis zu Rußland und der russischen Bevölkerung im Land verstärkt im Fokus. Von einem „ukrai-nischen Szenario“ ist Kasachstan zwar denkbar weit entfernt: Die Nationali-tätenpolitik ist auf Ausgleich bedacht, die unter Nasarbajew etablierte verbindende Geschichtserzählung der unabhängigen Republik – zu der die Ukraine nie gefunden hat – schließt russische und gesamtstaatliche Erfahrungen mit ein, und Russisch genießt als Lingua franca einen herausgehobenen Status; Nasarbajew hält seine Reden demonstrativ auf kasachisch und russisch. Relativer Wohlstand – das Pro-Kopf-Wirtschaftsprodukt entspricht dem russischen – und hohe wirtschaftliche Freiheit geben wenig äußeren Anlaß zu Unzufriedenheit.

Zudem ist der russische Bevölke-rungsanteil seit der Unabhängigkeit stark gesunken und beträgt nur noch gut ein Fünftel; die Kasachen, die zu Sowjetzeiten zuletzt Minderheit in der eigenen Titularrepublik waren, stellen, durch Rückwanderer aus dem Ausland verstärkt, inzwischen zwei Drittel der 17 Millionen Einwohner.

Balanceakt zwischen

Moskau und dem Westen

Manche Russen murren freilich über die gestiegene Bedeutung der kasachischen Sprache, einer kyrillisch geschriebenen Turksprache, die, in der Sowjetunion auch von vielen Kasachen nicht mehr gesprochen, seit der Unabhängigkeit eine politisch geförderte Renaissance erlebt hat. Trotz des großen Einflusses russischer Massenmedien gibt es keine separatistische Stimmung; auch die Russen im Land sehen Nasarbajew als Stabilitätsgaranten. Provokationen von Hardlinern in Rußland werden selbst von russischen Vertretern in Kasachstan mißbilligt. Damit das so bleibt, meistert Kasachstans Präsident einen bemerkenswerten Balanceakt, indem er gute Beziehungen sowohl zu Putin als auch zur EU und den USA pflegt, ohne sich auf eine Seite zu schlagen. Der Beitritt zur „Eurasischen Union“ vor einem Jahr kommt einem Rückversicherungsvertrag mit Moskau gleich.

Weil Putin nach dem Wegfall der Ukraine als Vertragspartner zur Realisierung des Projekts auf Nasarbajew angewiesen war, konnte dieser die Verträge zu seinen Gunsten nachverhandeln und die nationalen Souveränitätsrechte deutlich stärken.

Kasachstan ist weder von den westlichen Sanktionen gegen Rußland betroffen, noch hat es die russischen Gegensanktionen übernommen. Indirekt sind die Auswirkungen gleichwohl spürbar: Der langanhaltende Rubelverfall schwächte in der Vergangenheit den ohnehin nicht großen Export nach Rußland, der von der Union daher kaum profitierte, und setzte die Landeswährung Tenge unter Druck, während die Anhebung von Zöllen Importe von außerhalb der Eurasischen Zollunion verteuerte. Auch der niedrige Ölpreis auf dem Weltmarkt belastet Wirtschaft und Staatsfinanzen des rohstoffreichen Landes, das noch immer überproportional vom Export von Erdöl und Erdgas, aber auch Erzen, Uran und Edelmetallen abhängig ist.

Gegensteuern soll das zu Jahresbe-ginn in Kraft getretene Infrastruk-turprogramm „Nurly Zhol“ („Lichte Zukunft“), für das in diesem und den kommenden beiden Jahren jährlich drei Milliarden Dollar aus dem National-fonds investiert werden sollen. Um sein internationales Gewicht weiter zu festigen, richtet Kasachstan nicht nur die Weltausstellung Expo 2017 aus, sondern bewirbt sich auch mit guten Aussichten um die Olympischen Winterspiele 2022, für die die Millionenstadt Almaty nicht nur das geeignete Klima, sondern auch moderne Sportstätten hat; auch eine Bewerbung um die Fußball-WM 2026 ist geplant.

Vor allem aber bemüht sich Kasachs-tan um eine Intensivierung der Bezie-hungen zur Europäischen Union, mit 54 Prozent der Importe und 41 Prozent der Exporte wichtigster Handelspartner der zentralasiatischen Republik. Bereits im Januar wurde ein erweitertes Partnerschafts- und Kooperationsabkommen auf den Weg gebracht. Mit der Trumpfkarte der politischen Stabilität, aber auch mit Steuervorteilen, Investorenschutz, einem günstigen Wirtschaftsklima und hoher unternehmerischer Freiheit wirbt Kasachstan derzeit um mehr ausländische Direktinvestitionen.