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Angst vor den westlichen Verschwörern
Pakistan: Im Wettlauf mit der Kinderkrankheit Polio kämpft das Land gegen Hygienemängel und die halsstarrigen Taliban
Elena Hickman

Es ist ein hartes Urteil von Saima Liaqat: „Ich denke Eltern werden zu den schlimmsten Feinden ihrer Kinder, wenn sie sie nicht impfen.“ Die pakistanische Mutter von drei Kindern weiß, wovon sie spricht. Als Zweijährige infizierte sie sich mit Polio, seitdem ist sie teilweise gelähmt. Saima ist eines der vielen Opfer in Pakistans Kampf gegen Polio.

2014 war für Pakistan das schlimmste Jahr von Infektionen seit mehr als 10 Jahren. Dabei sind seit 1988 die Fälle weltweit um 99 Prozent zurückgegangen. Polio ist damit fast ausgerottet – fast. Im vergangenen Jahr infizierten sich 306 Kinder in Pakistan mit Polio, das sind 85,2 Prozent der insgesamt 359 Fälle. Die restlichen Erkrankten kommen hauptsächlich aus Afghanistan und Nigeria. In Pakistan leben etwa 35 Millionen Kinder, doch 10 Prozent, also 3,5 Millionen Kinder, sind noch nicht geimpft.

Polio ist eine Nervenkrankheit, die vor allem Kinder bis fünf Jahre trifft. Das Virus ist hochansteckend und gelangt über dreckiges, infiziertes Wasser in den Körper. Die Krankheit ist nicht heilbar, kann aber verhindert werden. Vier Schluckimpfungen mit je zwei Tropfen reichen für einen lebenslangen Schutz. Trotzdem verweigern viele Eltern ihren Kindern die lebensrettenden Tropfen.

Radikalislamisten

verhindern Impfungen

Sie haben Angst vor den Taliban, die besonders in der nordwestlichen Provinz Khyber-Pakhtunkhwa und in den angrenzenden Stammesgebieten aktiv sind. Beide Regionen stellen zusammen 78,6 Prozent der Infizierten in Pakistan. Weitere Brennpunkte sind die Provinz Belutschistan und die Stadt Karatschi.

Die Extremisten sehen in den Impfungen eine Verschwörung um Kinder zu sterilisieren, mit Aids zu infizieren oder als eine Fassade für ausländische Spione. Letztere Vorstellung ist gerade durch eine Taktik der CIA entstanden. Diese hatten 2011 einen pakistanischen Arzt benutzt, um unter dem Deckmantel von Hepatitisfällen, Impfungen vorzunehmen und nach Osama bin Laden zu suchen.

Doch nicht nur Verschwörungstheorien bereiten den Boden für weitere Polio-Infektionen. In vielen Gegenden gibt es kaum sauberes Wasser und nur schlechte Hygienebedingungen, weshalb sich das Virus noch schneller ausbreitet. Viele Kinder leiden bereits an eine Darmerkrankung, wodurch der Impfstoff nicht vom Körper aufgenommen wird.

Zudem fehle es in vielen Gebieten an medizinischem Personal und den notwendigen Voraussetzungen, um das Serum kühl zu lagern, erklärt der Sprecher der Global Polio Eradication Initiative, Oliver Rosenbauer, gegenüber der JF.

Im Kampf gegen Polio sind jedoch nicht nur Infizierte die Opfer. Seit 2012 wurden bei Angriffen der Taliban auf Impfteams mindestens 66 Menschen getötet. Zuletzt ermordeten sie bei einem Angriff Mitte März einen Mitarbeiter und verletzten einen weiteren. Die Impfhelfer wagen sich deshalb nur noch in Begleitung von Soldaten in die von den militanten Kämpfern kontrollierten Gebiete. Gerade in den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan ist der Zugang für die Helfer schwierig. Viele verschiedene Gruppen kämpfen um die Vorherrschaft. Mit ihnen muß erst der Zugang ausgehandelt werden, bevor sich Helfer in das Gebiet wagen. „Mit einer Gruppe von einem bestimmen Gebiet einen Zugang auszuhandeln, bedeutet nicht, zu allen Gebieten Zugang zu haben“, sagt Rosenbauer. Dadurch verzögert sich die Arbeit der Impfteams noch weiter.

Seit März geht die Regierung resolut gegen Impfverweigerer vor. Eltern, die ihre Kinder nicht impfen ließen, wurden verhaftet. Der stellvertretende Polizeichef von Peschawar, Riaz Khan Mehsud, betonte entsprechend gegenüber AFP: „Es gibt keine Gnade, wir haben beschlossen mit eiserner Hand durchzugreifen.“