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Wachsender Unmut sorgt für Aktionismus
Flüchtlingspolitik: Mit Ankündigungen und zwei Schiffen der Marine versucht die Bundesregierung, die Asyldebatte zu entschärfen
Paul Leonhard

Nach den Meldungen über immer neue Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer konnten am vergangenen Wochenende Erfolge vermeldet werden. Schiffe retteten mehr als 6.000 Menschen aus Seenot; dennoch starben mindestens zehn Flüchtlinge. Der sprunghafte Anstieg der Geretteten und das Ausbleiben neuer Katastrophenmeldungen sorgte auch in Deutschland für etwas Abkühlung in der hitzigen öffentlichen Diskussion, ändert indes nichts am grundsätzlichen Problem – dem wachsenden Strom von Flüchtlingen. Um Menschen aus Seenot zu retten, hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in der vergangenen Woche den Einsatzgruppenversorger Berlin und die Fregatte Hessen ins Mittelmeer beordert. Am Montag liefen die Schiffe den Hafen Souda auf Kreta an, wo sie für ihre Mission ausgerüstet werden sollen.

Derweil hat der Unmut der Bevölkerung über die Flüchtlingsflut längst auch Bundeskanzlerin Angela Merkel erreicht. Auf dem Sondergipfel des Europäischen Rates zur Flüchtlingspolitik forderte sie Ende April neue Regeln für die Verteilung der Flüchtlinge. „Wir wissen, daß die Dinge heute sehr ungerecht oder ungleich verteilt sind“, sagte Merkel. Sie erinnerte daran, daß Deutschland und Schweden bisher allein 45 Prozent der Asylbewerber aufgenommen haben. Drei Viertel aller Asylbewerber enfallen damit auf fünf Mitgliedstaaten. Gleichzeitig kritisierte Merkel, daß das Asylrecht nicht ausreichend angewandt werde und Asylsuchende nicht in allen Ländern registriert würden, was zu unkontrollierten Binnenwanderungen führt. Namentlich wurde Italien genannt.

Um Länder wie Italien oder Spanien, an deren Küste die meisten Menschen ankommen, die über das Mittelmeer flüchten, zu entlasten, sollen die Dublin-Regeln verändert werden. Diese schreiben bislang vor, daß der Flüchtling in dem Land, das er betritt, aufgenommen wird. Da allerdings kaum ein europäisches Land darauf erpicht ist, mehr Ausländer aufzunehmen, und mit mehrerern Mitgliedstaaten wie Großbritannien Wahlen anstehen, soll die Neuverteilung vorerst auf „freiwilliger“ Basis erfolgen. Sprich: Die Politiker wollen abwarten, wie die jeweilige Bevölkerung auf die neue Belastung reagiert.

Städtetag sieht keine Probleme

Europa will den Flüchtlingsstrom auch durch die Zerstörung von potentiellen Schleuserbooten, die Beschlagnahme des Vermögens von Menschenhändlern sowie das Aufspüren ihrer Netze sowie durch Bekämpfung der Fluchtursachen eindämmen. Dabei hofft Merkel auf einen Beschluß des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, um den sich derzeit vor allem Frankreich und Großbritannien bemühen. Auf diesem Weg könnte auch die Nato eingeschaltet werden. Parallel soll die Einsatzbereitschaft der europäischen Grenzschutzagentur Frontex gestärkt werden. Die Mittel für den von Frontex verantworteten Rettungseinsatz „Triton“ wurden auf neun Millionen Euro verdreifacht. Genausoviel Geld stand einst auch der italienischen Initiative „Mare Nostrum“ zur Verfügung. Als Vorbild dient dabei unausgesprochen auch Australiens erfolgreiche Politik der Abschreckung. Premierminister Tony Abbott läßt – trotz Kritik von Menschenrechtsorganisationen und der Vereinten Nationen – Flüchtlingsboote von der Marine zurückschleppen. Seit Januar 2014 habe es keine Toten auf dem Meer gegeben, warb Außenministerin Julie Bishop unlängst bei ihrem Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier (SPD) für das australische Modell.

Während sich die Bundes- und Europapolitiker weitgehend einig sind, daß „nur ein ganzes Bündel von Maßnahmen Europa helfen“ wird, mit den hohen Flüchtlingszahlen zurechtzukommen, so etwa der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thomas Strobl (CDU), sieht ausgerechnet der Verbandspräsident des Städtetages, Ulrich Maly, keine Probleme. Bis zu einer halben Million Asylbewerber seien im laufenden Jahr verkraftbar, sagte Maly der Mitteldeutschen Zeitung. Im Vergleich zu den Millionen Vertriebenen, Spätaussiedlern und Gastarbeitern, die Deutschland integriert habe, seien diese Zahlen „zu managen“.

Maly verwies dabei auf Staaten wie den Libanon, wo 1,5 Millionen syrische Bürgerkriegsflüchtlinge in riesigen Zeltlagern wohnten. Widerspruch zu den Äußerungen Malys aus den betroffenen Kommunen ist nicht bekannt. Bisher hatten die für die Unterbringung und Versorgung der Ausländer zuständigen Städte und Gemeinden stets erklärt, überfordert zu sein.