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„Ich will keine Spaltung“
AfD: Der anhaltende Streit in der Partei wird mittlerweile mit Gerüchten, Rechtsgutachten und eidesstattlichen Erklärungen ausgetragen
Marcus Schmidt

In der AfD scheint derzeit nichts mehr unmöglich. Und so führte die am Montag vom Onlinemagazin Politico verbreitete Meldung über fortschreitende Auflösungserscheinungen in der Gruppe der Brüsseler AfD-Abgeordneten bestenfalls noch zu resigniertem Schulterzucken. Politico hatte berichtet, daß zwei AfD-Abgeordnete Gespräche über einen Wechsel in eine andere Fraktion führten. Ziel der Dissidenten, so spekulierte das Magazin weiter, könnte die EFDD-Fraktion „Europe of Freedom and Direct Democracy“ (EFDD) des britischen EU-Gegners Nigel Farage sein.

Von Farage ist es nur ein Gedankensprung hin zu Marcus Pretzell. Der Europaabgeordnete und AfD-Vorsitzende von Nordrhein-Westfalen war im vergangenen Jahr vom Bundesvorstand abgemahnt worden, weil er in Köln gemeinsam mit Farage aufgetreten war. Was das Gerücht über einen möglichen Wechsel zu Farage durchaus plausibel erscheinen läßt: In der vergangenen Woche hatten die AfD-Abgeordneten Pretzell von den wöchentlichen Sitzungen der Brüsseler AfD-Delegation ausgeschlossen. Pretzell war vorgeworfen worden, Interna an Journalisten weitergegeben zu haben (JF 20/15).

Björn Höcke weist

Vorwürfe zurück

Die Geschichte über den bevorstehenden Fraktionswechsel hat indes einen Haken: Sie stimmt nicht. „Meine politischen Gegner haben mir schon viel unterstellt, aber noch nie Dummheit“, sagte Pretzell der JUNGEN FREIHEIT. „Warum sollte ich die Fraktion verlassen?“ Zudem fühle er sich in der ECR-Fraktion nicht schlecht aufgehoben und könne dort seiner Arbeit vollständig unabhängig nachgehen und die politischen Positionen der AfD einbringen, verdeutlichte Pretzell. Gleichzeitig zeigte er sich nicht überrascht, daß er mit Farage in Verbindung gebracht wird. „Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich gewisse Sympathien für einige Ukip-Positionen habe und die AfD gleichzeitig mit den Tories in wesentlichen Fragen über Kreuz liegt.“ Doch die AfD habe sich nun mal für die ECR-Fraktion entschieden, „und ich will keine Spaltung“, versicherte er.

Weit mehr als die angeblichen Absetzbewegungen einiger AfD-Abgeordneter in Brüssel bewegt die Partei derzeit der geplante Mitgliederentscheid über die künftige politische Richtung der AfD.Parteichef Bernd Lucke hatte sich Ende April in einer Rundmail ausdrücklich für den von einem AfD-Mitglied aus Baden-Württemberg initiierten Mitgliederentscheid ausgesprochen. Doch statt den seit Wochen tobenden Richtungsstreit in der Partei zu befrieden, droht die geplante Abstimmung über den Kurs genau das Gegenteil zu bewirken. Abseits aller juristischen Vorbehalte gegen den Mitgliederentscheid müsse sich die Partei nach Ansicht von AfD-Chef Konrad Adam die Frage stellen, ob eine solche Abstimmung klug sei. Adams eindeutige Antwort: „Nein, der geplante Mitgliederentscheid spaltet schon jetzt erkennbar die Partei“, sagte er der JF. Pretzell äußerte zudem rechtliche Bedenken: „Der Mitgliederentscheid verstößt eindeutig gegen das Parteiengesetz. Dieses schreibt vor, daß die Programmatik einer Partei auf einem Parteitag diskutiert und beschlossen werden muß.“

Lucke hatte mit Widerstand gerechnet. Seinem Rundschreiben zum Mitgliederentscheid fügte er neben dem Abstimmungstext auch ein mehrseitiges Gutachten des Osnabrücker Rechtswissenschaftlers Jörn Ipsen bei. Das Ergebnis: Sowohl nach dem Parteiengesetz als auch nach der Bundessatzung der AfD sei der geplante Mitgliederentscheid zulässig. Das wollen die Gegner der Abstimmung allerdings nicht hinnehmen. Mittlerweile wurde der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim mit einem Gegengutachten beauftragt.

Für Aufsehen über die Grenzen der Partei hinaus sorgte in den vergangenen Wochen auch die Art und Weise, wie die AfD-Spitze auf Vorwürfe des linken Soziologen Andreas Kemper gegen den Thüringer Fraktionschef Björn Höcke reagierte. Kemper hatte bereits Mitte März in einem Blog-Eintrag den Eindruck erweckt, Höcke habe bis 2013 unter dem Pseudonym Landolf Ladig in NPD-Publikationen geschrieben. Auf der Bundesvorstandssitzung der AfD am 17. April wurde Höcke aufgefordert, bis Ende April eine eidesstattliche Erklärung zu unterzeichnen, „um glaubhaft den Gerüchten entgegentreten zu können“, er habe tatsächlich unter dem Pseudonym Landolf Ladig geschrieben,

Höcke reagierte in der vergangenen Woche mit einem offenen Brief, in dem er es ablehnte, die eidesstattliche Erklärung zu unterschreiben. „Nicht, weil ich etwas zu verbergen hätte. Ich habe niemals unter einem Pseudonym für eine NPD-Zeitung geschrieben, und ich werde jeden juristisch belangen, der anderes behauptet.“ Die Aufforderung, eine eidesstattliche Erklärung abzugeben, dokumentiere nach Ansicht Höckes „einen Zustand der Zerrüttung und Verunsicherung in unserer Partei, den ich bedauere.“

Foto: AfD-Chef Bernd Lucke, Europaabgeordneter Marcus Pretzell: „Meine Gegner haben mir noch nie Dummheit unterstellt“