© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/15 / 01. Mai 2015

Wer die meisten Schulden macht, ist Sieger
Eurokrise: Wegen der Niedrigzinspolitik steht Deutschland vor dem Trümmerhaufen seiner Sparpolitik
Manfred Ritter

Spare in der Zeit, so hast du in der Not“, diese alte Tugend haben die Deutschen trotz realer Minuszinsen immer noch verinnerlicht: 617 Milliarden Euro lagen 2014 auf ihren Sparkonten. 824 Milliarden Euro waren Lebensversicherungen und Pensionskassen anvertraut. Auch dem Bund und den Ländern wurde 2009 durch die sogenannte Schuldenbremse verfassungsrechtlich Sparsamkeit verordnet. Angesichts einer gesamten Staatsverschuldung von bald 2,2 Billionen Euro erscheint das folgerichtig.

Inflationspolitik der EZB konterkariert Sparziele

Seit Ausbruch der Eurokrise und spätestens mit dem Beschluß der Europäischen Zentralbank (EZB), monatlich 60 Milliarden Euro in die Märkte zu pumpen, um so die Inflation anzuheizen und den Euro massiv abzuwerten, lautet das Motto der nicht mehr deutschen, sondern nun europäischen Geldpolitik: „Bei Crash noch mehr Cash.“ Denn eine „Deflation“ – sprich: eine Inflation unter der Zielmarke von zwei Prozent – soll mit allen Mitteln verhindert werden.

Schon der Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek wußte, daß Geldentwertung „sowohl für die Regierung als auch für die private Geschäftswelt der leichte Weg aus momentanen Schwierigkeiten“ ist. Die US-Zentralbank Fed hat es vorgemacht: Ob beim Platzen der New-Economy-Blase oder nach der Lehman-Brothers-Pleite: jeder drohende Konjunkturabschwung oder Rückgang der Vermögenspreise und Aktienkurse produziert eine immer heftigere geldpolitische Reaktionen. Die „unverzinste Inflation“ (Vermögensverwalter Bert Flossbach) bringt aber einen schleichenden Verlust für alle Sparer. Doch solch eine „finanzielle Repression ist für mich der wichtigste Anlagetrend der kommenden zwanzig Jahre“, warnte schon vor drei Jahren Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Nun gilt daher der neue Grundsatz: „Wer spart, ist der Dumme.“

Viele haben dies inzwischen erkannt und versuchen, ihre Euros in Sachwerte wie Aktien, Immobilien oder Gold zu tauschen. Manche investieren trotz der Erfahrungen der Lehman-Pleite weiter in vermeintlich renditestarke Fondsmodelle oder „Finanzprodukte“. Mutige nehmen wegen der Niedrigzinsen sogar Kredite auf, um mit einer Sachwertanlage in einigen Jahren – bei entsprechender Euro-Entwertung oder einer Währungsreform – als große Gewinner dazustehen. Auch deshalb erreichen Aktienindizes neue Rekordwerte, Immobilien in deutschen Großstädten werden unbezahlbar. Wer auf Sachwerte gesetzt hatte, wurde bei den deutschen Währungsreformen 1924 oder 1948 zum Gewinner, während die braven Sparer als Verlierer zurückblieben. Obwohl dies allgemein bekannt ist, wollen viele Deutsche – vielleicht aus emotionalen Gründen – nicht die richtigen Konsequenzen aus dieser Erkenntnis ziehen.

Eine solche Barriere besteht auch hinsichtlich der Staatsverschuldung. Noch herrscht die zu D-Mark-Zeiten richtige Vorstellung, daß unsere öffentliche Hand durch eine möglichst niedrige Schuldenaufnahme die Geldwertstabilität sichern kann. Die meisten haben immer noch nicht begriffen, daß bei einer Gemeinschaftswährung wie dem Euro ein einzelner Staat durch Sparsamkeit relativ wenig für den Geldwert tun kann, wenn die anderen Euro-Staaten der Spartugend nicht folgen. Durch die Abwertungs- und Inflationspolitik der EZB sind die Stabilitätsbemühungen sparsamer Euro-Staaten zum Scheitern verurteilt. So entsteht eine völlig absurde Situation, die letztlich unseren erarbeiteten Wohlstand bedroht.

Da die Entscheidungsbefugnis über die Währungsstabilität bei der EZB liegt, wäre der folgerichtige Schritt die Erkenntnis, daß nationale Schuldenbremsen kontraproduktiv sind. Wie die sprichwörtliche schwäbische Hausfrau steht auch Finanzminister Wolfgang Schäuble vor dem Scherbenhaufen der eigenen Sparpolitik. Deutschland ist durch die EZB in die gleiche Rolle versetzt worden wie Millionen Sparer, der ihr Geld auf einem Bankkonto haben und nun ansehen müssen, wie es monatlich immer mehr an Wert verliert.

Ein großer Schuldenschnitt

kommt unausweichlich

Die amtlichen Inflationsstatistiken täuschen über den wahren Wert des Euro hinweg. Den Verlust an Geldstabilität verdeutlicht am besten der Wechselkurs gegenüber dem im Welthandel maßgeblichen Dollar: Danach hat der Euro innerhalb eines Jahres mehr als ein Fünftel seines Wertes gegenüber dem Greenback verloren. Derzeit erfahren nur diejenigen den vollen Umfang der Euro-Abwertung, wenn sie Importeure sind, Aktien und Gold kaufen oder wenn sie in die Schweiz oder die USA verreisen. Sollten aber die niedrigen Erdölpreise wieder ihr früheres Dollar-Niveau erreichen, dann werden nicht nur Autofahrer einen Preisschock erleben.

Doch wie läßt sich der Schaden aus den EZB-Beschlüssen für Deutschland wenigstens begrenzen? Die Antwort mag viele schockieren: Durch die Aufgabe unserer Sparpolitik. Damit ist nicht gemeint, dem griechischen Beispiel zu folgen und mittels Staatsschulden Banken zu retten, Sozialtransfers ohne Gegenleistung auszuschütten oder Rüstungsgüter zu importieren. Der deutsche Staat sollte ähnlich wie der Bürger in Sachwerte investieren: in Bildung und Infrastruktur. Die USA zehren noch heute von dem 1956 begonnenen Straßenbau des Federal-Aid Highway Act unter Präsident Eisenhower. In China, Frankreich und Japan verkehren die schnellsten Bahnen der Welt, Estland oder Südkorea bieten die modernsten IT-Netze. Die zusätzlichen deutschen Investitionen würden durch eine vermehrte Schuldenaufnahme finanziert – angesichts eines Zinssatzes von 0,93 Prozent für zehnjährige Bundesanleihen wäre das kein Problem.

Deutschland müßte daher das „Inflationspiel“ der EZB an vorderster Front mitmachen. Im Vergleich zu Frankreich (Staatsverschuldung: 96 Prozent des Bruttoinlandsprodukts), Spanien (99 Prozent) oder Italien (135 Prozent) ist mit 75 Prozent noch Luft nach oben. Die EZB-Politik ist in Wahrheit ein gigantisches Programm zur Schuldner­entlastung. Wenn die bisherige Entwicklung so weitergeht, dürfte der Euro in wenigen Jahren nur noch die Hälfte wert sein. Dann werden Staaten mit hoher Verschuldung zu Gewinnern – wenn sie ihr Geld nicht für Konsum verschwendet haben.

Die Schulden wären zwar nominal noch in gleicher Höhe vorhanden, wegen der Geldentwertung sänke die reale Belastung aber erheblich. Die sparsamen Bürger und Euro-Staaten gehören hingegen zu den Verlierern der finanziellen Repression durch die EZB. Denn diese schleichende Inflation bei Nullzinsen ist nichts anderes als ein großer Schuldenschnitt, bei dem die Sparer wie bei einer Währungsreform als betrogene Gläubiger auf der Strecke bleiben.

Foto: Straßenreparatur: Der Staat könnte vor einer Währungsreform in Sachwerte investieren und dies durch eine billige Schuldenaufnahme finanzieren