© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/15 / 01. Mai 2015

Grüße aus Bern
Besteigen verboten!
Frank Liebermann

Touristen sind immer wieder von der zeitlosen Schönheit Berns beeindruckt. Ein entscheidender Grund dafür ist die prächtige Altstadt. Sie liegt innerhalb einer großen Flußschlaufe der Aare, die das mittelalterliche Quartier, das Bundeshaus und das Berner Münster umschließt. Dieses ist durch mehrere große Brücken mit den restlichen Vierteln der Stadt verbunden. Die Brücken weisen zum Teil beachtliche Höhen auf, wie das Felsenauviadukt mit 63 Metern, die Kirchenfeldbrücke mit 39 Metern oder die Kornhausbrücke, die 48 Meter vorweisen kann.

Seit einigen Jahren sind fast alle diese Brücken weitläufig mit Maschendrahtzäunen versehen. Darauf sind Hinweisschilder angebracht, auf denen zu lesen ist, daß das „Besteigen der Schutzzäune verboten“ sei.

Wer wie ich schon längere Zeit in Bern wohnt, nimmt diese Verschandelung gar nicht mehr zur Kenntnis. Auch mir fällt es erst dann wieder auf, obwohl ich täglich eine dieser Brücken passiere, wenn mich Freunde auf Besuch, Touristen oder Fremde darauf ansprechen.

Wanderungen auf den idyllischen Wegen entlang der Aare endeten oftmals entsetzlich.

Der Hintergrund dieser Baumaßnahme ist traurig. Lange nahm die Stadt Bern bei Brückensuiziden eine Spitzenposition ein. Im Jahr 2009 stieg die Anzahl der Selbstmorde auf ein besorgniserregendes Niveau. Der Gemeinderat kam unter Druck und mußte handeln. Um weitere Suizide zu verhindern, bewachten erst Freiwillige die Brücken, bis dann die ersten provisorischen Schutzzäune hingen. Zusätzlich wurden Telefonnummern ausgehängt, die Hilfestellung bei Problemen anbieten.

Traumatisierungen gab es häufig. Dies liegt daran, daß die idyllischen Wanderwege entlang der Aare beliebte Ausflugsziele von Familien und Sportlern sind. Es gab schon etliche Beispiele, bei denen die Springer vor Familien, Schulklassen oder Spaziergängern aufschlugen.

So traurig und unschön das auch ist, die Baumaßnahme hat Wirkung gezeigt. Suizidforscher haben die Situation untersucht und festgestellt, daß es keine Verlagerung zu anderen Orten oder anderen Selbsttötungsarten gab. Vielmehr ging die Anzahl der Suizide insgesamt zurück.

Die Presse hat auf die Situation reagiert. Über Selbstmorde wird nichts mehr publiziert, um nicht mögliche Nachahmer zu provozieren. Verhindern können die Zäune die Verzweiflungstaten gänzlich nicht.