© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/15 / 01. Mai 2015

Ruf nach deutlichen Signalen
Demographie: Mit seinen Äußerungen zur Familienpolitik hat Reiner Haseloff eine Debatte ausgelöst
Lion Edler

Solche Töne sind in der Union selten zu hören: „Die Politik muß endlich anerkennen, daß das Thema Familie das existentielle Problem unserer Nation ist.“ Der Satz kommt von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), der in seinem Bundesland gerade erst ein sogenanntes Familiendarlehen in Höhe von 25.000 Euro initiiert hat. In einem Interview mit der Welt ließ Haseloff in der vergangenen Woche kein gutes Haar an der Familienpolitik der Bundesregierung.

Daß das Kindergeld um vier Euro und zum 1. Januar 2016 noch einmal um zwei Euro erhöht werden soll, wirke „nicht wie eine Wertschätzung für Familien“, moniert Haseloff. Die Erhöhung lade zu negativen Reaktionen ein, „nach dem Motto: Das kann man sich auch sparen“. Haseloff forderte eine Erhöhung der Erhöhung. Doch der Politiker macht sich keine Illusionen: In den kommenden Legislaturperioden werde man wohl kaum „die Familienpolitik so radikal aufwerten, wie sie es verdient hätte“.

Unterstützung

aus der SPD

Um diese Aufwertung zu erreichen, muß nach Haseloffs Ansicht das Steuersystem „weiter zugunsten der Kinder umgeschichtet werden“. Gleichzeitig müsse die Wirtschaft Arbeitnehmer mit Kindern entlasten. Haseloff zeigte sich offen für den Vorschlag von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD), für Eltern eine 32-Stunden-Woche bei steuerlichem Lohnausgleich einzuführen. Zwar setze die Wirtschaft auf Zuwanderung, um den negativen Geburtensaldo auszugleichen. Dies könne aber „nur ein Weg sein, auch weil es langfristig eine stabile gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung in den Herkunftsländern gefährdet“. Daher müsse man „eine Geburtenrate von 2,1 oder 2,2 Kindern pro Frau anstreben“, denn es gehe „um das Überleben unserer Gesellschaft in der Form, wie wir sie kennen.“ Um so mehr mag es überraschen, daß Haseloff sich bereits mit einer „zweistelligen Anhebung des Kindergelds“ zufriedengeben würde. Das wäre „ein Signal für die Eltern“, meint Haseloff.

Der DDR-Familienpolitik kann Haseloff auch Positives abgewinnen. „Zumindest hat die DDR uns jungen Familien einen guten Start ermöglicht“, sagte der Ministerpräsident. Schließlich habe man zur Hochzeit einen Kredit über 5.000 Ostmark bekommen; zusätzlich seien für das erste Kind 1.000 Ostmark und für das zweite sogar 1.500 Ostmark erlassen worden. Der heutige „Leistungsdruck“ führe jedoch zu einer Verringerung der Geburtenrate. „Der Arbeitnehmer von heute soll mobil und zeitlich flexibel sein, so daß stabile Schutzräume wie eine Familie nur schwer aufrechterhalten werden können.“

Nach dem Interview erntete Haseloff teilweise deutliche Zustimmung. „Wir haben für so viele Dinge Geld, da wären zehn Euro mehr Kindergeld für die Wertschätzung der Familien das richtige Zeichen“, sagte der Vorsitzende des Familienausschusses im Deutschen Bundestag, Paul Lehrieder (CSU). In seiner eigenen Partei habe er jedoch wenig Rückhalt für diese Forderung. „Die Beratungen werden zeigen, wieviel Luft da noch nach oben ist.“ Man könne Kinder zwar nicht verordnen, aber man könne durchaus Anreize schaffen. „Insofern scheue ich mich nicht, unsere neue Familienpolitik Bevölkerungspolitik zu nennen.“

Auch bei den Sozialdemokraten konnte Haseloff Punkte sammeln. Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD), sowie die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Carola Reimann unterstützten die Kritik an der bescheidenen Kindergelderhöhung. „Wir hätten gerne mehr gegeben. Ich würde mich freuen, wenn der Finanzminister sich dem Wunsch seiner Ministerpräsidenten beugt“, sagte Reimann.

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Eric Schweitzer, äußerte derweil „grundsätzliche Sympathien“ für die Idee einer 32-Stunden-Woche für Eltern, „aber bitte ohne Regulierung und ohne Lohnausgleich. Das ist ein attraktives Familienmodell, das gleichzeitig für die Unternehmen unter dem Strich mehr Arbeitszeit und für die Familien mehr Einkommen bedeuten kann.“ Zugleich forderte Schweitzer einen „bundesweiten Rechtsanspruch auf Ganztagsschule“.

Der familienpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Marcus Weinberg, forderte ebenfalls eine stärkere Kindergelderhöhung. „Mehr wäre wünschenswert“, sagte Weinberg. Den Bundeshaushalt dürfe man allerdings nicht aus den Augen lassen. Gleichzeitig verlangte er eine besondere Erhöhung für Familien ab drei Kindern. „Für das dritte und jedes weitere Kind sollten wir über eine stärkere Anhebung sprechen“, sagte Weinberg der Welt. Denn diese Familien seien schließlich finanziell besonders stark belastet.

Unterdessen zeigt die Große Koalition, daß sie die finanziellen Prioritäten nicht bei den normalen Familien zu setzen scheint: Neben der Erhöhung von Kindergeld, Kinderfreibetrag und Kinderzuschlag sollen auch Alleinerziehende stark entlastet werden: Der steuerliche Freibetrag für diese Gruppe soll um 600 Euro auf 1.908 Euro angehoben werden. Die Koalition kommt somit der Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) entgegen, die eine solche Entlastung bereits seit längerer Zeit forderte.