© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/15 / 24. April 2015

Deutsch wird weiter gesprochen
Massaker: Laut „New Yorker“ drohen viele alte Sprachen in den nächsten hundert Jahren auszusterben
Richard Stoltz

Horrorartikel im NewYorker, einem reißerischen Organ der Sensationsmacherei, in dem aber ziemlich oft nicht unwichtige Dinge angesprochen werden. So auch in einer der letzten Ausgaben, wo es um das angeblich immer schnellere Aussterben von alten Sprachen und sonstigen tief eingeschliffenen Verständigungsarten geht. Der Text liest sich wie eine einzige Todesanzeige oder, schlimmer noch, wie der kaltschnäuzige Bericht über besonders grausame Hinrichtungen.

Ganz bewußt wird abgestellt auf „einfache“ Menschen, die nur eine einzige Sprache, ihre Muttersprache, halbwegs beherrschen, über die Irritation und Verlorenheit dieser Menschen im modernen Leben. Ende dieses Jahrhunderts, erfährt der Leser (und hoffentlich stimmt es nicht), wird bereits die Hälfte aller jetzt noch gesprochenen Sprachen aus dem tagtäglichen Gebrauch verschwunden sein. Seit 1960, heißt es weiter, seien bereits dreißig ganze Sprachfamilien verschwunden.

Der Artikel teilt auch mit, welche Sprachen dem Massaker wenigstens bis zum Jahre 2200 entgehen werden. Es sind dies, in der Reihenfolge der Häufigkeit ihres tatsächlichen Gesprochenwerdens, folgende: das chinesische Mandarin, Spanisch, Hindi, Arabisch, Englisch, Portugiesisch, Bengali, Russisch, Japanisch, Javanesisch – und am Ende der Kette gerade auch noch Deutsch. Französisch oder Türkisch hingegen werden im Jahr 2200 „ausgestorben“ sein, man wird die Erinnerung an sie nur noch in elitären Zirkeln von Sprachwissenschaftlern oder sprachtreuen Lyrikern pflegen. Und das Englische wird diesem Schicksal nur entgehen, weil es bekanntlich die „lingua franca“ des globalen Polit- und Unterhaltungsbetriebs ist, wie früher im Mittelalter das Lateinische.

Der Sprachfreund kann bei solchen Mitteilungen nur traurig das Haupt verhüllen und hoffen, daß der New Yorker diesmal besonders übertrieben hat. Aber sicher ist solche Hoffnung leider nicht.