© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/15 / 24. April 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ohne Rücksicht auf Verluste
Marcus Schmidt

Als Ursula von der Leyen (CDU) nach der Bundestagswahl 2013 von Angela Merkel das Verteidigungsministerium angeboten bekam, wußte sie um die Chancen und Risiken. Sie kann sich durch die Bändigung des als schwer führbar geltenden Verteidigungsministeriums für höhere Aufgaben empfehlen – oder wie so mancher ihrer Vorgänger scheitern. Bislang hat von der Leyen ihren Job im Bendlerblock auch aus Sicht ihrer Kritiker relativ unfallfrei erledigt. Sie geht Probleme direkt an und versucht diese aus dem Weg zu räumen, bevor sie ihr auf die Füße fallen könnten.

Doch nun droht eine bereits seit Jahren auf kleiner Flamme köchelnde Krise eine Eigendynamik zu entwickeln, die von der Leyen gefährlich werden könnte.Das Standardgewehr der Bundeswehr, das G36 des Herstellers Heckler & Koch, erweist sich immer mehr als Sorgenkind. Angeblich schießt das Gewehr, von dem das Verteidigungsministerium seit Anfang der neunziger Jahre 178.000 Stück beschafft hat, bei ungünstigen Witterungseinflüssen oder wenn der Lauf heißgeschossen ist, äußerst unpräzise.

An diesem Mittwoch stand das Thema auf der Tagesordnung des hinter verschlossenen Türen tagenden Verteidigungsausschusses. Bereits am Dienstag hatte von der Leyen in einer Sitzung mit den Verteidigungspolitikern von Union und SPD über das Problem beraten. In der vergangenen Woche legte das Verteidigungsministerium zudem einen Bericht zum G36 vor. Das Ergebnis: Nach Ansicht der Experten ist das Standardgewehr der Bundeswehr nur bedingt einsatzfähig und sollte so schnell wie möglich ausgetauscht werden.

Die Probleme mit dem G36 hat von der Leyen von ihrem Amtsvorgänger Thomas de Maizière (CDU) geerbt. Doch sie ist Politikerin genug, um zu wissen, daß ihr die Affäre bei einem ungünstigen Verlauf dennoch das Amt kosten könnte. Daher hat sich von der Leyen dafür entschieden, die Initiative zu ergreifen – ohne Rücksicht auf Verluste. Das muß vor allem Heckler & Koch erfahren. Das Unternehmen sieht durch die in seinen Augen unbewiesenen Vorwürfe seine Reputation gefährdet. Die Waffenschmiede beklagt zudem, daß ihr die Bundeswehr bislang einen „technischen Dialog“ über die angeblichen Probleme des Sturmgewehres verweigere. Mit faktengesättigten und äußerst detaillierten Pressemeldungen versucht das Unternehmen seit Wochen dagegenzuhalten. „Nebulöse Vorwürfe schaden nicht nur dem Ruf unseres Unternehmens, sondern verunsichern vor allem unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz und unterminieren die Glaubwürdigkeit unserer Einsatzkräfte gegenüber Deutschlands Alliierten“, mahnt Heckler & Koch in einer Pressemiteilung.

Ursula von der Leyen gibt sich davon unbeeindruckt. Für sie steht viel auf dem Spiel. Im politischen Berlin wird der Aktionismus der Verteidigungsministerin, die selbst in der eigenen Partei zwar respektiert, aber nicht geliebt wird, aufmerksam beobachtet. Sollte sie jetzt über das G36 ins Stolpern geraten, würde die Schadenfreude nicht lange auf sich warten lassen.