© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/15 / 24. April 2015

„Vater, Mutter, Kind. Ist das reaktionär?“
Fundamentalistin oder Aufklärerin? Die EU-Abgeordnete Beatrix von Storch ist Deutschlands Anti-Gender-Politikerin Nummer eins
Moritz Schwarz

Frau von Storch, sind Sie eine Reaktionärin?

Storch: Wie kommen Sie darauf?

So werden Sie gerne dargestellt.

Storch: Ich sage, Familie, das sind Vater, Mutter, Kind. Ist das reaktionär?

Sagen Sie es uns.

Storch: Volker Beck, innenpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, warnte einmal, wer auf seiner FacebookSeite homophob hetze, werde gesperrt. Daraufhin habe ich dort geschrieben: „Die Familie besteht aus Vater, Mutter, Kind. Ist das homophobe Hetze?“ Daraufhin wurde ich gesperrt. Zwar wurde die Sperrung aufgehoben, nachdem ich den Vorgang öffentlich gemacht hatte. Aber die spontane Reaktion war wohl, das sei Hetze. Ich halte meine Position für lebendige, jahrhundertealte Tradition. 76 Prozent der minderjährigen Kinder in Deutschland wachsen bei ihren verheirateten Eltern auf, sieben Prozent bei ihren unverheirateten Eltern. Manchmal bekommt man in den öffentlichen Debatten das Gefühl, daß es dieses Lebensmodell gar nicht mehr gibt.

Allerdings gelten Sie auch vielen Qualitätsmedien als eine Art Taliban.

Storch: Sprechen wir lieber einfach nur von Medien. Vor wenigen Jahren noch waren meine familienpolitischen Positionen normal und „Mitte“ und wurden auch von anderen Parteien vertreten. Wenn sie heute angeblich fundamentalistisch sind, dann weil sich unsere Gesellschaft verschoben hat, nicht ich. Oder genauer: Nicht die Gesellschaft hat sich verändert, sondern der gesellschaftliche Diskurs hat sich durch starke Lobbygruppen, die eine völlig andere Gesellschaft wollen, verschoben. Diese Lobby war vor allem bei Politikern erfolgreich. Nicht in der Mitte der Gesellschaft.

Vor allem Ihr Kampf gegen Gender Mainstreaming macht Sie mittlerweile zu einer Art Dunkelfrau der Nation.

Storch: Statt sich mit meinen Argumenten auseinanderzusetzen, stellt man mich gerne als Fundamentalist dar. Das Ergebnis ist etwa, daß ich manchmal aus Sicherheitsgründen von Sicherheitsleuten am Bahnhof abgeholt werden muß, wenn ich einen Vortrag halte und wir Polizeischutz benötigen, um die Veranstaltung vor der Antifa zu schützen. Oder daß ein SPD-Abgeordneter fordert, man möge mir im Namen der Verpflichtung zur „Vielfalt“ den Zutritt zum städtischen Veranstaltungssaal untersagen.

Der „Spiegel“ berichtet, auch Ihr Auto sei demoliert worden.

Storch: Ja, aber ich nehme an, daß das nicht konkret mit dem Thema Gender zu tun hatte, sondern mit meinem AfD-Engagement allgemein.

Mittlerweile gelten Sie als Deutschlands Anti-Gender-Politikerin Nummer eins.

Storch: Ich bin eben diejenige, die für diese Themen in der Politik aufsteht, deshalb wird das an meiner Person festgemacht. Schon mit meinem Verein Zivile Koalition und der Initiative Familienschutz haben wir Gender Mainstreaming kritisiert, lange bevor es die AfD gab. Ich kümmere mich aber nicht nur um Gender-Themen, sondern ebenso um die Euro-Rettungspolitik, die wir ebenfalls schon mit der Zivilen Koalition kritisch bearbeitet haben, lange bevor die AfD gegründet wurde. Außer im Parlamentsausschuß für Frauen und Gender-Gleichstellung sitze ich auch in dem für Währung und Wirtschaft.

Haben Sie in Sachen Gender in der Partei Rücken- oder Gegenwind?

Storch: Einige Parteifreunde, wenngleich nach meiner Wahrnehmung nur wenige, hegen tatsächlich eine gewisse Reserviertheit. Aber ich mache ihnen keinen Vorwurf, denn sie haben sich mit dem Thema vorher eben nicht auseinandergesetzt. Dann lesen sie natürlich als erstes bei Wikipedia nach. Da steht, Gender Mainstreaming sei die „Gleichstellung von Mann und Frau“.

Und das trifft nicht zu?

Storch: Nein. Zu diesem Schluß kann nur kommen, wer all die Maßnahmen nicht kennt, die unter dem Stichwort Gender laufen und überhaupt nichts mit Gleichstellung zu tun haben. Und vor allem, wer die Querverbindung zwischen Gender Mainstreaming und der geplanten Umgestaltung des Sexualkundeunterrichts an unseren Schulen ausblendet: weg von der Wissens-, hin zur „Kompetenzen“-Vermittlung und der Propagierung ideologischer Ziele, wie der „Akzeptanz sexueller Vielfalt“. Übrigens: Wikipedia sagt auch, Gender sei das „soziale Geschlecht“, das vom biologischen abweicht. Das paßt also mit der Definition, Gender Mainstreaming sei nur die „Gleichstellung von Mann und Frau“, nicht zusammen. Tatsächlich hat man sich auf seiten der Gender-Lobbyisten sogar von Anfang an dagegen gewehrt, eine verbindliche Definition für Gender zu formulieren. Auf der Weltfrauenkonferenz in Peking haben vor allem die Vertreter der Dritten Welt auf eine solche gedrungen, denn ihnen ging es tatsächlich um die Gleichberechtigung (nicht: Gleichstellung!) von Mann und Frau. Die Vertreter der Ersten Welt haben sich dagegen heftig gewehrt, weil es ihnen keineswegs um diese Gleichberechtigung ging, sondern darum, die „Zwangsheteronormativität“, wie sie sagen, aufzuheben.

Genießen Sie in puncto Gender-Kritik die Unterstützung Ihres Parteichefs Bernd Lucke?

Storch: Gender Mainstreaming ist nichts, mit dem sich seriöse Volkswirte auseinandersetzen. Natürlich und zum Glück. Inzwischen stimmt er mir zwar in manchen Punkten zu. Aber er sieht noch nicht das Gesamtbild, nämlich daß diese vielen einzelnen Maßnahmen System haben und die Umsetzung des Masterplans namens Gender Mainstreaming sind. Manchmal hält er wohl meine Ausführungen für bizarr oder übertrieben. Doch Gender Mainstreaming ist bizarr. Ich übertreibe also nichts. Gender Mainstreaming ist eben auch gefährlich, und deswegen werde ich mich sehr dafür einsetzen, daß die AfD sich dem in ihrem Parteiprogramm mit zwei Worten widmet: Schluß damit!

Der jüngste Gender-Vorstoß im EU-Parlament war der „Tarabella-Bericht“.

Storch: Er ist ein gutes Beispiel dafür, was Gender Mainstreaming wirklich will, postuliert er doch etwa, daß eine Frau, die ihre Rolle als Mutter wahrnimmt, ihr „Potential als Mensch“ nicht voll ausschöpfe. Natürlich heißt es nicht „Rolle als Mutter“, sondern „geschlechterstereotypisches Verhalten“. Oder es heißt, „Gleichstellung“ – das immer suggeriert, „Gleichberechtigung“ zu meinen – sei erst erreicht, wenn auch die Hausarbeit von Männern und Frauen zu exakt gleichen Teilen erledigt wird. Es geht den Staat schlicht nichts an, ob ich die Wäsche aufhänge oder mein Mann! Der Anspruch, sich bis in diesen Bereich einzumischen, zeigt vielmehr, welche Geisteshaltung hier regiert und was droht, wenn wir diesen Quatsch nicht stoppen.

Also stehen Sie Seite an Seite mit den Liberalen im Parlament, die solche Zugriffe auf die Privatsphäre doch wohl zurückweisen?

Storch: Ist die Frage ernst gemeint?

Ja.

Storch: Das Gegenteil ist richtig. Die Liberalen dort verstehen unter Liberalität fast ausnahmslos „Akzeptanz der Vielfalt von Geschlecht und der sexuellen Vielfalt“, und sie schrecken nach meiner Erfahrung nicht einmal vor Quoten zurück, um diese „Akzeptanz“ bis nach ganz unten durchzudrücken.

Dann stehen Sie mit den Christdemokraten Seite an Seite, die, wie Sie, die Rolle der Mutter und die Familie schützen?

Storch: Nein. Die deutschen Christdemokraten haben Wert auf die Feststellung gelegt, daß der „Tarabella-Bericht“ viele richtige Aspekte aufgreife. Sie haben ihn mit dem Ausdruck größten Bedauerns nur deswegen abgelehnt, weil ein Passus darin klarerweise nicht in den Zuständigkeitsbereich der EU fiel.

Wie kann „Tarabella“ Gender Mainstreaming vorantreiben? Es ist doch nur ein Bericht, nichts weiter.

Storch: Wenn das Parlament zu Dingen Stellung nehmen möchte, zu denen es legislativ keine Möglichkeit hat, dann kann es einen Bericht verabschieden. Die so beschlossenen Inhalte haben zwar keine rechtliche Verbindlichkeit, de facto entfalten sie dennoch Wirkung, weil der Bericht als Willensbekundung des Parlaments gewertet wird. Und deswegen heißt es jetzt etwa: Mit „Tarabella“ hat das EU-Parlament beschlossen, Abtreibung sei ein Menschenrecht. In der Folge setzt sich dieser Inhalt in der Debatte fest – denn das EU-Parlament hat ja „beschlossen“. Mit diesem Rückenwind wird die Sache vorangetrieben, bis sie eines Tages vielleicht tatsächlich Gesetz wird. Politik durchzusetzen, das muß man bedenken, ist keine Sache von heute auf morgen, sondern von Jahren und Jahrzehnten.

Wie weit ist die Durchsetzung von Gender Mainstreaming denn schon fortgeschritten?

Storch: Schon sehr weit. Ich hatte unlängst die „Ehre“, bei der Gründung des Gender-Mainstreaming-Netzwerkes des EU-Parlaments dabeizusein: Alle 22 Parlamentsausschüsse haben nun Gender-Beauftragte, die über die Gender-Korrektheit der Ausschußarbeit wachen. Nicht, daß im Bereich Fischerei die „Vielfalt von Geschlecht“ zu kurz kommt.

Also so eine Art Polit-Kommissare?

Storch: So in etwa. Seinen Anfang hat Gender Mainstreaming ja von der Ebene der Uno aus genommen, als es nämlich 1995 auf der Weltfrauenkonferenz in Peking als politisches Ziel formuliert wurde. Von dort bahnte es sich seinen Weg auf die Ebene der EU, von wo aus es weiter in die Nationalstaaten sickerte. 1999 machte es die Regierung Schröder zur Querschnittsaufgabe für alle Bundesministerien, was 2005 von der Regierung Merkel übernommen wurde. Nach zwanzig Jahren ist es jetzt bei den Bürgern angekommen, in Beruf, Bildung, öffentlichen Einrichtungen und Alltag, vor allem in unseren Schulen und sogar Kindergärten. Nun stellen Achtjährige ihren Eltern Fragen, die sie nicht stellen würden, hätten sie in der Schule nicht folgendes Diktat geschrieben – Vorschlag für die dritte Klasse in Schleswig-Holstein –, das ich aus dem Gedächtnis zitiere: Meine Mutter Nora hat Samenzellen von einem netten Mann aus Dänemark bekommen. Meine Mutter Anna hat mich adoptiert. Jetzt lebe ich mit zwei Müttern und drei Vätern.

Läßt sich das noch stoppen?

Storch: Es ist nie zu spät, Quatsch zu beenden. Ich bin sicher, daß das möglich ist, wenn es gelingt, die Diskussion darum öffentlich zu führen. Wir tun alles, um das Thema an die Öffentlichkeit zu zerren. Über Gender Mainstreaming wurde nie demokratisch debattiert. Es wurde wie beschrieben in autoritärer Weise von oben nach unten durchgedrückt. Bis jetzt haben wir nie diskutiert, was das eigentlich ist und ob wir es wollen, sondern nur wie wir es umsetzen.

Der „Cicero“ nennt Gender Mainstreaming „eine Art totalitären Kommunismus“, und der „Spiegel“ meint, es gehe dabei nicht darum, die Lage der Menschen zu ändern, „sondern den Menschen selbst“. Wie kann in einer Demokratie etwas so Grundstürzendes bereits durchgeführt werden, ohne es zuvor diskutiert zu haben?

Storch: Leider funktioniert die Demokratie nicht mehr stets so, wie sie sollte. Man sieht das an den Referenden über den EU-Beitritt: Es wird abgestimmt, bis das „Richtige“ rauskommt. Ein Beispiel dafür, daß sich die Willensbildung inzwischen von oben nach unten vollzieht. Auf demokratische Weise, also von unten nach oben, ist die Durchsetzung vieler Wunschthemen der politischen Protagonisten nicht möglich. So wäre das auch bei Gender Mainstreaming gewesen. Ich glaube, daß die Diskussion darüber so lange ausblieb, liegt daran, daß die einen nichts davon wissen, die anderen es nicht wissen wollen, die dritten davon profitieren und die vierten daran glauben. Aber ich sehe, daß die Diskussion nun beginnt. Das ist ein Erfolg, und das freut mich.

Unlängst etwa in der ZDF-Sendung „Hart aber fair“. Die hier beschriebenen totalitären Aspekte kamen da aber nicht vor. Stattdessen Schnickes wie Unisex-Toiletten und Binnen-I. Gender Mainstreaming kam als verschroben, aber harmlos rüber.

Storch: Tja, das ist eben öffentlich-rechtliches Fernsehen. Man mokiert sich über Ampelweibchen, aber nicht über die Anleitung zur Masturbation im Kleinkindalter durch Broschüren der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, eine staatliche Einrichtung. Zwar frage ich auch auf Veranstaltungen gerne die Besucher, wessen Herkunftssprache Deutsch ist. Alle melden sich und merken kaum, daß das früher „Muttersprache“ hieß. Aber der Begriff „Mutter“ verschwindet langsam aus dem Sprachgebrauch. Er soll es! Auch weil er die Kinder „diskriminiert“, die – heutzutage angeblich – zwei Väter haben. Es geht darum, die Begriffe zu kontrollieren. Wer diese kontrolliert, kontrolliert das Denken. Allerdings ist das Problem, daß diese Einzelbeispiele für sich läppisch wirken. Die ganze Wucht, Gewalt und Totalität dieses Umerziehungsprogramms wird so nicht erkennbar. Deshalb muß man die Hintergründe aufzeigen!




Beatrix von Storch , die Berliner Juristin und Abgeordnete des Europäischen Parlaments ist Mitgründerin der AfD. Sie gilt als „die starke Frau der Partei“ (FAZ) und „eine der einflußreichen konservativen Netzwerkerinnen des Landes“ (Cicero). Seit Jahren organisiert die ehemalige Rechtsanwältin mit ihrem Verein „Zivile Koalition“ bürgerlichen Protest, etwa gegen die ausufernde Staatsverschuldung oder die Euro-Rettungspolitik. Mit der „Initiative Familienschutz“ kämpft sie gegen Frühsexualisierung und Gender Mainstreaming. Außerdem betreibt sie die Internetzeitung FreieWelt.net. Geboren wurde Beatrix von Storch 1971 in Lübeck als Herzogin von Oldenburg. Sie ist die Urenkelin des letzten regierenden Großherzogs von Oldenburg.

Foto: AfD-Politikerin von Storch: „Man muß die Hintergründe aufzeigen, um die Wucht, Gewalt und Totalität dieses Umerziehungsprogramms sichtbar zu machen.“


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