© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/15 / 17. April 2015

„Der Sturm bricht los“
Der „Spiegel“ verhört den Frei.Wild-Sänger Burger
Thomas Paulwitz

Über solche Liedzeilen regt sich heute kaum noch einer auf: „Fuck the fucking rest / We are the best“: der eine Vers derb-doof, der andere abgenuckelt, beide auf englisch in einem sonst deutschen Text. Man schüttelt höchstens den Kopf über den Widerspruch, denn in demselben Lied bekennt kurz darauf die Musikgruppe, „einfach deutsch gerockt“ zu haben. Kürzlich erklärte sogar der Sänger der Gruppe dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel, daß „Heimatliebe fundamental für die Erhaltung unserer Sprache und Kultur verantwortlich“ sei. Hört, hört!

Liedzeile aus den

Befreiungskriegen

Trotzdem hat das Lied „Für immer Anker und Flügel“ der Südtiroler Rockgruppe Frei.Wild Anstoß erregt, allerdings nicht mit diesen beiden einfallslosen Versen. Wer wirklich Aufmerksamkeit will, muß das auf deutsch tun. In seinem Verhör – Verzeihung: Gespräch – fragte der Spiegel siebengescheit den Sänger Philipp Burger: „Im Song ‘Für immer Anker und Flügel’ singen Sie ‘Sturm, brich los’. Wissen Sie, wen Sie damit zitieren?“

Burger mußte verneinen, und der Fragensteller Jurek Skrobala, ehemals Student der Neuesten Polnischen Geschichte in Münster, klärte den Künstler triumphierend auf: „Joseph Goebbels. ‘Sturm, brich los’ sind die letzten Worte aus seiner Sportpalastrede, in der er den ‘Totalen Krieg’ ausgerufen hat.“ Burger rechtfertigte sich: „Die Geschichte ist mir neu. Was soll ich denn jetzt dazu sagen? ‘Sturm, brich los’ ist ein allgegenwärtiger Slogan. Man wälzt beim Schreiben von Songs ja nicht jedesmal die Geschichtsbücher.“

Die Geschichtsbücher hatte Skrobala jedoch auch nicht gewälzt. Möglicherweise hatte er ja nur in Bücher der „Neuesten Polnischen Geschichte“ geblickt. Würde sich Skrobala in Neuester Deutscher Geschichte auskennen, wäre er auf den wirklichen Urheber des Zitats gestoßen. „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los“, so beginnt Karl Theodor Körners Lied „Männer und Buben“ von 1813.

Es war die Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon, in der Körners Lied entstand. Wahrscheinlich war das stürmische Zitat deswegen in der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts so beliebt. Nicht nur Goebbels verwendete es, sondern auch Kurt Tucholsky. Ist denn ein Tucholsky-Zitat-Zitat nun auch verwerflich? Das Wasserglas geht eben nur so lange zum Spiegel, bis ein Sturm es bricht. In Körners Lied heißt es übrigens im Kehrreim: „Bist doch ein ehrlos erbärmlicher Wicht (…) Ein deutsches Lied erfreut dich nicht“.