© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/15 / 17. April 2015

Einer wird gewinnen
Landwirtschaft: Das Sondererbrecht bevorzugt einen Erben vor allen anderen. Das hat durchaus seinen Sinn
Christian Vollradt

Ganz leicht war ihr die Sache nicht gefallen. „Ein komisches Gefühl hatte ich schon, als wir da zusammen vor dem Notar saßen und den Vertrag unterschrieben“, meint Christina rückblickend. Gut fünf Jahre ist das nun her. Daß dieses Schriftstück sie rechtskräftig zum „weichenden Erben“ machte und sie damit quasi auf Vermögen verzichtete, war dabei gar nicht ausschlaggebend. „Es war eher dieses Gefühl: Jetzt nehme ich in gewisser Hinsicht Abschied von meinem Elternhaus ...“ Was die 41jährige Pädagogin erlebte, ist nichts Ungewöhnliches – in Bauernfamilien.

Christinas Vater ist Landwirt und hat den Betrieb gemäß der sogenannten nordwestdeutschen Höfeordnung (siehe Kasten) seinem ältesten Sohn überschrieben. Das landwirtschaftliche Sondererb-recht sieht vor, daß – vereinfacht gesagt – einer alles bekommt und die anderen mit ziemlich wenig abgefunden werden. Ziel dieser Bevorzugung ist der Erhalt existenzfähiger landwirtschaftlicher Familienbetriebe. Das sogenannte Anerbenrecht (oder Anerbensitte) hat vor allem im Norden Deutschlands eine lange Tradition, während überwiegend im Südwesten die Sitte vorherrschte, Höfe real auf alle Erben aufzuteilen (Realteilung), was sich nicht zuletzt in der unterschiedlichen Agrarstruktur widerspiegelt.

Damit die Höfeordnung greift, muß die Hofstelle Eigentum einer natürlichen Person sein. Zum Hof gehören die Grundstücke, die Mitgliedschafts- oder Nutzungsrechte sowie das „Hofeszubehör“, also Vieh, Geräte, Vorräte. Hoferbe wird gemäß der Hoferbenordnung meist derjenige, „hinsichtlich dessen der Erblasser durch die Ausbildung oder durch Art und Umfang der Beschäftigung auf dem Hof hat erkennen lassen, daß er den Hof übernehmen soll“, heißt es im Gesetz.

Für Christinas Vater, dessen Vorfahren nachweisbar seit dem 17. Jahrhundert ortsansässige Bauern waren, stand relativ früh fest, daß dies auf ihren Bruder Gernot zutrifft, einen studierten Landwirt. Nicht immer muß es der älteste Sohn sein; in der Verwandtschaft gibt es etwa den Fall, daß die zweitgeborene Tochter den väterlichen Betrieb übernommen hat.

Der Erbe, der üblicherweise „im Wege der vorweggenommenen Hoferbfolge“ (also noch zu Lebzeiten des Erblassers) das Ruder übernimmt, hat jedoch auch Pflichten. Dazu gehört vor allem, daß er die „Altenteiler“ unterstützen muß. Die landwirtschaftliche gesetzliche Altersrente kann nur einen Teil der Absicherung decken. Sie muß ergänzt werden durch ein Wohnrecht der Eltern und Geld, das der Hoferbe ihnen zahlt.

Für Familienbetriebe ist das Sondererbrecht existentiell

Auch wenn die Zahl der Höfe weiter abnimmt und die Einheiten größer werden, ist die Landwirtschaft in Deutschland nach wie vor geprägt vom bäuerlichen Familienbetrieb. Über 93 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe sind laut der Agrarstrukturerhebung von 2007 Einzelunternehmen. Daß dies so ist, liegt eben auch am Sondererbrecht für die Branche. Dennoch gibt es Kritik. Der Deutsche Juristentag 2010 etwa forderte die Abschaffung der Sondererbfolge in der Landwirtschaft und forderte eine erbrechtliche Gleichbehandlung. Allerdings bedeutete das Bundesjustizministerium seinerzeit, eine entsprechende Novellierung sei nicht beabsichtigt. Auch einzelne Wirtschaftswissenschaftler argumentieren, durch die Höfeordnung würden Betriebe, die eigentlich nicht mehr rentabel seien, künstlich am Leben erhalten. Um international konkurrenzfähig zu bleiben, müsse sich die Agrarstruktur jedoch ändern.

Ganz anders sehen das die Interessenvertreter der bäuerlichen Familienbetriebe. So fordert etwa der Deutsche Bauernbund (DBB), der die eigentümergeführten Betriebe in Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen vertritt (JF 12/14), daß auch in diesen Bundesländern ein landwirtschaftliches Sondererbrecht wieder eingeführt wird, das während der SED-Diktatur abgeschafft worden war. Weil auch nach der Wiedervereinigung die Landwirtschaft in den neuen Bundesländern weiterhin von den Nachfolge-Gesellschaften der zwangskollektivierten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) – sowie deren Lobbyisten – dominiert wird, fehlte bisher der politische Wille zu einer solchen Veränderung.

Für den Erhalt der Höfe sowie den sozialen Frieden in den Bauernfamilien ist jedoch gerade das Sondererbrecht existentiell. Andernfalls müßte sich eine Erbengemeinschaft – Landwirte sind oft kinderreich – gemeinsam um einen Betrieb kümmern, was leicht Spannungen erzeugen könnte. Oder die weichenden Erben müßten (nach dem Verkehrswert) höher abgefunden werden. Der berechnet sich nach dem Wert des Nachlasses bei Veräußerung (Verkauf). Land ist teuer, der Wert wäre also hoch, und von einem Betrieb, der fortgeführt werden soll, nicht zu erwirtschaften. Denn in der Landwirtschaft sind bei hohem Kapitaleinsatz die Erträge relativ gering.

Bis ins kleinste Detail reichen häufig die Bestimmungen eines Übergabevertrages; zum Beispiel, wann und wie oft der „Altenteiler“ noch Gebäude oder Fahrzeuge, die zum Betrieb gehören, nutzen darf. In der Praxis muß das allerdings keine Auswirkungen haben. Denn schriftlich festgelegt ist so etwas in erster Linie nur für den Fall, daß schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten oder gar tiefgreifender Streit innerhalb der Familie herrschen.

„Zum Glück kann davon bei uns keine Rede sein“, meint Christina erleichtert. Immer noch fährt sie jede Woche mindestens einmal in ihr Heimatdorf; ihre eigenen Kindern fühlen sich dort wie zu Hause, und denen ist völlig egal, wer im juristischen Sinne nun Eigentümer ist, der Opa oder der Onkel. „Letztlich ist ja das wichtigste, daß der Hof wirtschaftlich gesund ist – und auch in der nächsten Generation im Familienbesitz bleibt.“

Höfeordnung

Die (nordwestdeutsche) Höfeordnung (HöfeO) ist ein Bundesgesetz, das für die Länder Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein gilt. Im wesentlichen besagt dieses landwirtschaftliche Sondererbrecht (ähnliche Gesetze gibt es auch in einigen anderen Bundesländern), daß ein Bauernhof ungeteilt an einen Erben („Anerben“) geht. Es unterscheidet sich damit von der in Süddeutschland praktizierten Realteilung und sorgt dafür, daß die Betriebe existenzfähig bleiben. Die „weichenden Erben“ erhalten – anders als beim Erben nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (siehe Seite 7) – eine Abfindung, die nicht auf dem Verkehrswert des Betriebes beruht. Historisch beruht es auf altem sächsischen Recht, das zeitweilig durch das sogenannte Reichserbhofgesetz (gültig von 1933 bis 1947) vereinheitlicht worden war. In den neuen Bundesländern, wo das Sondererbrecht seit 1949 nicht (mehr) gilt, kämpft der Deutsche Bauernbund, die Interessenvertretung der Familienbetriebe, für eine Wiedereinführung.

Foto: Bauernhof-Idylle mit mehreren Generationen: Nach wie vor ist die deutsche Landwirtschaft geprägt vom Familienbetrieb