© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/15 / 17. April 2015

Aufgeweichte Positionen
Parlamentswahl Finnland: Die ehemals rechtspopulistischen Wahren Finnen meiden die Polarisierung
Anni Mursula

Die Angst vor den Russen steckt uns Finnen in den Knochen“, sagt Sinikka Savolainen, eine 54jährige Journalistin aus Helsinki. „Es ist nun mal so, daß unsere gemeinsame Grenze 1.300 Kilometer mißt.“ Mit ihrer Angst steht Savolainen nicht alleine. „Auch die jüngere Generation spricht kaum von etwas anderem – in der Kneipe, beim Mittagessen in der Kantine oder beim Arbeitsplatz“, erzählt Sofia Virtanen, eine 32jährige Modedesignerin aus Lahti.

Die Ukrainekrise hat geradezu eine lähmende Wirkung auf die seit dem Nokia-Absturz stark stagnierende Wirtschaft des nordischen Landes mit etwa zehn Prozent Arbeitslosigkeit: „Ich würde gerne ein Haus kaufen und eine Familie gründen“, sagt Virtanen. „Aber wer traut sich schon, Hunderttausende Euro in einem Land zu investieren, in dem man glaubt, Wladimir Putins Atem ständig im Nacken zu spüren?“

Euroskepsis ist kein

Alleinstellungsmerkmal

Bei einer derartigen Stimmung ist es kein Wunder, daß die sicherheitspolitische Lage Finnlands zu den wichtigsten Themen bei der Parlamentswahl am kommenden Sonntag zählt. Während sich die Lösungsansätze der Parteien zwischen Nato-Eintritt und Investitionen in den Verteidigungsapparat unterscheiden, sehen alle Parteien gleichermaßen in Rußland eine Bedrohung für Finnland.

Es sind vor allem die etablierten Kräfte, die davon profitieren. Schließlich orientieren sich Menschen in Krisenzeiten gerne an Altbewährtem. Da bleibt kaum Platz für eine neue Protestpartei, als welche die Wahren Finnen (PS) immer noch gelten. Und das, obwohl sie bei der Parlamentswahl 2011 sogar mit 19 Prozent drittstärkste Kraft geworden waren.

Damals hatte die Partei, die sich selbst als populistisch bezeichnet, auf die Euroskepsis der Finnen gesetzt und damit viele Wähler der anderen Parteien zu sich geholt. Auch wenn die Wahren Finnen den Gang in die Opposition wählten, blieb ihr Wahlerfolg nicht ohne Konsequenzen: Die konkrete Forderung nach einem „Finnenpfand“ aus Athen für das Eurorettungspaket war die Folge des guten Abschneidens der PS und damit ein direkter Ausdruck des Volkswillens. Zum Glück, sagen viele Finnen. Denn im Gegensatz zu den restlichen EU-Ländern, die vielleicht nie wieder ihr Geld sehen werden, sind an Finnland seit 2011 von Griechenland 930 Millionen Euro auf ein eigens für diesen Zweck eingerichtetes Treuhandkonto eingegangen.

In den vergangenen vier Jahren entdeckten aber auch die Regierungsparteien die Euroskepsis thematisch für sich. Was dazu führte, daß den Wahren Finnen ein wichtiges Wahlkampfthema und Alleinstellungsmerkmal wegbrach. Das wird laut Prognosen Konsequenzen haben. Umfragen sehen die Partei als großen Wahlverlierer: Mit nur 14,6 Prozent könnten sie gerade mal den vierten Platz erreichen.

Für viele Finnen ist die Partei des immer moderater gewordenen Soini überflüssig geworden. Die einstige Protestpartei hat nach Ansicht ihrer Stammwählerschaft zu viele ihrer Positionen aufgeweicht. Unbequeme Personen wurden entfernt oder nach Brüssel geschickt, und kontroverse Themen wie Einwanderung spielten kaum noch eine Rolle im Wahlkampf. Dabei hätte gerade die Islamisierung thematisiert werden können: Laut dem finnischen Nachrichtendienst SUPO haben in den vergangenen Monaten mehr als 60 überwiegend somalische Männer Finnland verlassen und sich dem IS angeschlossen.

Doch anstatt vor der bemerkenswerten Radikalisierung junger islamischer Männer zu warnen, betonte PS-Chef Timo Soini, daß Finnland kein Migrationsproblem hätte. „Finnland gehört zu den Ländern der Welt, die am wenigsten Einwanderung haben“, sagte Soini in einem Interview für den öffentlichrechtlichen Sender Yle: „Wir haben ein sicheres, schönes Land. Ich frage mich, warum nicht mehr Menschen hierher kommen wollen.“

Viele der enttäuschten PS-Wähler werden laut Prognosen zurück zur Zentrumspartei (Kesk) kehren. Damit könnte es laut einer aktuellen Meinungsumfrage zu einem „schockierenden“ Sieg für die Zentrumspartei kommen, die sich in den vergangenen vier Jahren die Oppositionsbank mit den Wahren Finnen teilte. Schockierend, weil die Zentrumspartei in den Umfragen einen Vorsprung von acht Prozentpunkten zu der regierenden liberalen Sammlungspartei (Kok), hat. Eine aktuelle Meinungsumfrage spricht sogar von insgesamt 24,9 Prozent für das ländliche Zentrum (15,8 Prozent 2011).

Doch gerade eine schwächere Position innerhalb der führenden Parteienquadriga könnte am Sonntag die Chancen der Wahren Finnen auf eine Regierungsbeteiligung erhöhen. Soini behauptet sogar, eine Regierungsbildung ohne seine Partei könnte „unmöglich“ sein. Während er 2011 noch aus Prinzip in die Opposition ging, will er dieses Mal ganz offensichtlich mit am Regierungstisch sitzen. Und er weiß, daß er dafür nicht mehr zu sehr polarisieren darf.

Foto: Wahre-Finnen-Chef Timo Soini: Kehrtwenden irritieren die Wähler