© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/15 / 17. April 2015

Vom Geben und Nehmen
Erben: In Deutschland wird es in nächster Zeit Erbschaften von erheblichem Ausmaß geben. Davon profitiert auch der Staat
Heiko Urbanzyk

Eigentlich gehen Erbschaften niemanden etwas an, außer den Erblasser und die Erben selbst, zumeist also die Familie des Verblichenen. Laut einer Postbank-Studie fallen bis zum Jahre 2020 Erbschaften von historischem Ausmaß an, sowohl was die Anzahl der Fälle als auch das Volumen des Erbes angeht.

Die gut verdienende, sparsame Wirtschaftswundergeneration tritt ab. Erbschaften unter 25.000 Euro werden die Ausnahme sein, Erbschaften über 100.000 Euro nehmen zu. Die schätzungsweise zwei bis vier Billionen Euro, die in den nächsten Jahren ihren Eigentümer wechseln werden, wecken auch Begehrlichkeiten beim Staat – und bei linken Umverteilern.

Erbschaften als Gefahr für die Demokratie?

Keine Schonung für Millionenerben forderte Ende März Michael Schlecht, der wirtschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. Die Notwendigkeit einer „massiven Erhöhung der Erbschaftssteuer“ begründet er mit der Schaffung weiterer Einnahmequellen für den Staat und einem Abbau gesellschaftlicher Ungleichheit. Zuvor meldete sich Linken-Parteivorsitzender Bernd Riexinger zu dem Thema: „Erben ist keine Leistung“, wetterte er. Hintergrund ist die anstehende Neuregelung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG), die bis Juni 2016 unter Dach und Fach gebracht werden muß. Diese Frist setzte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2014, in der es die steuerliche Privilegierung von mittleren und kleinen Unternehmen kassierte.

Drei der Karlsruher Richter betonten in einem Sondervotum die Pflicht des Staates, ungleiche Vermögensverteilung zu verhindern: „Die Erbschaftsteuer dient nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, sondern ist zugleich ein Instrument des Sozialstaats, um zu verhindern, daß Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert und allein aufgrund von Herkunft oder persönlicher Verbundenheit unverhältnismäßig anwächst.“ Die Zeit-Journalistin Julia Friedrichs sieht in den anfallenden Erbschaften der nächsten Jahre sogar eine Gefährdung der Demokratie. Sie befürchtet eine Revolte der Nichterben.

Laut dem Deutschen Institut für Altersvorsorge (DIA) werden hierzulande jährlich 250 Milliarden Euro vererbt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnet mit lediglich 60 Milliarden Euro, während wieder andere Schätzungen von 360 Milliarden ausgehen. Es gibt schlichtweg keine Erbstatistik, die das klar ausweisen könnte.

Wie funktioniert das eigentlich, Erben? Im Gesetz klingt es zunächst einfach. Paragraph 1922 Absatz 1 BGB regelt: „Mit dem Tode einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über.“ Diese sogenannte Gesamtrechtsnachfolge bewirkt, daß der Erbe gleichermaßen „automatisch“ das Vermögen wie auch die Schulden erbt, wie es der Volksmund vereinfacht. Der Erbe tritt darüber hinaus in sämtliche Rechtspositionen des Verstorbenen ein, sofern diese nicht höchstpersönlich sind. Einfach gesagt: Im Regelfall erbt der Sohn nicht Papas Vereinsmitgliedschaften, wohl aber den Anspruch auf Rückzahlung eines Darlehens, das Opa einem Verein gewährt hatte. Die Tochter hingegen mag zwar das Hausgrundstück erben, tritt jedoch ebenso in Vaters Stellung als Adressat der ordnungsgemäß erlassenen Abrißverfügung für die schwarzgebaute Garage ein – und hat der Verfügung Folge zu leisten.

Die Rechtsprechung zu dem, was vererblich ist und was nicht, ist umfangreich und durchaus Wandlungen unterlegen. So ging beispielsweise das Bundesarbeitsgericht bis zum Jahr 2014 davon aus, daß ein finanzieller Ausgleich für nicht genommenen Urlaub als höchstpersönlicher Anspruch des Arbeitnehmers nicht bei dessen Tod vererbt wird. Vor knapp einem Jahr stellte der Europäische Gerichtshof das Gegenteil fest. Verstirbt ein Arbeitnehmer und steht ihm zum Todeszeitpunkt noch Resturlaub zu, können seine Erben vom Arbeitgeber Urlaubsabgeltung verlangen.

Die Hälfte aller Erbschaften sorgt für Familienstreit

Fraglich ist häufig, wer überhaupt Erbe von etwas geworden ist. Das regelt im besten Falle ein Testament, wahlweise ein Erbschaftsvertrag. Im besten Falle? Hier wird es unübersichtlich, und der Tanz unter den möglichen Erben beginnt. Ein Testament kann gemäß Paragraph 2231 BGB zur Niederschrift eines Notars festgehalten werden oder eigenhändig, privatschriftlich.

Wer seinen Nachlaß auf eigene Faust regelt, stolpert gegebenenfalls über seine Rechtsunkenntnis. Wer beispielweise seinen „mißratenen Sohn“ enterbt, weil dieser statt einer Ehe mit Frau und drei Kindern eine homosexuelle Lebenspartnerschaft ohne Kinder vorzog, vergißt unter Umständen, daß dem Sohn der Pflichtteil bleibt. Der Pflichtteil aber kann gemäß Paragraph 2333 BGB nur unter besonderen Umständen entzogen werden, zum Beispiel bei Straftaten gegenüber dem Erblasser. Nicht zuletzt bedarf es bestimmter Formerfordernisse im Testament, die Paragraph 2247 BGB regelt. Dazu gehört die Eigenhändigkeit der Errichtung, also das Verfassen in der eigenen Handschrift; ein Tonbanddiktat ist ebenso formnichtig wie ein compu- tergeschriebenes Schriftstück. Wer solche und weitere Formalitäten nicht befolgt, verstirbt unter Umständen ohne seinen Nachlaß wirksam geregelt zu haben.

Wer im stillen Kämmerlein testiert, läuft zudem Gefahr, daß die letzte große Verfügung verlorengeht, durch sich benachteiligt fühlende Personen bewußt zurückgehalten oder gar gefälscht wird. Das Testament vor dem fachkundigen Notar schützt vor Streitigkeiten allerdings kaum mehr. Wo sich ein (potentieller) Erbe benachteiligt fühlt, wird es immer Streit über die mitunter komplizierte Auslegung geben. Trotzdem: Am juristischen Rat im Vorfeld sollte nicht gespart werden.

50 Prozent aller Erbangelegenheiten verursachen Familienzwist; 20 Prozent der betroffenen Familien finden nie wieder zueinander. Ein Klassiker, der in ungezählten Varianten vorkommt: Papa erlebte auf seine alten Tage noch einmal den zweiten Frühling mit seiner zwanzig Jahre jüngeren Geliebten, die gemeinsam mit ihm sein Haus bewohnt. Laut seinem Testament erben seine drei Kinder das Hausgrundstück – die Geliebte soll ein lebenslanges Wohnrecht ohne Mietzahlungspflichten behalten. Das war von Papa nett gemeint, aber war ihm klar, was er damit anrichtet? Die Kinder können mit einem Haus, das noch auf Jahrzehnte fremdbewohnt ist und nicht einmal Mieteinnahmen abwirft, nichts anfangen. Die Kosten könnten sogar ruinös sein. Der Streit ist programmiert, noch bevor Papas Grabkränze verwelken. Papa hätte zu Lebzeiten besser mit den Begünstigten über seine Pläne sprechen sollen. Dies aber vermeiden zwei Drittel aller Erblasser laut der Postbank-Studie.

Einen Bärendienst erweist seinen Erben unter Umständen derjenige, der alle Jahre wieder ein neues, geändertes Testament in Umlauf bringt. Dies ist zwar zulässig, und das jeweils ältere wird durch das neue Testament widerrufen. Das aber werden jene Erben, die im neueren Testament schlechter dastehen, nicht auf sich sitzen lassen. Wer kein Testament hat, überläßt die Regelung der gesetzlichen Erbfolge des BGB. Diese sieht vor allem die Kinder, Eltern und den Ehepartner des Verstorbenen als wichtigste Erben vor. Sind gar keine Erben vorhanden, erbt der Staat – eine Regelung, die mit der Verfestigung von Kein-Kind- und Ein-Kind-Familien noch an Bedeutung gewinnen könnte.

Sich selbst ein Denkmal setzen und stiften

Wer den Erben solchen Streß ersparen möchte, kann zur Schenkung unter Lebenden greifen: der „vorweggenommenen Erbfolge“. Der Schenkungssteuerpflicht nach dem ErbStG entgeht hier allerdings nur, wer vorausschauend schenkt – oder nicht viel abzugeben hat. Paragraph 16 ErbStG regelt Freibeträge. Schenkungen unter Eheleuten sind beispielsweise bis zu 500.000 Euro steuerfrei, Kinder und Enkelkinder bis zu 400.000 Euro. Gestückelte Schenkungen dürfen innerhalb von zehn aufeinanderfolgenden Jahren in der Summe die Freibetragsgrenze nicht überschreiten. Ein Patentrezept sind Schenkungen nicht. Wer den Kindern sein Eigenheim in der Hoffnung auf eine lebenslange häusliche Pflege überträgt, kann trotzdem bitter enttäuscht im Altersheim enden.

Die Beschenkten könnten nicht weniger böse überrascht werden: Wird der Schenker innerhalb von zehn Jahren nach der Schenkung zum Sozialfall, kann er diese nach Paragraph 528 BGB zurückfordern. Macht er dies nicht, wird sich der Staat beim Beschenkten melden und den Anspruch des neuen Sozialfalles geltend machen – dies ist der Regelfall der Schenkungsrückforderung.

Wer sich selbst ein Denkmal setzen oder einfach nur Gutes tun möchte, kann sein Vermögen in eine Stiftung überführen – zu Lebzeiten oder durch Testament. Stiftungen verfolgen einen vom Stifter bestimmten Zweck, der in der Regel in der Satzung festgelegt wird.

In Deutschland gibt es über 20.000 rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts. Diese Stiftungen sind staatlich anerkannt, unterliegen allerdings damit auch staatlicher Aufsicht. Wen das stört, der kann eine nichtrechtsfähige Stiftung gründen. Diese „ist keine Stiftung zweiter Klasse, sondern eine interessante Alternative: Auf diese Weise läßt sich schnell und unkompliziert eine Stiftung ins Leben rufen, da sie keiner staatlichen Anerkennung bedarf“, wie der Stifterverband für die Deutsche Wirtschaft e.V. mitteilt. 30.000 bis 80.000 solcher Stiftungen gibt es geschätzt. Laut Stifterverband fördert ein Drittel der deutschen Stiftungen soziale Zwecke. Weitere 50 Prozent fördern Wissenschaft, Kunst, Kultur, Bildung und Erziehung. 69 Prozent der Stifter sind Privatpersonen. Der Stifterverband bietet interessierten Gründern ein „Baukastensystem“ für die eigene Stiftung an.

Bei gemeinnützigen Stiftungen sind die Errichtung sowie spätere Zustiftungen gemäß Paragraph 13 Absatz 1 Nr. 16 b) ErbStG von der Erbschafts- und Schenkungsteuer befreit. Wegen solcher steuerlicher Begünstigungen werden Stifter oft als Steuersparer verächtlich gemacht. Wer sein Vermögen in eine Stiftung überführt, gewinnt tatsächlich einzig die Befriedigung an der guten Tat – das Geld im Sinne von privat verfügbarem Vermögen ist weg. Selbst wenn Stiftungen im Einklang mit Paragraph 58 Nr. 6 Abgabenordnung aus bis zu einem Drittel ihrer Erträge dem Stifter und seinen nächsten Angehörigen einen angemessenen Unterhalt finanzieren, müssen die Geldempfänger selbst dieses „Einkommen“ versteuern. Den Begehrlichkeiten des Staates ist nicht zu entkommen.

Gesetzliche Erbfolge

Gemäß der gesetzlichen Erbfolge schließen Verwandte einer näheren Ordnung solche einer entfernteren Ordnung vom Erbe aus. Das gleiche gilt innerhalb einer Ordnung (Kinder stehen vor Enkeln). Der Erbteil des Ehegatten steht selbständig daneben. Er liegt bei einem Viertel (gegenüber Erben 2. Ordnung bei der Hälfte). Lebten die Ehegatten (wie üblich) in einer Zugewinngemeinschaft, dann erhöht sich der Anteil des überlebenden Partners um ein weiteres Viertel. Wer von dieser Regel abweichen will, muß das in einem Testament schriftlich festhalten.

Foto: Kleines Kind, großes Geld: Daß Nachkommen vom Vermögen ihrer Vorfahren profitieren, empfinden viele Linke als ungerecht