© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/15 / 17. April 2015

Vor hundert Jahren: Völkermord an den Armeniern
Verdrängen ist gefährlich
Gernot Facius

Schuld, die nicht gesühnt wurde, hat das Potential, die Gegenwart zu vergiften. So gesehen ist der ausdrückliche Hinweis von Papst Franziskus auf den Völkermord an den Armeniern vor genau hundert Jahren ein Appell, ein Weckruf an alle Nationen: „Wo es keine Erinnerung gibt, hält das Böse die Wunden offen.“

Der römische Pontifex stellt den von der Regierung der nationalistischen Jungtürken verübten Genozid in eine Reihe mit den Großverbrechen Hitlers und Stalins. Er gibt der Wahrheit den Vorrang vor sanfter Diplomatie und nimmt wütende Reaktionen aus Ankara in Kauf. Franziskus erteilt, wenn man so will, auch Regierungen wie der in Berlin eine Lektion.

In der Bundeshauptstadt drückt man sich um eine klare Einordnung der Massaker und Deportationen als Völkermord herum, man möchte das Thema lieber den Historikern überlassen, also weit von sich wegschieben. Verdrängung ist angesagt. Sie kann freilich bittere Folgen nach sich ziehen. Wer rede heute noch von der Vernichtung der Armenier? So fragte einst Hitler im Sommer 1939. Dieser Genozid war das Muster für andere „Endlösungen“.

Heute, meint der bekannte katholische Kirchenhistoriker Rudolf Grulich, ein Sudetendeutscher, sei die Frage berechtigt: Wer redet noch von den deutschen Vertreibungsopfern nach 1945?