© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

Bismarck und sein Draht nach Rußland
Außenpolitik der Zweckbündnisse: Trotz der Gegensätze war ein gutes Verhältnis zum Zarenreich eine politische Maxime
Jürgen W. Schmidt

Bismarcks Verhältnis zu Rußland war wesentlich pragmatischer als beispielsweise das unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel. So wäre für ihn die Ukraine gewiß nicht die gesunden Knochen eines einzigen deutschen Grenadiers Wert gewesen. Und sicherlich hätte er sich gefragt: „Welcher Nutzen ergibt sich aus der Stützung der Ukraine, der für uns die zu erwartende Feindschaft Rußlands aufwiegt?“ Etwaige Verweise auf die Notwendigkeit der Etablierung von „Menschenrechten“ und „Freiheit“ hätte Bismarck mit Verweis auf seine gemachten Erfahrungen mit Rußland kategorisch abgeschmettert.

Bismarck kannte Rußland persönlich aus dreijähriger Tätigkeit als preußischer Gesandter in Petersburg von 1859 bis 1861, wo er zum Zaren und den russischen Führungsschichten sehr gute Beziehungen knüpfte und sich einen entsprechenden Ruf erwarb. Dabei kam ihm seine persönliche Beherrschung der russischen Sprache entgegen. Einem Unterstellten Bismarcks, dem jungen Diplomaten Arthur von Brauer, fiel noch Jahre später in Berlin auf, daß Bismarck ihm vorgelegte amtliche Berichte mit Anmerkungen in russischer Sprache versah.

Bismarck stellte das allerdings sofort ein, als er bemerkte, daß auch von Brauer das Russische beherrschte, denn in die Karten ließ sich Bismarck nicht gern sehen. Der preußische Politiker Bismarck war in der Tradition der preußisch-russischen Freundschaft aus der Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon groß geworden. Zudem verbanden gerade im 19. Jahrhundert vielfache und enge Familienbande die Häuser Hohenzollern und Romanow. König Friedrich Wilhelm IV. ließ sich während des Krimkrieges 1854/55 partout nicht dazu bewegen, sich der englisch-französisch-türkisch-piemontesischen Koalition gegen Rußland anzuschließen, sondern blieb wohlweislich neutral. Bismarck fand diese Haltung völlig zweckentsprechend.

Unter dem frisch im Amt befindlichen preußischen Ministerpräsidenten Bismarck schloß Preußen sodann während des großen polnischen Aufstandes von 1863 die Alvenslebensche Konvention ab, welche es russischen Truppen ermöglichte, bei der Verfolgung Aufständischer kurzfristig die preußische Grenze zu überschreiten. Solches Handeln wurde in Rußland ebenso aufmerksam wie wohlwollend registriert. Zum Dank nahm Rußland während des österreichisch-preußischen Krieges von 1866 und des deutsch-französischen Krieges 1870/71 eine wohlwollende Neutralität ein, welche Bismarck in beiden Fällen den Rücken freihielt.

Über den russischen Nationalcharakter, welchen Bismarck aus eigenem Erleben kannte, und über die in ihren Methoden stets rücksichtslose, niemals wählerische Politik Rußlands machte Otto von Bismarck sich trotzdem keine Illusionen. Allerdings wußte er im Gegensatz zu manchen heutigen Politikern, daß in der Politik nicht hohle Schlagworte oder ein blauäugiger Idealismus zählen, sondern harte Fakten.

Für Bismarck war Politik stets ein ausbalanciertes Verhältnis von „Geben und Nehmen“. Ihm war klar, daß für Rußland einzig die eigenen nationalen Interessen zählen, genau wie für Bismarck die nationalen Interessen Preußens, später die von ganz Deutschland, zählten. Bismarck hatte aber ebenso begriffen, daß es kaum grundlegende Widersprüche zwischen den deutschen und russischen Interessen gab und sich die Interessen beider Staaten ziemlich oft überschnitten und sinnvoll ergänzten, zum Beispiel in Handel und Wirtschaft. Deshalb legte Bismarck stets so großen Wert auf die Erhaltung guter Beziehungen zu Rußland.

Bismarck wäre heute ein Putinversteher

Ihm wäre es nie in den Sinn gekommen, in Rußland etwa einen „Regimechange“ zu verlangen oder die „Demokratisierung“ Rußlands klammheimlich oder offen zu fördern. Dagegen hätte Bismarck für die Moskauer Krim-Politik nicht nur deshalb Verständnis gehabt, da er sie als Konflikt jenseits eigener Interessensphären eingeordnet hätte. Wie der Frankfurter Neuhistoriker Andreas Fahrmaier anläßlich Bismarcks 200. Geburtstages bemerkte, ähnele die Politik Putins auch jener des Altmärkers. Beider Handeln sei davon dominiert, „kurzfristige Erfolge zu erreichen, Fakten zu schaffen und Zeit zu gewinnen“. Für Bismarck zählte einzig und allein, daß es mit einem befreundeten Rußland im Rücken nie zu einem Zweifrontenkrieg für Deutschland kommen könne. Deshalb war der 1887 geheim abgeschlossene Rückversicherungsvertrag mit Rußland ein wichtiger Baustein in der außenpolitischen Architektur, um der befürchteten „Einkreisung“ zu entgehen.

Als sein Nachfolger im Amt des Reichskanzlers General Leo von Caprivi jenen „Draht nach Rußland“ abreißen ließ, obwohl Rußland an der Fortsetzung interessiert war, bewertete dies Bismarck als schweren Fehler. Er schrieb am 1. Februar 1893 in einem Zeitungsartikel für die Hamburgischen Nachrichten, als sich geringe Hoffnung zeigte, jenen Draht wiederherzustellen: „Wenn die zerrissenen Drähte, die Berlin und Sankt Petersburg verbanden, jetzt wieder angeknüpft werden, so wollen wir uns im Interesse ihrer neuen Befestigung für alle Zukunft jeder Kritik der Vorgänge enthalten, welche die Ursachen ihres Abreißens gewesen sind.“ Genau dasselbe würde Bismarck vermutlich über das gegenwärtige deutsch-russische Verhältnis sagen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen