© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

Sonntagsruhe
Die Innenstädte leiden
Steffen Königer

Daß sich Deutschland zu einer Dienstleistungswüste entwickelt, ist hinlänglich bekannt. Verglichen mit vielen anderen europäischen Ländern oder gar den Vereinigten Staaten von Amerika lassen unsere strengen Ladenschließzeiten an Sonn- und Feiertagen nichts von liberalem oder marktwirtschaftlichem Staatsverständnis erahnen. Mit fadenscheinigen Begründungen von Gewerkschaften wird auf die angebliche Unzumutbarkeit verwiesen, den Betrieb am Laufen zu halten und die Bedürfnisse der Konsumenten so gut wie es irgend geht zu befriedigen. Wohlgemerkt: Die Konsumenten – das sind wir alle.

Angesichts dieser Sachlage stellen sich schon zwei Fragen: Was sollen denn Not- und Rettungsdienste sagen, wenn sie am Feiertag zu einem Einsatz ausrücken müssen? Und zaubert es nicht ein verständnisloses Lächeln in die Gesichter von Kellnern, Köchen, Wirten und Taxifahrern, wenn sie diese wiederkehrende Diskussion verfolgen? Schließlich sind sie das reguläre Arbeiten gerade an Sonn- und Feiertagen von Beginn ihres Berufslebens an gewohnt.

Wieder einmal regelt der Staat Dinge, die sich marktwirtschaftlich selbst regeln würden. Es ist dem kleinen und mittelständischen Unternehmen durchaus zuzutrauen, im Sinne seiner Kunden und Mitarbeiter selbst zu entscheiden, wann es öffnet.

Die CDU stellt sich öfter gegen eine Erweiterung der Öffnungszeiten des Einzelhandels und schiebt hier verhinderte Gottesdienstbesuche am Sonntagmorgen als Grund vor. Wie aber sehen das die zu 95 Prozent katholischen Polen, dieses emsige Nachbarvolk, bei dem es selten Geschäfte und Einkaufszentren gibt, die nicht auch selbstverständlich am Sonntag ihre Türen öffnen? Auch die evangelischen Landeskirchen melden sich immer wieder zu Wort, wenn es um die Verteidigung des arbeitsfreien Sonntags geht – die Gotteshäuser der Protestanten werden trotzdem nicht voller. So weiterargumentiert, schlägt die EKD in den nächsten Jahren vielleicht auch die gesetzliche Einrichtung arbeitsfreier Freitage für unsere moslemischen Mitbürger vor.

Zu den wenigen Nutznießern dieser Verbotsgesetze zählen Tankstellen und sogenannte „Spätis“, die sieben Tage die Woche rund um die Uhr geöffnet haben. Die Verlierer sind die Innenstädte mit kleineren Ladenbetreibern, die ohnehin schon einen schweren Stand gegenüber großen Einkaufszentren in Stadtrandlage haben. Fußgängerzonen, in denen am Wochenende Touristen in den Cafés sitzen, hätten wenigstens an diesen Tagen mehr Besucher, wenn neben dem Cappuccino noch eine Einkaufstüte stehen könnte.

Das jüngste Beispiel dafür, wie Staat und Wirtschaft gegeneinander spielen können, ist die brandenburgische Landeshauptstadt Potsdam. Einige Geschäfte öffneten trotz kurzfristig ergangenen gerichtlichen Verbots und bekamen nun ein saftiges vierstelliges Ordnungsgeld aufgebrummt. Wem schadet so etwas? Natürlich der Stadt als Wirtschaftsstandort, dem Einzelhandel in der Innenstadt und damit auch dem Kunden. Und letztlich auch dem gewerkschaftsmäßig in Schutz genommenen Angestellten. Nichts war es mit dem vielleicht schon eingeplanten Zusatzverdienst am Sonntag. Danke, Verdi – macht mal eine ehrliche Umfrage, ob die Beschäftigten auf solche Weise bevormundet, Verzeihung, in Schutz genommen werden wollen!

Wieder einmal regelt der Staat Dinge, die sich rein marktwirtschaftlich betrachtet selbst regeln würden. Es ist dem kleinen und mittelständischen Unternehmen durchaus zuzutrauen, im Sinne seiner Kunden wie seiner Mitarbeiterschaft selbst zu entscheiden, wann es öffnet, ob es dafür genügend Ressourcen hat und wie es das Ganze sozialverträglich gestaltet, so daß alle zufrieden sind. Die Vorteile liegen auf der Hand: mehr Arbeitsplätze, mehr Umsatz, mehr Steuereinnahmen. Es ist Realität, daß es sehr viele Familien gibt, die gar keine andere Möglichkeit haben, als nur sonntags zusammen einen Einkaufsbummel zu machen.

Es ist überhaupt nicht nachzuvollziehen, warum Deutschland auch hier einen Sonderweg geht, der uns den Spott unserer europäischen Nachbarn einbringt. Es steht zu befürchten, daß der Staat sich auch weiterhin hier einmischt – und durch Ereignisse wie solche in Potsdam die kleinen Händler noch weiter an die Wand drückt. Dann werden Fußgängerzonen lediglich noch eine Aneinanderreihung von Banken, Schnellimbißbuden und Großhandelsketten sein. Auch eine Art Entwicklung. Wollen wir die?

 

Steffen Königer, Jahrgang 1972, ist Abgeordneter der AfD-Fraktion im Landtag Brandenburg und dort Mitglied im Ausschuß für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie. Zuvor arbeitete er als selbständiger Hand-werker.

Der Sonntag ist arbeitsfrei. Eigentlich. Die Tendenz geht in eine andere Richtung. Zwar erlaubt das Arbeitszeitgesetz die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen nur in engbegrenzten Ausnahmefällen, so etwa um „erhebliche Schäden zu vermeiden“. Feuerwehr, Polizei, Busfahrer und Schaffner, Krankenschwestern oder Ärzte der Notaufnahme sind an allen Tagen im Dienst, Gastronomiebetriebe werden an Sonntagen verstärkt besucht. Diese per Gesetz geltenden Ausnahmen vom Sonntagsschutz werden von den Bundesländern jedoch nach Ermessen ausgedehnt. Gerade ist die touristisch stark gefragte Landeshauptstadt Potsdam vom Oberverwaltungsgericht Brandenburg in die Schranken gewiesen worden, mehr als die landesweit üblichen sechs verkaufsoffenen Sonntage durchzusetzen. Nach einer Erhebung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln arbeitete 2011 beinahe jeder sechste Erwerbstätige regelmäßig an Sonn- und Feiertagen. Deutschland steht im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern verhältnismäßig strukturkonservativ da. Aber so, wie auf anderen gesellschaftspolitischen Feldern überlieferte Gewißheiten geschleift werden, wird auch am arbeitsfreien Sonntag gesägt. Die Geschäfte sind zu. Die Debatte ist eröffnet. (JF)

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