© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

Begierden befriedigen
Abweichung und Perversion: Eher lachhaft als lustig ist die Sex-Komödie „Der kleine Tod“ von und mit Josh Lawson
Sebastian Hennig

Die australische Filmkomödie „Der kleine Tod“ führt uns ein in die Schrecken einer ungesunden Normalität. Diese Normalität war nicht immer schon gegeben, sie hat in den letzten Jahrzehnten nach und nach um sich gegriffen. Wasser der Subkulturen wurden von allen Seiten dem Hauptstrom zugeleitet. Unter Beachtung des natürlichen Gefälles zum Niedrigsten hin, gelang es den Regulatoren, den Mainstream umzuwidmen. Der Ökologe würde sagen, das Gewässer kippte um.

So ist zum Beispiel die sexuelle Abweichung in die durchschnittliche Gesellschaft diffundiert. Zwar ist es bei uns gottlob noch nicht ganz so weit damit wie andernorts. Doch die Resonanz auf den gegenwärtigen Kassenschlager „Fifty Shades of Grey“ zeigt uns, wo die Reise hingeht. Friedrich Nietzsche hat es prophezeiht: „Es kommt die Zeit des verächtlichsten Menschen, der sich selber nicht mehr verachten kann.“

„Der kleine Tod“ ist das Debüt eines Schauspielers. Ein Drehbuch ist nur rudimentär zu erkennen. Anderthalb Stunden lang schauen wir fünf Paaren über dreißig zu, „die in einer mittelmäßigen Vorstadt ihren Mittelklasse-Traum leben“. Dazu gehört, daß sie, teils mit Hilfe von Paartherapeuten, teils autodidaktisch darum bemüht sind, dem Kopulationssport eine neue spannungsvolle Grundlage zu verleihen. Es geht zu wie beim Handel mit Emissionszertifikaten. Während der Appetit auf die unreinlichen Begierden des einen befriedigt wird, hat der andere etwas gut.

Nicht immer tun sich dabei pathologische Abgründe auf. Paul (gespielt von Josh Lawson, der auch Regie und Buch verantwortet) wird als besinnungsloser Fußfetischist eingeführt. Seine Frau Maeve (Bojana Novakovic) ist bereits einigermaßen gelangweilt durch diese einseitigen Begierden. Sie träumt ihrerseits davon, durch ihren Liebsten auf freier Wildbahn unvermutet überwältigt zu werden.

Der ist perplex und braucht eine Weile, bevor er den Ernst der Herausforderung erfaßt. Seine Willfährigkeit, den Aggressor zu spielen, wird ihm am Schluß des Films zum lebensbedrohlichen Verhängnis. Unterdessen erfährt der Zuschauer noch einiges über Somnophilie, Dacryphilie, Fetisch-Rollenspiele und Telefon-Skatologie. Letzeres hat nicht mit dem verbreiteten Kartenspiel zu tun. Monica (Erin James) ist Dolmetscherin für Gebärdensprache bei einem Videotelefondienst. Der taubstumme Sam (T. J. Power) verlangt von ihr, ihn mit einer Telefonsex-Dienstleistung zu verbinden und fordert obszöne Vermittlung. Indem die Übersetzerin ihm bei der Triebabfuhr assistiert, wird sie zur Komplizin. Doch mit dem Abschalten der Rechnerverbindung erlischt auch die temporäre Verbindlichkeit zwischen den beiden Menschen.

Ernst Jünger hat den Liebesakt mit einem Naturbild gefaßt, das selber liebenswürdig ist. Das Weib würde den Mann wie die Spinne die Fliege umfangen und der Mann das Weib wie ein Tiger das Lamm. Die umständlichen Hantierungen und Manipulationen in diesem Film sind von solcher unschuldigen Vertierung weit entfernt. Die Frauen wirken wie Katzen, und die Männer blicken immer ein wenig hündisch. Im Wettbewerb um den kleinsten Tod werden sie alle etwas zu seelischen Selbstmördern.

Für den running gag des Films sorgt ein Sexualverbrecher (Kym Gyngell), der seine Strafe verbüßt hat. Er muß sich vorschriftsmäßig seiner neuen Nachbarschaft vorstellen. Meist kommt er damit ungelegen. Als Präsent überreicht er selbstgebackene Pfefferkuchen-Neger. Ein offenbar so traditionelles wie politisch unkorrektes Backwerk. Zwischen den intimen Sex-Gangstern im Fertigteilhaus wirkt der rechtskräftig verurteilte Perversling wie ein gewöhnlicher Zeitgenosse.

Der Regisseur sagt: „Die Geschichte legt dem Zuschauer (hoffentlich) nahe, daß wir Sex nicht immer so ernst nehmen sollten. Es ist Teil des täglichen Lebens! Es ist eine normale Funktion des menschlichen Körpers, und aus diesem Grund denke ich nicht unbedingt, daß der Film besonders gewagt ist.“

Offenbar läßt sich dieser Film (noch) nicht so recht in die deutsche Befindlichkeit übersetzen. So herrlich weit haben wir es dann doch nicht gebracht auf unserem Weg zu Freiheit und Weltoffenheit. Noch sind wir vorletzte Menschen. Und manche Nietzsche-Fragen wollen wir uns lieber nicht stellen. „Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern? – so fragt der letzte Mensch und blinzelt. Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch, der alles klein macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar wie der Erdfloh; der letzte Mensch lebt am längsten.“

Dieser humanoide Hüpferling, den Nietzsche angekündigt hat, frönt abwaschbaren Sünden. Ein Film wie „Der kleine Tod“ gilt ihm für „eine unerhörte wie warmherzige Liebeskomödie“. Wie verklemmt muß man eigentlich sein, um sich über derartigen Blödsinn zu erheitern? Denn nicht Hemmungslosigkeit und Vitalismus, sondern Prüderie und Schadenfreude sind der Ausgangspunkt derart üblen Humors.

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