© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

Hinter der schwarzen Brille
Musikalische Brücke zwischen den Generationen: Mit 76 Jahren hat Heino einen neuen Höhepunkt seiner Karriere erreicht / In einer Autobiographie blickt er auf sein Leben zurück
Georg Ginster

Heino läßt keinen Stein auf dem anderen“, meldete das Online-Portal „SchlagerPlanet“ vor einigen Wochen. Nun würde er sogar der deutschen Sprache untreu und erstmals einen Titel auf englisch einspielen. Ganz so dramatisch ist der Tabubruch allerdings nicht, denn es handelt sich um keine grundsätzliche Erweiterung seines Repertoires. Langnese-Eiskrem wird achtzig, und anläßlich des Jubiläums hat das Marketing von Unilever ausgerechnet jemanden, der nur wenige Jahre jünger ist, dazu auserkoren, die angestaubte Hymne „Like Ice in the Sunshine“ mit neuem Pep zu interpretieren.

Niemand dürfte sich dafür heute besser eignen als Heino. In der deutschsprachigen Popmusik gibt es keinen anderen Fall, in dem ein Künstler, noch dazu in seinem Alter, so blitzartig einen derartigen Stil- und Imagewandel vollzogen hätte, ohne damit seine traditionelle Fangemeinde zu vergraulen. Auch in der an spektakulären Coups reichen Markenwelt ließe sich ein Vergleich allenfalls mit der Neupositionierung von „Jägermeister“ ziehen.

Drohten auf Heinos Konzerten einst jene Besucher zur Mehrheit zu werden, die dem Gesang, gestützt auf ihren Rollator, nur noch mit Hilfe eines Hörgeräts folgen konnten, mischen sich auf ihnen heute die Generationen bis hin zu Teenagern mit Zahnspangen. Die Unmengen von Dessous, die verzückte Frauen auf die Bühne werfen, erreichen Dimensionen, die man bisher nur von den Auftritten eines Wolfgang Petry kannte.

Der ironische Charme, mit dem der Strohblonde hinter der schwarzen Brille erst aktuelle Hits der deutschen Rock- und Popmusik coverte und nun auch noch eigene Volksmusik-Klassiker im Heavy-Metal-Arrangement produzierte, hat ihm neue Fans erschlossen, die noch vor wenigen Jahren Panikattacken bekamen, wenn sie nur seinen Namen hörten. Heino ist angesagt. Seine CD „Mit freundlichen Grüßen“ stieg auf Platz eins der Albumcharts ein und erzielte Download-Rekorde. In Wacken hat ihn Rammstein auf die Bühne gebeten, um gemeinsam „Sonne“, ein ihm auf den Leib geschnittenes Stück, zu singen. In Fernsehspots und auf Werbeplakaten ist er als Hingucker im schrägen Outfit omnipräsent. In der Jury der RTL-Casting-Show „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) glänzt er als freundlicher und besonnener Ruhepol, der auch auf das polternde Alphatier Dieter Bohlen abfärbt. Nun müßten nur noch die Macher des Leipziger Wave-Gotik-Festivals zu der Einsicht gelangen, daß sie diesen Seiteneinsteiger in das düster-romantische Genre ihrem Publikum nicht länger vorenthalten können.

Heino erlebt mit 76 Jahren einen unvergleichlichen Höhepunkt seiner Karriere. Für jemanden, der diese 2005, damals immerhin auch schon im Rentenalter, eigentlich an den Nagel gehängt hatte, um dann zwei Jahre später ein zunächst glückloses Comeback zu wagen, ist dies ein berechtigter Grund, auch einmal ein wenig Stolz zu empfinden.

Dieser Stolz ist seiner soeben erschienenen Autobiographie „Mein Weg“ anzumerken, ohne daß sie es aber an der ihm eigenen Bescheidenheit mangeln ließe. Der Titel des Buches erinnert nicht zufällig an einen Evergreen von Frank Sinatra. In dieser Liga, zu ihr zählten in den USA etwa auch Dean Martin und Elvis Presley und in Deutschland vielleicht Peter Alexander und Udo Jürgens, sieht sich Heino, und wenn man auf die Statistiken seiner Plattenverkäufe und Konzerte blickt, wird man ihm kaum widersprechen können.

Vor zwanzig Jahren, als er schon einmal Memoiren vorgelegt hatte, war das noch anders. „Und sie lieben mich doch“ war der Lebensrückblick seinerzeit überschrieben, und die defensive Grundhaltung, die der Titel zum Ausdruck brachte, zog sich durch das gesamte Buch. Der Leser mußte den Eindruck gewinnen, daß die haßerfüllte Verhöhnung, der Heino vom Anfang seiner Karriere an ausgesetzt war, Narben hinterlassen hatte.

Seitenlang ließ er sich über Kollegen und Partner, die ihn enttäuscht hatten, oder über die Ungerechtigkeit des Showbusiness insgesamt aus. Redlich, aber unbeholfen mühte er sich ab, all jenen, die ihn in die braune Ecke stellten, den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er seinen politischen Werdegang vom Sympathisanten der KPD über den Stammwähler der SPD bis hin zum Pendler zwischen Union und FDP, der sich mit Franz Josef Strauß und Hans-Dietrich Genscher ablichten ließ, offenbarte. Sogar eine kümmerliche Figur, die ihn als der „wahre Heino“ mit großem Medienrummel parodierte, war ihm manch überflüssige Zeile wert.

Über vieles, das ihn einst beschäftigte und ärgerte, kann er heute gelassen und altersmilde den Mantel des Schweigens legen. Wo er kritisiert, ist Kopfschütteln an die Stelle der Empörung getreten. Dies betrifft insbesondere seine amüsanten Notizen über in die Jahre gekommene Bands wie die Toten Hosen oder die Ärzte, die alles andere als cool reagierten, als Heino sich ihrer Songs bediente. Mit ihrem Gezeter haben sie sich nicht bloß als die stromlinienförmigen Kleingeister und Spießer bloßgestellt, die sie, notdürftig kaschiert durch längst nicht mehr authentische Punkattitüden, im Kern wohl schon immer waren. Vor allem hat Heino mit seinen Versionen enthüllt, daß ihre Mitgröl-Lieder sich als waschechte Schlager oder Volksmusik entpuppen, wenn man nur ein wenig das Arrangement und den Habitus verändert.

Der neue, der schelmische und rockende Heino ist, dies können alle Fans, die einen Sinneswandel befürchteten, in „Mein Weg“ mit Erleichterung vernehmen, der alte Heino geblieben. Sein Bekenntnis zum traditionellen Liedgut vom Wandervogel über Heimatklänge und Seemannsweisen bis hin zum geistlichen Gesang ist unverbrüchlicher und selbstbewußter denn je. Seine rheinische Heimat, der Katholizismus und die deutsche Kultur sind es, denen er sich verpflichtet fühlt. Den einfachen Menschen, aus deren Mitte er selber stammt, gilt sein warmherziger Respekt.

Mit den über 1.000 Liedern, die er in fünfzig Jahren Karriere dargeboten hat, stellt Heino eine musikalische Brücke zwischen der Kriegsgeneration und der heutigen Zeit dar. Seine Hoffnung, über DSDS oder einen Zufall auf jemanden zu stoßen, der vielleicht in seine Fußstapfen treten könnte, wird daher schwer zu erfüllen sein. Wahrscheinlicher ist, daß jeden Aspiranten das Schicksal ereilt, das Depeche Mode in „Walking In My Shoes“ besangen: „You’ll stumble in my footsteps“. Aber vielleicht wird Heino, sofern ihn seine Hannelore weiter fleißig im Gebrauch der englischen Sprache trainiert, dann wenigstens auch diesen Klassiker für sein Repertoire entdecken.

Heino: Mein Weg. Autobiographie. Bastei Lübbe, Köln 2015, gebunden, 304 Seiten, 19,99 Euro

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