© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

Bedingt betriebsbereit
Später, teurer, kaputter: Nahezu jedes große Rüstungsprojekt hat den Zeit- und Kostenrahmen gesprengt und weist außerdem Mängel auf
Christian Schreiber

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat einen heißen Herbst hinter sich. Das böse Wort von der „Pannen-Bundeswehr“ machte die Runde: „Wir haben die Konsequenzen daraus gezogen und werden die Armee künftig besser aufstellen“, hatte die Ministerin angekündigt. Derzeit spricht viel dafür, daß von der Leyen auch ein ziemlich ungemütlicher Frühling bevorsteht. Volker Wieker, der Generalinspekteur der Bundeswehr, hatte sich in der vergangenen Woche an von der Leyen gewandt und auf gravierende Mängel beim Sturmgewehr G36 hingewiesen.

Dabei galt die Waffe aus dem Traditionshaus Heckler & Koch als Vorzeigemodell der Armee: Die Präzisionsprobleme beim G36 seien „signifikant größer“ als bei vergleichbaren Waffen. Die Komplikationen könnten auch nicht auf externe Faktoren wie die Munition geschoben werden. Das G36 sei „eindeutig Teil des Problems“, schrieb Wieker an das Verteidigungsministerium.

Von der Leyen mußte später vor der Hauptstadtpresse einräumen, „daß das G36 offenbar ein Präzisionsproblem bei hohen Temperaturen, aber auch im heißgeschossenen Zustand hat“.

Erst versucht, Panne unter Verschluß zu halten

Erste Meldungen über Probleme gab es bereits vor drei Jahren, den entstandenen Streit zwischen Hersteller und Armeeführung versuchte von der Leyen erst spät zu schlichten. Lange war die Politik bemüht, die neuerliche Panne unter Verschluß zu halten.

Denn die Liste der Armee-Mängel ist lang, und das G36 trifft die Bundeswehr an ihrer empfindlichsten Stelle, gehört die Waffe doch zur Grundausstattung jedes Soldaten. Sie war und ist auch bei Auslandseinsätzen wie in Afghanistan im Einsatz. Der Anfang des Jahres aus dem Amt geschiedene Wehrbeauftragte der Bundestages, Helmut Königshaus (FDP), hatte ein ernüchterndes Fazit gezogen. Die Moral in der Truppe sei angeschlagen, viele Soldaten würden eine mangelhafte Ausrüstung beklagen, man habe zudem Angst, international an Ansehen zu verlieren.

Daß diese Sorge nicht unbegründet ist, mußte von der Leyen schon im vergangenen September einräumen, als sie verkündete, daß die Bundeswehr in einem Nato-Krisenfall nicht in der Lage wäre, die zugesagten Flugzeuge und Hubschrauber bereitzustellen. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel hatte zuvor berichtet, im Ernstfall eines Angriffs etwa auf ein baltisches Nato-Mitglied könne die Bundeswehr zum Beispiel die 60 angemeldeten Eurofighter nicht zur Verfügung stellen.

Wenig später veröffentlichte Generalinspekteur Wieker eine Mängelliste, die die massiven Zweifel an der Einsatzfähigkeit der Truppe zusätzlich nährten. Demnach stünden dem Heer nur zehn von 31 Tiger-Kampfhubschraubern zur Verfügung, von 33 NH90-Transporthubschraubern seien nur acht einsatzbereit. Der sogenannte Buchbestand an Eurofighter-Kampfjets liege bei 109, davon seien theoretisch 74 verfügbar, aber nur 42 einsatzbereit.

In jenen Wochen kam es für von der Leyen knüppeldick. Denn auch die Luftwaffe sorgte mit Peinlichkeiten für Aufsehen, ihre Transall-Transportflugzeuge waren ganz offensichtlich in die Jahre gekommen. Zunächst verzögerte sich eine Reise von Bundeswehrsoldaten, die im Irak dringend gebraucht wurden, aufgrund einer Flugzeugpanne, anschließend blieb eine Transall wegen eines technischen Defekts auf Gran Canaria liegen. Sie war für eine Ebola-Luftbrücke in Afrika vorgesehen.

Das Handelsblatt unterstellte der Luftwalle schließlich eine „akute Altersschwäche“. Um diese zu beheben, hatten von der Leyen und ihre Vorgänger auf den Flieger A400M aus dem Hause Airbus gesetzt. Ende Dezember wurde das erste Modell schließlich ausgeliefert. Experten sprechen vom „prominentesten Pannenobjekt“ der Armee.

Fast alle Großprojekte werden zu spät fertig

Nach neuesten Berechnungen hat sich die Entwicklung über acht Jahre und elf Monate hingezogen. Zudem ist das Flugzeug im Laufe der Jahre 1,4 Milliarden Euro oder 17 Prozent teurer geworden als geplant. Und der Zeitpunkt seiner Einsatzfähigkeit steht noch in den Sternen. „Nach einem vertraulichen Rüstungsbericht des Verteidigungsministeriums wird der A400M erst 2019 voll einsatzfähig sein. Unter den zahlreichen aufgelisteten Problemen ist das Fehlen eines Schutzsystems am gravierendsten. Dieses wird für gefährliche Einsätze wie in Afghanistan oder im Irak zwingend benötigt“, berichtet das Fachmagazin Aero.

Neben dem von der Ministerin permanent angesprochenen Geldmangel plagt die Armee vor allem ein weiteres Problem. Fast alle Großprojekte wurden – wenn überhaupt – erst mit massiver Verspätung abgeschlossen. So sollte der Kampfhubschrauber Tiger im Dezember 2002 voll funktionsfähig ausgeliefert werden, es dauerte acht Jahre länger.

Auf den Transporthubschrauber NH90 mußte die Truppe schließlich neun Jahre länger warten als ursprünglich vorgesehen. Als er dann im November 2013 geliefert wurde, war er immer noch nicht ganz funktionstüchtig.

Von der Leyen beauftragte schließlich die Unternehmungsberatung KPMG, den Zustand der Armee zu analysieren. Das Resultat fiel beängstigend aus. In dem Gutachten wurden 140 „Probleme und Risiken“ festgestellt. Immerhin: Die Panne mit dem Sturmgewehr war schon dabei. Problem Nummer 141 läßt also (noch) auf sich warten.

 

A400M

Das Transportflugzeug ist wohl eins der prominentesten Pannenprojekte: Fast neun Jahre zog sich die Entwicklung hin, es wurde 17 Prozent (1,4 Milliarden Euro) teurer als geplant. Erst 2019 sind die Turboprop-Maschinen voll einsatzfähig. Es hapert beim Selbstschutz, außerdem hält die Laderampe nur drei statt 4,5 Tonnen Gewicht aus.

 

Eurohawk

Die Aufklärungsdrohne, die in Deutschland nicht zugelassen werden darf, hat rund 668 Millionen Euro gekostet. Etwaige Schadensersatzansprüche des Verteidigungsministeriums sind bereits Ende 2013 verjährt. Mittlerweile soll es neue Pläne für den Bau einer bewaffneten Drohne (mit Frankreich und Italien) geben.

 

Eurofighter

Ursprünglich 1987 als „Jäger 90“ für den Kalten Krieg geplant, ist das Kampfflugzeug mit etwa zwei Jahrzehnten Verspätung und etwa 12 Milliarden Mehrkosten im Einsatz. 180 Maschinen hatte Deutschland ursprünglich bestellt, dann auf 143 reduziert. Ausgeliefert wurden bisher 109. Einsatzbereit sollen derzeit 42 Jets sein.

 

Tiger

8,5 Milliarden Euro soll die Erneuerung der Hubschrauberflotte kosten. Noch nicht eingerechnet ist, daß der neue Kampfhubschrauber Tiger aus Sorge vor undichten Stellen am Tank inzwischen alle 25 Flugstunden in die Inspektion muß. Aufgescheuerte Kabel und fehlende Sandfilter hatten zuvor die Einsatzreife verzögert.

 

NH90

Die Zweifel an der technischen Zuverlässigkeit des Drehflüglers sind stark. Nicht erst seit im Sommer 2014 eine Bundeswehrmaschine in Usbekistan nach einer Triebwerk-explosion notlanden mußte. Trotz der Mängel (unter anderem Korrosionsschäden) sollen bis zu 104 weitere Exemplare noch angeschafft werden.

 

MH90

Was nützt der Marine ein Hubschrauber, der nicht über der Nord- und Ostsee eingesetzt werden darf, wenn man international gültige Bestimmungen zugrunde legt? Bei Tests erreichte das Modell nur die „Flugleistungsklasse 3“. Dadurch ist unter anderem der Betrieb einer Rettungswinde lediglich eingeschränkt zugelassen.

 

G36

Der damalige Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus hatte bereits 2012 auf die Kritik an der Standardwaffe hingewiesen: Werde die Waffe heiß, schieße sie nicht mehr präzise. Der Rechnungshof warf dem Verteidigungsministerium Vertuschung der Mängel vor. Eine Kommission soll die Vorwürfe nun klären, die Linkspartei fordert einen Untersuchungsausschuß.

 

Boxer

Von den 180 Transportfahrzeugen vom Typ Boxer sind lediglich 70 für Ausbildung, Übungen oder Einsätze parat, während 110 instandgesetzt würden, hieß es jüngst in einer Liste des Generalinspekteurs. Skurriles Detail: Bei einer Nato-Übung soll „das Rohr an der Waffenanlage mit einem schwarz angestrichenen Besenstiel simuliert“ worden sein.

 

Puma

Für Erheiterung sorgte, daß selbst für hochschwangere Soldatinnen die Beförderung im Schützenpanzer Puma bei einem Gefechtseinsatz unbedenklich ist. Aber solche Auflagen verzögern die Auslieferung des seit 2004 entwickelten Marder-Nachfolgers. Statt 1.000 sollen nur 350 Stück angeschafft werden, die Fehlerliste bei Elektronik und Stabilität ist lang.

 

U-Boot 212 A

Etwa 500 Millionen Euro pro Stück kosten die modernsten deutschen Brennstoffzellen-U-Boote. Trotzdem lief nicht alles rund bei U 35 und U 36: Probleme bereitete die Wellenanlage, das Radar, die Antriebsbatterie und vor allem die Funkboje „Callisto“, mit der das Kriegsschiff während der Tauchfahrt die Kommunikation gewährleistet.

 

Korvette K130

Zu spät, zu teuer, zu oft kaputt: Auch für die fünf Korvetten der „Braunschweig“-Klasse (Kostenpunkt: insgesamt 1,2 Milliarden Euro) gilt dieser Dreiklang. Vier Jahre verzögerte sich die Indienststellung, das Getriebe mußte ersetzt, das Lenkflugkörpersystem nachgebessert werden. Außerdem gab es Schimmel in der Klimaanlage.

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