© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

Mit Netz und doppeltem Boden
Bundeswehr: Gut abgesichert wagen 17 junge Offiziere einen kritischen Blick auf den Zustand der deutschen Armee
Johannes Meyer

Die Bundeswehr wird in diesem Jahr sechzig und erhält dazu ein Geschenk von 17 jungen Offizieren. Sie stellen ihre Gedanken zum Dienst bei der in die Jahre gekommenen Jubilarin unter das Motto „Aufbruch“. Das klingt positiv. So ist es wohl auch geplant – wie vieles an diesem Buch. Hier werden die Gedanken von Offizieren aus den Kampftruppen nicht ohne Sicherung in das Feuer der öffentlichen Meinung und politischen Kontrolle geschickt.

Bevor das Werk an der Hamburger Universität der Bundeswehr durch namhafte Vorgesetzte vorgestellt wurde, hatten zahlreiche Persönlichkeiten ihre Stimme beigesteuert. Vom Inspekteur des Heeres Bruno Kasdorf über den Militärhistoriker Sönke Neitzel bis zu Politikern der CDU und der Grünen reicht die Garde der abgedruckten Unterstützer. Warum das nötig ist, scheint beim Chefredakteur des Reservistenmagazins Loyal, Marco Seliger, auf, der einen weitverbreiteten Opportunismus in der Bundeswehr bezeugt. Weitere Unterstützung wird durch Geleitworte dreier einsatzerfahrener Soldaten geleistet, die so als Kronzeugen der Bedeutsamkeit der folgenden Texte dienen.

Denn elf der Autoren können kaum mehr als die Erfahrung mit der kurzen Offizierausbildung und dem Studium vorweisen. Drei Offiziere haben Einsatzerfahrung – wie intensiv sie auch war. Trotz dieser Absicherung haben sich drei bereits in der Truppe dienende Autoren dazu entschlossen, anonym oder ohne Bild vorgestellt zu werden. Dies diene zu ihrem Schutz wird erläutert. Bei den Herausgebern scheint der bereits durch Veröffentlichungen hervorgetretene Hauptmann Marcel Bohnert die treibende Kraft gewesen zu sein. Sein Vorwort neigt zur Apologie, wenn er behauptet, daß bereits 130.000 Soldaten „Verantwortung in einem Kampfeinsatz“ übernommen hätten, nur weil sie in Afghanistan eingesetzt waren. Vielleicht ist ihm der verbreitete Spruch „Krieg ist nur vorne scheiße, hinten geht‘s!“ nicht begegnet. Bohnert betont noch, daß die Autoren sich „auf eigene Initiative und freiwillig – ohne enge Vorgaben, Befehle oder anders gearteten Druck“ geäußert hätten. In „Offizier sein“ ist dann zu lesen, daß vorgegebene Traditionen nicht wirklich gelebt, sondern nur unterrichtet würden und „Angst vor der Befehlsgebung auf seiten der Befehlsgebenden“ nicht ungewöhnlich sei. Viele der folgenden Texte enthalten ähnlich herausfordernde Aussagen.

Die konstatierte Truppenferne der Offizierausbildung in sich auflösenden Truppenteilen wird ergänzt um den Befund des Fehlens „einer fundierten und tiefgehenden soldatischen Erziehung“. Eine in der Infanterie dienende Frau läßt keine Zweifel daran, daß dort Frauen eher fehl am Platze seien, denn die Bundeswehr brauche zwar Frauen, aber „die Kampftruppen brauchen sie nicht.“ Ihre Kameradin aus der Panzertruppe sieht das anders, was am andersartigen Dienst in der „rosafarbenen“ Truppe liegen mag.

Mit „Führen trotz Auftrag“ wird es grundsätzlich, wenn für die Bundeswehr „Professionalisierung statt Politisierung“ gefordert wird, während in „Kameradschaft“ der „Kosmos der Offizieranwärter“ eher als karriereorientiert und künstlich erscheint. Da wundert ein weiterer Befund nicht, der die „Professionalität in den Streitkräften“ nicht mit der Ausbildung nach Papierlage in Einklang bringen kann. Bei „Soldent oder Studat“ wird deutlich, wie fremd sich ein studierender Offizier nicht nur an der Universität der Bundeswehr fühlen kann. Hier fällt auch der Satz, daß die Politik den Soldaten „allzu oft in den Rücken fällt“. Ein Befund, der an das Buch „Die reden – Wir sterben“ erinnert, besonders wenn gefordert wird, das Militärische an der Universität „nicht sträflich (zu) vernachlässigen“.

Bemerkenswertes liest man in „Das deutsche Heer im Kampf 1914 bis 1918“. Bundespräsident Joachim Gaucks Äußerung, daß er sich „eine deutsche Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg nur als Respekt vor dem Leid derer vorstellen (kann), die damals durch uns bekämpft wurden“, kontern die Autoren mit der Schilderung des Einsatzes deutscher Soldaten vor Ypern und eines verwahrlosten deutschen Gefallenenfriedhofes. In der Absicht, das an den „historischen Tatsachen vorbeischrammende“ Bild über die deutsche Armee zu korrigieren, wird eine innovative Armee beschrieben, der respektvoll von ehemaligen Kriegsgegnern gedacht wird, während diesbezüglich für Deutschland der Bezug zur Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener hergestellt wird.

In „Tradition und Kamerad Pferd“ dienen Pferde und Militärmusik als Bezug zur praktizierten Traditionspflege, die selbst bei militärischen Feiern eher Musik aus den zivilen Hitlisten wählt, „obwohl es doch so schöne Soldatenlieder gibt“. Welche Lieder die Autorin auch meint, die Bundeswehr hat seit Jahren kein offizielles Liederbuch mehr.

Am Ende wird mit „Athen und Sparta“ eine Diskussion geführt, die deutlich macht, wie das Konzept der „Inneren Führung“ noch immer um seine Relevanz kämpfen muß. Aber für die Bundeswehr besteht Hoffnung, da dieses Buch in ihren Reihen trotz der beschriebenen inneren Lage entstanden ist.

Marcel Bohnert, Lukas J. Reitstetter (Hrsg.): Armee im Aufbruch. Zur Gedankenwelt junger Offiziere in den Kampftruppen. Miles-Verlag 2014, broschiert, 280 Seiten, 24,80 Euro

Foto: Gebirgsjäger der Bundeswehr Ende März bei einer Übung: „Angst vor der Befehlsgebung“

©Bundeswehr/Sebastian Zäch Frauenkirche: Stadtreinigung sorgt vorher für Ordnung

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