© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

Der letzte Strauß-Schüler tritt ab
CSU: Der Amts- und Mandatsverzicht Peter Gauweilers symbolisiert die Abkehr der Partei von ihren Wurzeln
Paul Rosen

Für moderne Parteistrategen ist die Sache klar: Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer hatte 2013 den Abgeordneten Peter Gauweiler als einen seiner Stellvertreter in die Parteiführung geholt, um ein weiteres Einbrechen der eurokritischen Freien Wähler (FW) und der Alternative für Deutschland (AfD) in das CSU-Wählerreservoir zu verhindern. Spätestens die starken Verluste der CSU bei der Europawahl im vergangenen Jahr zeigten, daß die Rechnung nicht aufging. „Man soll nie versuchen, das Stinktier zu überstinken“, hatte der vom AfD-Erfolg aus dem Europaparlament gekippte CSU-Politiker Bernd Posselt gewarnt. Nun galt es, den aus Sicht von Seehofer begangenen Fehler zu korrigieren und Gauweiler bei den in gut einem halben Jahr anstehenden Vorstandswahlen aus dem Vorstand zu entfernen. Der „Schutzpatron konservativer Werte“ (Spiegel) löste die Angelegenheit kurz vor Ostern auf seine Weise und trat den vorzeitigen Rückzug aus der Parteiführung an. Auch sein in München direkt gewonnenes Bundestagsmandat gab der 65 Jahre alte Gauweiler auf.

„Europas Symbol ist das Kreuz, nicht die Münze“

Er hatte längst alle Illusionen verloren, in der CSU oder in der von ihr mitgetragenen Bundesregierung noch etwas bewirken zu können. Die Euro-Rettung ist Staatsräson, Bundeskanzlerin Angela Merkels Wort, wonach Europa scheitert, wenn der Euro scheitert, gilt wie in Stein gemeißelt und wird auch in der CSU inzwischen ganz überwiegend akzeptiert. Gauweilers Satz in seiner Rücktrittserklärung, jeder, der ihn 2013 gewählt habe, habe genau gewußt, welche Positionen er in der Euro-Rettungspolitik vertreten habe, steht weiter wie ein Fels in der Brandung gegen die wankelmütige, Verträge brechende und Versprechen aufkündigende Regierungspolitik mit CSU-Beteiligung. Sein Satz zeigt aber auch: Nicht Gauweiler hat seinen Kurs geändert, sondern seine Partei. Vermutlich wird sich die CSU, die sich an Seehofers inhaltliche Drehungen längst gewöhnt hat, einer Debatte nicht stellen, sondern die Causa Gauweiler in Gremiensitzungen und auf dem Parteitag totschweigen.

Der Freigeist Gauweiler, der regelmäßig gegen jede neue Eskalationsstufe der Euro-Rettung vor dem Bundesverfassungsgericht klagte, war bei der Führung der CDU/CSU-Fraktion unbeliebt wie vielleicht nur noch Klaus-Peter Willsch (CDU). Netzwerke zu knüpfen war allerdings seine Sache nicht. Deshalb scheiterte er 2011 bei der CSU-Vorstandskandidatur gegen den damaligen Verkehrsminister Peter Ramsauer. Zwei Jahre später wurde er zwar auf Geheiß von Seehofer gewählt, der damit eine Bastion gegen AfD und FW schaffen wollte. Der CSU-Vorstandsposten änderte jedoch nichts daran, daß er in Berlin – obwohl argumentativ der Euro-Rettungsfraktion haushoch überlegen – regelmäßig unterging. Gauweiler, dessen klassisch gebildeter Geist die anderen Abgeordneten, von denen die meisten nicht mehr Latein, geschweige denn Altgriechisch können, weit überragt, läßt sich auch nicht in Strukturen einbinden, die er als Ketten empfinden muß. Für ihn gilt, daß der Starke allein am mächtigsten ist und daß der Krieg aus vielen Schlachten besteht. Erst die letzte Schlacht entscheidet über den Ausgang des Krieges. Auf die Sirenenklänge der AfD hörte er erwartungsgemäß nicht.

Ganze sechs Minuten Redezeit bekam er in einer Legislaturperiode zugeteilt, bis Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) gegen den Willen der Fraktionsführungen Gauweiler und anderen Euro-Rebellen Redezeit einräumte. Es war auch Lammert, der mitfühlende Worte für Gauweiler fand, wie sie aus der CSU nicht zu hören waren: „Die vom Grundgesetz verbürgte Freiheit des Mandats gibt jedem Abgeordneten den Freiraum und die Möglichkeit, das ihm von den Wählern übertragene Amt auch dann auszuüben, wenn er eine andere Meinung als die Mehrheitsmeinung seiner Fraktion vertritt“, so Lammert. Das gelte um so mehr, als die von Gauweiler vertretene Auffassung „auch von vielen Wählerinnen und Wählern, auch Mitgliedern von CDU und CSU geteilt wird“.

In den Parteiführungen wird aber nur noch die Alternativlosigkeit der Euro-Rettung besungen. Insofern haben Gauweilers wie Lammerts Erklärungen historische Bedeutung: Belegen sie doch das Siechtum des pluralistischen Politiksystems und den Trend zu einer uniformierten Gesellschaft, die alles andere als vielfältig und tolerant ist. Wenn Seehofer vor einigen Wochen im CSU-Vorstand Gauweiler und Ramsauer, inzwischen Kritiker neuer Hilfen für Griechenland, „Ihr oder ich“ zurief, zeigt diese Äußerung pars pro toto das Elend der deutschen Parlamentsparteien, in denen auf zentrale Fragen der Nation stets nur noch eine einzige Antwort akzeptiert wird.

Gauweilers Rücktritt ist daher mehr als der Abgang eines Politikers, der mit seinen Positionen scheiterte. Er kämpfte gegen einen Trend, Macht und Zuständigkeiten an eine Europäische Union abzugeben, die das Prädikat demokratisch nicht verdient. Er war ein Ritter der Rechtsstaatlichkeit. Seine Verfassungsgerichtsprozesse gegen EU-Verfassungen und Rettungsschirme verlor er zwar, aber man habe, wie er in einem Focus-Artikel zusammen mit dem Staatsrechtler Dietrich Murswiek schrieb, mit den Urteilen „dem Parlament Rechte zurückgewonnen, auf die es leichtfertig verzichtet hatte“. Auch deshalb werden spätere Generationen von Historikern einmal feststellen, daß Gauweilers Mandatsverzicht mehr war als ein Rücktritt. Wir haben es mit einer Zäsur im politischen System Deutschlands zu tun.

Parteipolitisch hat die CSU mit dem Verlust von Gauweiler endgültig Abschied von ihrem einstigen Idol Franz Josef Strauß genommen und das konservative Element verloren wie die Eidechse ihren Schwanz: vollständiges Nachwachsen ist unmöglich. So wie mediokre Parteiführungsgestalten schon Gauweiler nicht verstehen, würden sie Strauß erst recht nicht mehr verstehen. Seehofer und seine Parteifreunde haben den Sinn des Strauß-Diktums nie begriffen, daß es rechts von der CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe, weil das die CSU ihre Position als bayerische Volkspartei und damit ihre Existenz kosten würde. Sie verstehen auch die Botschaft des letzten Strauß-Schülers Gauweiler nicht, die weit über Währungsfragen hinausgeht, wenn er feststellt: „Europas Symbol ist das Kreuz, nicht die Münze.“

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