© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/15 / 03. April 2015

Als Lincolns Bajonette siegten
Vor 150 Jahren endete der amerikanische Sezessionskrieg mit dem Sieg des Nordens / Befreiung der Sklaven war kein Hauptmotiv
Jan von Flocken

Vier lange Jahre hatten sich Norden und Süden der USA in einem furchtbaren Kampf zermürbt. Dieser Bürgerkrieg, der in Wirklichkeit ein Konflikt zweier souveräner kriegführender Staaten war, sollte die Union gewaltsam wieder herbeiführen. Von kleinen Scharmützeln mit nur einigen Dutzend Soldaten bis hin zu Schlachten mit mehr als 200.000 Mann war es der gewaltigste Krieg, den dieser Teil der Erde je erlebt hatte und der mit einer Kapitulation des Südens am 9. April 1865 endete.

Begonnen hatte alles im Dezember 1860, als der Bundesstaat South Carolina seinen Austritt aus den „Vereinigten Staaten von Amerika“ erklärte. Das erfolgte aufgrund eines Beschlusses seines Staatsparlamentes einstimmig und stand im Einklang mit der US-Verfassung von 1787, in welcher die Rechte der einzelnen Bundesstaaten definiert waren. Während der folgenden fünf Wochen vollzogen weitere Staaten des Südens diesen Schritt: Mississippi, Florida, Alabama, Georgia, Louisiana und Texas. Die gewählten Volksvertreter dieser sieben Staaten versammelten sich am 4. Februar 1861 in der provisorischen Hauptstadt Montgomery (Alabama) und erarbeiteten eine Verfassung für die „Confederated States of America“ (CSA). Zum Präsidenten wählte man am 9. Februar den Senator von Mississippi, Jefferson Davis. Er bildete zehn Tage später sein Kabinett. Auch eine eigene Nationalflagge wurde kreiert, die „Stars and Bars“ (Sterne und Balken).

Zunächst akzeptierten beide Seiten diese Abspaltung. So schrieb etwa Horace Greeley, einflußreicher Herausgeber der New York Tribune, am 9. November 1860: „Wir werden hoffentlich niemals in einer Republik leben, in der man mit vorgehaltenem Bajonett zum Verbleiben gezwungen wird.“ Doch just diese Bajonette setzte der seit März 1861 amtierende US-Präsident Abraham Lincoln schnell und rücksichtslos ein.

Die Sezession des Südens bedeutete keineswegs einen unvermeidlichen Krieg mit den USA. Präsident Davis erklärte das Verhältnis zu den Nordstaaten „als weder von Aggression gekennzeichnet noch als Folge inneren Aufruhrs“. Lincoln verurteilte indes das Handeln der Südstaaten als „Rebellion“ und erklärte der Konföderation durch aggressive militärische Maßnahmen im April 1861 quasi den Krieg. Das war ein äußerst verhängnisvoller Schritt, denn daraufhin verließen auch die bisherigen Unionsstaaten Virginia, Tennessee, North Carolina und Arkansas die USA.

Der Streit hatte sich zunächst an der Sklavereifrage entzündet. Wie Abraham Lincoln selbst eingestand, diente die Befreiung der Schwarzen lediglich als Vehikel, um den Süden niederzuwerfen. Es agitierte zwar im Norden eine militante Bewegung, die behauptete, alle Neger im Süden warteten sehnsüchtig auf ihre Befreiung, weil es ihnen unter der Knute ihrer weißen Herren unerträglich schlecht gehe. Der 1852 erschienene Kolportageroman „Onkel Toms Hütte“ bot zudem einer naiven Menschenrechtslobby im Norden willkommene Nahrung, das grausame Schicksal der unterdrückten Schwarzen zu beklagen. Dixieland wurde als riesiges Gefängnis dargestellt, in dem die „Lords of the lash“ (Herren der Peitsche) ihr tyrannisches Regime ausübten. In sogenannten Sklavenzuchtfarmen würden schwarze Frauen massenhaft von Weißen vergewaltigt, so die schwülen Phantasien von Zeitungsschreibern. Dadurch „fühlte sich bald jeder Südstaatler als skrupelloser Ausbeuter und sadistischer Lüstling an den Pranger gestellt“, wie der US-Historiker James M. McPherson konstatiert. Auch jene 75 Prozent der Bevölkerung im Süden, die keinerlei Sklaven besaß, einfache Farmer, Handwerker und Tagelöhner, machten sich die Yankees so zu erbitterten Feinden.

Sklavenbefreiung war nur ein vorgeschobenes Motiv

Im Verhalten der Sklaven fanden diese Klagen keinen adäquaten Widerhall. Obwohl sie mit 3,521 Millionen fast 35 Prozent der Bevölkerung im Süden stellten, gab es keine Aufstandsbewegung oder massenhafte Flucht aus der Sklaverei. In der Zeit nach 1850 unternahmen jährlich ganze 115 Schwarze einen Versuch zu entkommen, obwohl zahlreiche gutorganisierte Fluchthilfeunternehmen des Nordens ihnen die Sache sehr erleichtert hätten.

Eine weitere Kontroverse schwelte: Die Politik der US-Bundesregierung hatte vor allem in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts durch rigide Schutzzölle die auf Konsumgüterherstellung ausgerichtete Industrie des Nordens einseitig protegiert – sie sollte gegen billigere Importe aus Europa abgeschirmt werden. Für den agrarisch geprägten Süden verteuerten sich damit sämtliche Preise für die ausschließlich aus dem Norden importierten Industriegüter. Staatliche Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Ökonomie widersprachen zudem den gänzlich auf Freihandel ausgerichteten Südstaaten.

Beim Kriegsausbruch im April 1861 ging es zunächst nur um die Erhaltung der Union. Doch nachdem Lincolns Armeen mehrere verheerende Niederlagen gegen die zahlenmäßig weit unterlegenen Südstaaten einstecken mußten, entdeckte der gewiefte Taktiker die Sklavenfrage als zündenden Funken. Das hatte mit humanitären Erwägungen nichts zu tun. Ein Gutachten des militärischen Oberkommandos gelangte zu dem Schluß: „Jeder dem Feind entzogene Sklave ist genausoviel wert wie ein außer Gefecht gesetzter weißer Soldat des Gegners.“ Bei internen Zusammenkünften schlug Präsident Lincoln in dieselbe Kerbe: „Die Sklavenbefreiung wird die Rebellen durch Entzug ihrer Arbeitskräfte schwächen.“

Die US-Regierung, laut ihrem militärischen Oberbefehlshaber, General George B. McClellan, „ein Haufen herzloser Halunken“, wußte sehr wohl, daß die Befreiungsproklamation von 1862 nur Schaumschlägerei war. Voll zynischer Offenheit erklärte Außenminister William Seward: „Wir bezeugen unsere Sympathie für die Sklaven, indem wir sie dort befreien, wo wir sie nicht erreichen können, und dort in Knechtschaft lassen, wo wir sie befreien könnten.“ Dies bezog sich auf die Tatsache, daß viele Fabrikanten im Norden Schwarze lediglich als billige Arbeitskräfte betrachteten – viel kostengünstiger als die Immigranten aus Europa. Erste Folgen zeigten sich schon kurz nach Verkündung von Lincolns Proklamation. So verprügelten irische Dockarbeiter Ende 1862 im Flußhafen von Cincinnati befreite Sklaven und bewarfen sie mit Steinen, weil diese für weit geringeren Lohn zur Entladung der Dampfschiffe eingestellt worden waren. In New York tobten Mitte Juli 1863 die schwersten Rassenunruhen seit Gründung der USA.

Das Ende des Sezessionskrieges vor 150 Jahren überlebte sein Initiator Lincoln nur um wenige Tage; er fiel am 15. April einem Attentat zum Opfer.

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