© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/15 / 03. April 2015

Putins Umgang mit den zynischen Lügen
Das Gedenken an die Opfer von Katyn belastete über Jahrzehnte die russisch-polnischen Beziehungen
Gregor Maurer

Die Sowjetunion erkannte anläßlich des Besuchs des polnischen Präsidenten Wojciech Jaruzelski am 13. April 1990 erstmals offiziell die Schuld an der Ermordung von rund 14.000 polnischen Offizieren durch den sowjetischen Geheimdienst im Jahre 1940 an. Gorbatschow überreichte seinem Gast die originalen Exekutionslisten des NKWD und erklärte über Radio Moskau: „Die sowjetische Seite bringt ihr tief empfundenes Bedauern im Zusammenhang mit der Katyner Tragödie zum Ausdruck. Es handelt sich dabei um eines der schwersten Verbrechen des Stalinismus.“

Das war eine bemerkenswerte Kehrtwende innerhalb der sowjetischen Geschichtspolitik sowie in den polnisch-russisch/sowjetischen Beziehungen. Gut zwei Jahre später am 14. Oktober 1992 übergab dann der Direktor des russischen Staatsarchivs als Sonderbeauftragter des russischen Präsidenten Boris Jelzin Polens Staatspräsidenten Lech Walesa bislang als streng geheim eingestufte Papiere. Darunter befand sich auch ein Dokument des ZK der KPdSU vom 5. März 1940, wonach der „Fall“ in der „speziellen Weise zu behandeln und die Todesstrafe durch Erschießen anzuwenden“ sei.

Rußland trage keine Schuld an Stalins Verbrechen

Der endgültige Beweis für die Verantwortung des stalinistischen Terrorregimes an diesem Kriegsverbrechen lag nun der Weltöffentlichkeit vor. Jelzin entschuldigte sich 1993 bei den Opferangehörigen mit den Worten: „Vergebt uns, wenn ihr könnt.“ Sein Nachfolger Putin verhielt sich diesem Verbrechen gegenüber zunächst reserviert und ließ einige Akten dazu zurückhalten. Dennoch schrieb er im September 2009 einen offenen „Brief an die Polen“, in dem er den Hitler-Stalin-Pakt verurteilte; anschließend lud er – eine weitere historische Geste – seinen polnischen Kollegen Donald Tusk ein, um gemeinsam anläßlich des 70. Jahrestags der Massenmorde von Katyn am 7. April 2010 der polnischen Opfer zu gedenken.

Putins dortiger Kniefall vor dem Massengrab war von symbolischer Bedeutung. Er verurteilte den „unmenschlichen Totalitarismus“ und bezeichnete die zahlreichen damaligen Ausreden Stalins als „zynische Lügen“. Allerdings betonte er auch einschränkend, daß nicht nur polnische, sondern auch Tausende „sowjetische Bürger“ in Katyn hingerichtet worden seien. Das „heutige Rußland“ trage somit „keine Schuld“ für diese Verbrechen. Polen wie Sowjetbürger seien also Opfer der gleichen Terrorherrschaft, die zu verurteilen sei.

Damit orientierte sich Putin an diversen russischen Rechtfertigungsversuchen, denen zufolge Rußland und die Russen nicht zu Tätern gemacht werden dürfen, weil eben auch Russen Opfer des stalinistischen Terrors waren. Dennoch machte sein historischer Handschlag am Massengrab von Katyn mit Tusk unmißverständlich klar, daß die russische Führung nun ein neues verbessertes Verhältnis zu Polen suchte. Aber kurz danach ereignete sich eine tragische Spätfolge des Verbrechens von Katyn: Am 10. April 2010 kamen der polnische Präsident Lech Kaczyński sowie zahlreiche hochrangige Mitglieder seiner Delegation auf dem Weg zu einer separaten polnischen Gedenkveranstaltung beim Absturz seiner Regierungsmaschine auf dem Flugplatz von Smolensk ums Leben. Kaczyński – bekannt als Kritiker der russischen Politik – war zu der offiziellen Veranstaltung von Putin ausdrücklich nicht eingeladen worden.

Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, daß das russische Staatsfernsehen noch am selben Abend des Unglücks den Film „Katyn“ des polnischen Regisseurs Andrzej Wajda ausstrahlte. Damit ist erstmals auch öffentlichkeitswirksam gegenüber dem eigenen Volk das Katyner Verbrechen als sowjetisches Verbrechen anerkannt worden. Die am 26. November 2010 verabschiedete Erklärung der Duma „Über die Katyn-Tragödie und ihre Opfer“ betonte nochmals, daß „dieses Verbrechen auf direkte Weisung von Stalin und anderen Vertretern der sowjetischen Führungsspitze begangen wurde“.

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