© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/15 / 03. April 2015

Über den Köpfen der Ritter leuchtet das Kruzifix
Behutsam angenähert: Richard Wagners Erlösungsoper „Parsifal“ im April in Chemnitz / Überzeugende Rollengestaltung
Sebastian Hennig

Die Chemnitzer Oper hat sich mit der Produktion von Richard Wagners „Ring“-Tetralogie um die Jahrtausendwende einen Ruf erworben. Dabei war die Inszenierung damals keineswegs spektakulär im sensationslüsternen Sinne. Gleichwohl wurden alle Sinnesreize bedient, die das Werk enthält. Inzwischen gibt es diesen „Ring des Nibelungen“ leider nicht mehr in Chemnitz. Zuletzt erfolgte während der Wagner-Festwochen 2013 in Chemnitz eine Premiere des „Parsifal“.

Wenn die Inszenierung auch schon 2008 in Darmstadt gebracht wurde, gibt ihr doch die künstlerische Potenz der Chemnitzer Oper neuen Schwung. Der musikalische Leiter, Frank Beermann, führt die Robert-Schumann-Philharmonie wie ein ganz großes und erfahrenes Wagner-Orchester. Vom selben Format ist der Chor. Susanne Schimmack als Kundry, der Amfortas Heiko Trinsinger und Sami Luttinen als Gurnemanz gestalten überzeugend ihre Rollen. Was nicht perfekt ist, das ist doch gut genug, um den großen Atem des Stückes nicht zu stören.

Erwachen der Natur am Karfreitag

Regisseur John Dew bekennt sich im Programmheft zu Wagners Feststellung, daß der Dogmatismus die Wirkung der Symbole verkleinere, während die Kunst sie wieder zu erweitern und vertiefen vermag. Ganz auf äußerliche Denkstützen moderner Dramaturgen-Dogmatik will er jedoch nicht verzichten. Eine Buchstabenbarriere auf der Vorderbühne verbirgt in der Gralsburg die Namen der vier Kirchenväter und in Klingsors Garten die der vier großen Atheisten Voltaire, Nietzsche, Marx, Spinoza. Doch die Lettern sind so verschnörkelt, daß sich darüber hinwegsehen läßt. Klingsor (Hannu Niemelä) schaut gar etwas wie der Professor Nietzsche aus, und die schlafende Kundry entwindet sich dann einer Buchseite von „Die fröhliche Wissenschaft“.

Doch damit hat sich die sichtbare Gedankenakrobatik auch schon ausgeturnt. Das Stück wird nicht weiter verrätselt, sondern tritt in einem unkommentierten Geschehenlassen der Handlung zutage. Der Regisseur sagt etwas Selbstverständliches, was heute unzeitgemäß klingt: „Ich bin der Meinung, daß wir uns aber ‘Parsifal’ nur annähern können, wenn wir versuchen, Wagners Ideen zu folgen, auch wenn einige seiner Ideen uns heute befremden oder gar abstoßen.“

Diese Ideen dürfen sich im Werk versinnlichen. Die Darstellung der Sänger wird dabei durch eine feinfühlige Ausleuchtung der Szene unterstützt. Unheimlich ist es, wie Beermann bei der Kußszene das Orchester aufs äußerste zügelt, so daß Kundry wirklich ganz zart werden kann und dann gewaltig aus Parsifal (Mati Turi) der erkennende Schmerz um Amfortas herausbricht. Dieser zweite Akt, der so sinnlos wirken kann wegen der mangelnden Distanz unseres Klingsor-haften Treibens zum Dargestellten, wurde hier ganz Drama und ganz wahr. Mit ablenkenden Lichtblitzen wechselt zuletzt der Speer von Klingsors in Parsifals Hand.

Wie die Blumenmädchen zuvor um Parsifals Gunst buhlen, ist selten so schön zu hören und noch seltener mit so schlichter Anmut zu erschauen gewesen. Alles wird glaubwürdig, zuletzt sogar die Anekdote verständlich, daß Wagner immer eigens bei dieser Szene begeistert applaudiert haben soll. Denn das Bühnenweihfestspiel ist keine blutleere Eurythmie. Seine letzte Botschaft lautet nicht Askese (Parsifal: „Die Brüder dort in grausen Nöten den Leib sich quälen und ertöten“), sondern zielt auf eine sublimierte Sinnlichkeit. Als Parsifal vermeint, am „höchsten Schmerzenstag“ sollte die Natur „nur trauern, ach! Und weinen?“ macht ihm Gurnemanz klar: „Du siehst, das ist nicht so.“

Der letzte Aufzug zeigt die Szene zunächst in weiße Tücher gehüllt. Beim Erwachen der Natur am Karfreitag werden sie ganz langsam hinweggezogen und geben, wie in der Sonnenhitze schwindende Schneezungen, nach und nach den grünen Boden frei. Zuletzt steht in der geschickten Beleuchtung das Inkarnat der Sänger wirkungsvoll vor dem Grün des Bodens und der bläulichen Wasserspiegelung auf der Rückwand.

Alle Verrichtungen werden sorgfältig und mit Würde begangen, ohne darüber in liturgische Starre zu verfallen. Arm- und Beinschienen werden abgerüstet, es wird gewaschen und gesalbt. Die Gefühlsbekundungen zwischen Parsifal und Kundry im letzten Aufzug wurden in einer Weise verstärkt, die dem Vermerk entspricht, der gelegentlich in Neuausgaben von Autoren des 18. Jahhunderts gemacht wird: „behutsam dem heutigen Sprachgebrauch angenähert“. Wo Wagner anordnet: „Er küßt sie sanft auf die Stirn“, ist hier eine Umarmung erlaubt, die gleichwohl geschwisterlich im gedachten Sinne bleibt.

Zur Verwandlung geht dann der Vorhang zu, und der Blick, der sich eben noch an der lichten Aue gelabt hat, fällt alsbald in die Düsternis des Tempels. Als es um die Gruppe der Ritter noch finsterer wird, leuchtet über ihren Köpfen das in ein weißes Tuch gehüllte Kruzifix wie eine Taube. Dann steigt Parsifal mit dem Gral in die Höhe, und die Hülle schwebt herab. Die Kunst vertieft und erweitert die Symbole. Ein transparenter Vorhang schiebt sich vor das Schlußbild, darauf sind Wagners Worte projiziert: „Wo die Religion künstlich wird, ist es der Kunst vorbehalten, den Kern der Religion zu retten.“ Andacht und Teilnahme des Publikums im ausverkauften Chemnitzer Haus waren für diese Vorstellung jedenfalls gerettet.

Auch im vergangenen Jahr zeigte sich Chemnitz über die Ostertage wieder als sächsisches Bayreuth. Man kommt sogar aus Franken herübergeflohen. Eine ganze Busladung Würzburger Wagnerianer war im Publikum anzutreffen. „Tannhäuser“ wurde gegeben mit der großartigen Astrid Weber als Elisabeth und Venus zugleich und zum letztenmal gab es „Tristan und Isolde“ in der Inszenierung von Michael Heinicke. Roman Trekel erwies sich besonders im dritten Aufzug als ein Kurwenal von großer Klasse. Ebenfalls souverän waren Ruth-Maria Nicolay als Brangäne und Christof Fischesser als König Marke.

Osterfestspiele mit Korngold und Verdi

Und wieder waren Dinge zu sehen, deren man nirgends mehr ansichtig wird. Bei der Landung in Cornwall („Schnell den Mantel, den Königschmuck ...“) bekam Isolde tatsächlich Umhang und Diadem angelegt. Da es so fast nie dargestellt wird, pflegt man es bereits gewohnheitsmäßig im Text zu überhören. Um so größer ist die freudige Überraschung.

Nach dem Erlebnis einer solchen Darbietung wie in Chemnitz wird keiner mehr behaupten wollen, das Werk wäre nur eine Minute zu lang. Vor allem das Orchester unter Beermann ließ einen wirklich wunschlos glücklich zurück. Dieses Jahr sind die Osterfestspiele nicht mehr allein Richard Wagner gewidmet. Doch neben Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“ und Guiseppe Verdis „Otello“ gelangt dabei auch wieder der „Parsifal“ zur Aufführung. Burkhard Fritz wird den Parsifal, Roman Trekel den Amfortas und Susanne Schimmack die Kundry singen. Chemnitz ist die sächsische Erwiderung auf die geheimen oberösterreichischen Wagner-Wallfahrtsorte Wels (JF 26/14) und Erl (JF 34/14) geworden.

Die nächsten „Parsifal”-Vorstellungen an der Oper Chemnitz, Theaterplatz 2, finden am 3., 12. und 26. April 2015 statt. Kartentelefon: 03 71 / 40 00 - 430

www.theater-chemnitz.de

 

Parsifal

Die von Richard Wagner als Bühnenweihfestspiel bezeichnete Oper „Parsifal“ war sein letztes musikdramtisches Werk; es wurde 1882 im Bayreuther Festspielhaus uraufgeführt. Das Heilsversprechen und der Erlösungsgedanke im„Parsifal“ weisen über das Christliche hinaus. Im Kern ging es Wagner um eine kulturelle Erneuerung. In seiner Schrift „Religion und Kunst“ heißt es dazu: „Man könnte sagen, daß da, wo die Religion künstlich wird, der Kunst es vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten, indem sie die mythischen Symbole, welche sie im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt wissen will, ihrem sinnbildlichen Werte nach erfaßt, um durch ideale Darstellung derselben die in ihnen verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu lassen.“

Foto: Kundry (Susanne Schimmack), Parsifal (Mati Turi) und Gurnemanz (Sami Luttinen): Alle Verrichtungen werden sorgfältig und mit Würde begangen, ohne darüber in liturgische Starre zu verfallen

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