© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/15 / 03. April 2015

In der schönsten Wohnung einer Burg
Moderne Unzeitgemäße: Vor 500 Jahren wurde die Mystikerin und Ordensgründerin Teresa von Ávila geboren
Felix Dirsch

Über Teresa von Ávila durften die Zeitzeugen vieles vermuten, nur nicht, daß sie dereinst zur ersten weiblichen Kirchenlehrerin ernannt werden würde. Dafür hätte zu ihren Lebzeiten kaum etwas gesprochen. Etliche wichtige Weichenstellungen fanden eine Generation vor ihrer Geburt statt: Die Reconquista hatte sich durchgesetzt, Kolumbus’ Entdeckung bedeutete ein neues Kapitel der „Weltgeschichte Europas“ (Hans Freyer). Die Heilige Inquisition übte im 16. Jahrhundert eine unerbittliche Dominanz aus. Teresa, aus heutiger Sicht eine überaus treue Tochter der Kirche, ist eine der zahlreichen Angeklagten dieser Einrichtung.

Bis ins 20. Jahrhundert herrschte die Neigung vor, Teresas jüdische Vorfahren womöglich zu verschweigen. Heute hat man gelegentlich den Eindruck, als bestehe bei einigen Biographen der Spanierin ein Bedürfnis, ihre Abstammung besonders hervorzukehren. Ihr Großvater war ein „Converso“, der deshalb kritisch beäugt wurde, weil man den Ernst des Übertritts zum Christentum bezweifelte.

Ausdruck innerer geistlicher Erlebnisse

Teresa stammte aus wohlhabendem Hause. Im Kloster der Menschwerdung, in das sie im Alter von zwanzig Jahren eingetreten war, besaß sie aufgrund des Familienvermögens Privilegien. Studiert man ihre Vita, so fällt auf, daß die Motive für diesen Schritt eher profaner Natur waren. Sie litt nach dem frühen Tod ihrer Mutter an Einsamkeit. Einige ihrer Brüder wanderten in die Neue Welt aus, weil sie den Einschränkungen als Nachfahren von Konvertiten entgehen wollten. Überdies hatte Teresa die Strapazen der Ehefrauen, infolge der zumeist vielen Geburten, aus nächster Nähe erlebt und wollte diese vermeiden.

Man darf vermuten, daß die Mitschwestern wenig Freude an der eigenwilligen Nonne hatten. Sie war häufig krank. Fieberschübe, ein Herzleiden, diverse Schwächezustände und vieles mehr plagten sie über Jahrzehnte. Fast hätte sie einen frühen Tod erlitten, der im letzten Moment abgewendet werden konnte.

Teresa pflegte ein intensives Gebetsleben, an dem sie andere teilhaben lassen wollte. Das war eines der Ziele ihrer geistlichen Bücher. Die nur schwer zu kommunizierende Erfahrung, sich in den All-Einen zu versenken, war zu keiner Zeit unproblematisch. Schon die mittelalterlichen Mystiker entzogen sich durch ihren unmittelbaren Bezug zu Gott der Kontrolle der Oberen, was sie der Abweichung vom rechten Glauben verdächtig machte.

Mystische Erleuchtungen sind zu keiner Zeit unpolitisch. Dies gilt für eine mittelalterliche Papstberaterin wie Katharina von Siena ebenso wie für die Gegenwart. Theologen unserer Zeit wie Johann B. Metz auf katholischer Seite und die verstorbene Schriftstellerin Dorothee Sölle auf protestantischer heben den engen Zusammenhang von Mystik und politischer Befreiung hervor. Vor dem Hintergrund ihrer Schriften wirken die Einsichten Teresas wegweisend, deren Freiräume im strengen Reglement der Zeit eher verwundern.

Ein eigenes Kapitel in Teresas Lebenslauf ist die Verbalisierung spiritueller Erfahrungen. Teresa verfügte diesbezüglich über außerordentliche Befähigungen. Sie erschuf, von Beichtvätern und geistlichen Begleitern ermutigt, eine neue Terminologie zum Ausdruck innerer geistlicher Erlebnisse. Sie bevorzugte die Volkssprache, was sie in eminenter Weise suspekt machte.

Ihr geringes Ansehen bei führenden Vertretern der Hierarchie kann folglich kaum erstaunen. So nannte sie der Nuntius Felipe Sega ein „herumvagabundierendes und unruhiges Weib“. Sie ließ sich auch von außen inspirieren, besonders durch Johannes vom Kreuz, mit dem sie gemeinsam Männer-Klöster gründete.

Wirkte sie zu Lebzeiten auf manche Repräsentanten der strengen kirchlichen Observanz als zu individualistisch, so kritisieren heute einige ihre strikte Ablehnung des Luthertums. Teresas Impulse entfalteten selbst im relativ säkularisierten 20. Jahrhundert reife Früchte. Neben anderen ist auf die in Auschwitz ermordete Ordensschwester Edith Stein, ebenfalls jüdischer Herkunft, als wichtige Rezipientin hinzuweisen.

Teresas vielfältiges geistliches Schrifttum wird heute hier und da wieder als Schatz entdeckt. Neben der großen Zahl an Briefen ist an erster Stelle ihr Hauptwerk „Wohnungen der inneren Burg“, auch „Seelenburg“ genannt, zu erwähnen. Die Burg-Metapher für Gott erfreute sich schon bei den Verfassern der Bibel großer Beliebtheit. Teresa bietet in diesem Klassiker der Weltliteratur nicht zuletzt durch ihre einfühlsame Sprache eine systematische Darstellung des geistlichen Weges. Zentral ist das Bild der sieben Wohnungen einer Burg. In der schönsten findet der Mensch, der diese Bereiche durchschreitet, seine Vollendung.

Teresa von Ávila ist in der unmittelbaren Gegenwart keineswegs vergessen, was auch an den diversen Neuübersetzungen ihrer Schriften, die zum Jubiläum die Auslagen vieler Buchhandlungen zieren, erkennbar ist. Vieles von dem, das sie zur Unzeitgemäßen im 16. Jahrhundert machte, wirkt heute modern. Die große Persönlichkeit des Goldenen Zeitalters verkörpert die weibliche Seite der Kirche wie kaum eine andere Gestalt der Kirchenhistorie.

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