© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/15 / 03. April 2015

Duell am Golf von Aden
Stellvertreterkrieg: Jemen ist jüngster Schauplatz eines innerislamischen Konflikts
Marc Zoellner

In Sanaa hat sich vieles verändert. Noch vor wenigen Jahren galt die Hauptstadt des Jemen als kulturelle Perle der Arabischen Halbinsel. Zehntausende zog es trotz der Abschottung des Landes sowie restriktiver Einreisebestimmungen in die Metropole im Herzen des felix Arabia, des glücklichen Arabien.

Von konfessionellen oder ethnischen Konflikten war, abseits einiger weniger Nordprovinzen, deren Bereisen nur im Konvoi gestattet wurde, nichts zu bemerken. Bis heute rühmen sich die Jemeniten, jeden Fremden, gleich welcher Hautfarbe oder Religion, nicht nur als Gast, sondern sogleich auch als Bruder willkommen zu heißen. Auch Sanaa war bislang stolz auf sein harmonisches Zusammenleben von Sunniten und Schiiten, von Arabern und Somalis, von alteingesessenen Juden, emigrierten Palästinensern und Geschäfte treibenden Europäern.

Doch seit die Huthi-Milizen die jemenitische Hauptstadt in Beschlag genommen haben, scheint in Sanaa nichts mehr so zu sein wie früher. „Tod für Amerika! Tod für Israel! Ein Fluch auf alle Juden!“, so hallt es dieser Tage aus den unzähligen Moscheen der Stadt wider. Der nahöstliche Glaubenskrieg hat den Jemen eingeholt. Bekämpfte sich bislang lediglich die radikalsunnitische Terrororganisation al-Qaida im sunnitisch geprägten Osten des Landes mit dem ebenfalls überwiegend aus Sunniten rekrutierten Heer des Landes, scheint sich der Konflikt seit dem Fall Sanaas zu einem Stellvertreterkrieg der konfessionellen Großmächte Saudi-Arabien und Iran auszuweiten und den Jemen selbst an seiner religiösen Naht zu spalten. Die Ermordung von rund 150 schiitischen Moscheebesuchern durch sunnitische Anhänger des Islamischen Staats ist einer der vorläufigen traurigen Höhepunkte dieser neuen Ebene der Eskalation.

Und so überraschend sich das Phänomen der blitzkriegartig weite Teile des Jemen überrollenden Huthi-Rebellen auch auf die internationale Agenda aufzudrängen schien, es vollzog sich geradezu paradigmatisch: nicht nur für den Jemen, sondern auch für den Nahen Osten an sich. Denn wie beinahe überall, bestimmt auch in Arabien das Geld die politischen Zielsetzungen seiner Empfänger, sprich der einzelnen Konfliktparteien.

Nach dem Sturz ihres Königtums durch republikanische Militärangehörige wurden die Schiiten nämlich – man höre und staune – von Israel finanziert sowie mit Waffen beliefert, um im gut ein Jahrzehnt währenden Guerillakrieg als Abnutzungsfront gegen die im Jemen aufmarschierende ägyptische Armee zu dienen. Nach der Verwicklung Jerusalems in den Sechstagekrieg übernahm das wahhabitische Saudi-Arabien die Unterstützung der Schiiten im Jemen. In Riads Monarchie herrschte damals die durchaus berechtigte Furcht, von den panarabischen Nationalisten, die sich außer im Jemen auch im Irak, in Syrien und in Ägypten erfolgreich etablieren konnten, von der politischen Weltbühne hinweggefegt zu werden.

Daß anderthalb Generationen später gerade das theokratische Regime in Teheran meint, seine schiitischen Glaubensbrüder im Jemen wiederentdecken zu müssen, ist dementsprechend auch kein Zufall. Beide haben noch unzählige Rechnungen mit den Saudis offen. Die schiitischen Huthi träumen von einer Wiedergeburt ihrer einstigen großjemenitischen Monarchie; inklusive der saudi-arabischen Südprovinzen sowie des westlichen Oman.

Um seine regionale Vormachtstellung nicht gefährdet zu sehen, ist der Iran wiederum genötigt, neue Verbündete für seine Stellvertreterkriege gegen Saudi-Arabien zu gewinnen. Zwei davon haben die Teheraner Mullahs bereits verloren: In Bahrain wurde der Arabische Frühling – vielmehr der Aufstand der schiitischen Mehrheitsgesellschaft gegen das sunnitische Minderheitenregime – im März 2011 von saudischen Panzern niedergewalzt. Und in Syrien kämpft das alawitische Assad-Regime mittlerweile um sein nacktes Überleben.

Willentlich destabilisierten nun beide Staaten den Einfluß des jeweils anderen: Saudi-Arabien aus Siegeslaune, der Iran, weil er sich mit dem Rücken an die Wand gedrängt fühlt. Diesem Machtspiel am Pulverfaß, aus dem Selbsterhaltungstrieb beider Diktaturen entsprungen, fallen dementsprechend immer mehr arabische Nationen zum Opfer. Nach Syrien und dem Irak ist der Jemen bereits der dritte gescheiterte Staat innerhalb kürzester Zeit in Riads direkter Nachbarschaft. Die Schuld an dieser Misere jedoch bei einer Partei allein zu suchen, greift in der Sache zu kurz: In beiden Regimen sitzen Pragmatiker, ebenso wie bei den jemenitischen Huthis und anderen Kurz- und Langzeitverbündeten. An einer tatsächlichen Lösung der Probleme im Nahen Osten sind sie jedoch nicht interessiert. Denn die Levantiner brauchen, anders als von Riad und Teheran, von Kairo und Ankara gefordert, keine regionale Hegemonialmacht. Sie benötigen demokratische Strukturen sowie einen allgemeinen, für alle Volks- und Religionsgruppen frei zugänglichen Wohlstand.

Doch genau daraus resultierte nicht nur ein Neuanfang für die zerfallenen Staaten des Morgenlands. Es bedeutete ebenso den Anfang vom Ende der Theokratien beidseits des Persischen Golfs. Insbesondere der Westen muß sich nun klar werden, daß er zur Lösung des Nahostkonflikts nicht auf die vielen vorhandenen Regionalmächte zu bauen hat, sondern auf die idealistischen Bewegungen aus der Mitte der jeweiligen Gesellschaften heraus. Als Problem an sich gehören die Diktaturen Saudi-Arabiens sowie des Iran nicht an den Verhandlungs­tisch, sondern in den Orkus der Geschichte. Allein so könnte der gordische Knoten gelöst werden.

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