© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

Das Jahr ohne Sommer
Ausbruch des Tambora-Vulkans 1815: Infolge einer Erkaltung auf der Nordhalbkugel kam es zur größten Hungersnot des 19. Jahrhunderts
Wolfgang Kaufmann

Vulkanausbrüche beeinflussen das Klima oft auf unberechenbare und dramatische Weise. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel hierfür ist die Eruption des Tambora vor 200 Jahren. Der Schichtvulkan liegt auf der indonesischen Insel Sumbawa und brach am 5. April 1815 plötzlich aus – nach einer Phase jahrhundertelanger Ruhe. Dabei kam es infolge des enormen Magmadrucks zu mehreren schweren Explosionen, die ihr Maximum am 10. und 11. April erreichten und sogar bis ins 1.800 Kilometer entfernte Bengkulu auf Sumatra zu hören waren. Die Detonation des Berges, der dabei von 4.300 auf 2.850 Meter Höhe zusammensackte, hatte wohl eine Stärke von 7 auf der achtstufigen Vulkanexplosivitätsindexskala – womit es sich um den schwersten Ausbruch seit 25.000 Jahren handelte.

Infolge der Tambora-Eruption, bei der in etwa soviel Energie freigesetzt wurde wie bei der Zündung von 170.000 Atombomben des Hiroshima-Typs, sowie der nachfolgenden Tsunamis starben auf Sumbawa und der Nachbarinsel Lombok um die 70.000 Menschen. Doch das war nicht die einzige tragische Konsequenz aus dieser Naturkatastrophe. Während des Vulkanausbruchs gelangten auch bis zu 170 Kubikkilometer Auswurfmaterial in die Erdatmosphäre. Welch gigantische Menge das ist, zeigt ein Vergleich: Der isländische Eyjafjallajökull, dessen Rumoren 2010 für wochenlange Beeinträchtigungen im Flugverkehr sorgte, hatte letztlich gerade einmal 0,14 Kubikkilometer Asche ausgestoßen. Und dieses Material aus dem Schlot des Tambora verteilte sich innerhalb eines Jahres rund um die ganze Erde, genau wie die 200 Millionen Tonnen Schwefelsäure-Aerosole, welche ebenfalls freigesetzt worden waren.

Das führte 1816 zu einem Absinken der globalen Durchschnittstemperatur um drei Grad Celsius, weswegen die Zeitgenossen vom „Jahr ohne Sommer“ beziehungsweise „Achtzehnhundertund­erfroren“ sprachen. So fiel in den Neuenglandstaaten im Nordosten der USA im Juli und August Schnee von bis zu 15 Zentimetern Höhe. Ebenfalls ungewöhnlich kalt war es in weiten Teilen Europas: Deutschland, Frankreich, die Niederlande, England, Irland, Österreich und ganz besonders auch die Schweiz litten unter sommerlichen Nachtfrösten und Schneeschauern; dazu kamen endlose Regenperioden und Überschwemmungen.

Hungeraufstände und der Siegeszug der Draisine

Als Folge traten Hungersnöte auf, die Nahrungsmittelpreise stiegen auf historische Spitzenwerte. In England und Frankreich ereigneten sich deswegen Aufstände – dort begannen Bürger, die Getreidespeicher zu plündern. Gleichzeitig entstanden Hilfsvereine. Der russische Zar Alexander I. spendete 100.000 Rubel zur Linderung der Not in der Schweiz. Ebenso sorgte der „vulkanische Winter“ für neue Wanderungsbewegungen: Viele Farmer aus Neuengland zogen nun weiter ins Innere Nordamerikas, was zur schnellen Besiedlung von Ohio, Indiana und Illinois führte, und aus dem deutschen Alpenvorland wanderten zahlreiche Menschen nach Südrußland oder Bessarabien aus.

Ein weiteres, eher positives Ergebnis des Tambora-Ausbruchs war der Siegeszug der Draisine, also des Vorläufers des Fahrrades, hervorgerufen durch das allgemeine Pferdesterben infolge des fast völligen Ausfalls der Haferernte. Desgleichen profitierte die Kunst von dem Ereignis: Die grandiosen Sonnenuntergänge jener Jahre, von denen die Gemälde William Turners oder Caspar David Friedrichs Zeugnis geben, resultierten ebenfalls aus der Verteilung feiner vulkanischer Asche in der Stratosphäre.

Daß für den dramatischen Kälteeinbruch von 1816 der Vulkanausbruch vom Vorjahr verantwortlich gewesen war, fand die Wissenschaft erst 1920 heraus. Allerdings kaprizieren sich die heutigen Klimakundler lieber auf die vermeintliche Erderwärmung, als die Gefahren zu thematisieren, die der Menschheit durch Phänomene von der Art des Tambora-Ausbruchs drohen. Dabei ist jederzeit eine Neuauflage beziehungsweise Steigerung der Katastrophe möglich: Infolge von Starkeruptionen im Yellowstone-Hotspot/USA könnte die Durchschnitts­temperatur auf der Erde sogar um 15 Grad sinken.

Foto: Der zehn Kilometer breite Krater des Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa: Nach der größten jemals von Menschen dokumentierten Vulkaneruption sank die Durchschnittstemperatur um drei Grad

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen