© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

Gestichel gegen das Serum
Schulmedizin als Mythos, Märchen, Religion: Das Buch „Impf-Illusion“ trägt kaum zur Versachlichung bei
Heiko Urbanzyk

Die Wahrheit ist, daß das Impfen, wie es der Öffentlichkeit heute angepriesen wird, nichts anderes ist als eine Religion, die auf Unwissenheit und Beschränktheit beruht.“ Das Schlußwort dieses Impfgegnerbuches verdeutlicht die verbitterte Frontenstellung in der Diskussion über die Gefahren des Impfens und Nichtimpfens.

Üblicherweise werden auch umgekehrt die Impfgegner durch die Schulmedizin und Medien mit diesen Worten beschimpft. „Die Impf-Illusion“ erschwert dieses Schubladendenken. Suzanne Humphries ist promovierte Internistin und Nierenärztin. Roman Bystrianyk erlernte sein Impfwissen lediglich autodidaktisch – aber als Maschinenbauingenieur und Informatiker gehört er sicher nicht zu den Dümmsten, die die moderne Massenakademikerschaft mitunter hervorbringt.

Die US-Amerikanerin Humphries gehörte über zwanzig Jahre zu den „Gläubigen“, die in der medizinischen Ausbildung und dem Beruf das Impfen nicht in Frage stellten. Als sie im Winter 2009 zu der Ansicht gelangt, der neue Grippe-impfstoff H2N12 führe bei auffällig vielen ihrer Patienten zu Nierenversagen, ändert sich dies.

Der Journalist Bystrianyk fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, seine Kinder impfen zu lassen. Spätere Komplikationen bestätigen ihn in seiner kritischen Haltung. Er steht damit für den Dreh- und Angelpunkt der Impfdebatte: die Verantwortung verunsicherter Eltern für ihre Kinder. „Die meisten Eltern fühlen sich nicht wohl bei all den Mengen Chemie“, wird argumentiert. Ab einem gewissen Bildungsstand gehört die Beschäftigung mit dem Thema zur Elternpflicht. Wenn schon nicht öffentlich, so doch unter befreundeten Paaren fällt die Frage „Habt ihr geimpft?“ regelmäßig.

Es sind unerhörte Fragen, die Humphries und Bystrianyk bewegen: Warum wird die Eindämmung von Krankheiten, gegen die es Impfstoffe gibt, auf diese Impfstoffe zurückgeführt? Warum wird stattdessen die Eindämmung solcher Krankheiten, gegen die es keine Impfungen gibt, mit verbesserten sozialen und hygienischen Umständen begründet? Könnten nicht die impffähigen Krankheiten ebenfalls aufgrund verbesserter äußerer Umstände zurückgedrängt worden sein? Und sind nicht die angeblich kleinen Risiken von Impfungen durch die erforderlichen Auffrischungen derart vervielfacht, daß dagegen das ursprüngliche Krankheitsrisiko erblaßt?

Die Autoren halten sich gefühlte zwei Drittel des Seitenumfangs im 18. bis frühen 20. Jahrhundert auf. Das zu allem Übel fast ausschließlich in den USA und England. Es sei den Verfassern verziehen, daß sie ihre Quellen aus ihrem Sprachraum beziehen – der deutsche Leser darf sich darüber allerdings dann und wann langweilen. Weite Strecken setzen sich mit dem Elend der neuen Stadtbevölkerung während der Industrialisierung auseinander. Arbeitszeiten von täglich 16 Stunden auch für Kinder, gesundheitsschädliche Industrien in Wohngebieten, das zusammengepferchte Wohnen in ungezieferbefallenen Kellerräumen, fehlende Sanitäranlagen und städtische Abwassersysteme, keine medizinische Versorgung und nährstoffarme Lebensmittel von geringer Qualität bilden die Grundlage für Seuchen und Epidemien.

Auch ohne Impfungen gingen Epidemien zurück

Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erkennen Wissenschaftler den Zusammenhang von Schmutz und Krankheiten. Es beginnt eine „sanitäre Bewegung“ in den USA und Großbritannien, die nach den Schilderungen von Humphries und Bystrianyk eine radikale Hygienewende und den Rückgang von Epidemien an sich und der Todesraten im Falle von solchen Ausbrüchen bewirkt habe. Durch zahlreiche Diagramme und Zitate aus medizinischen Fachzeitschriften und der Tagespresse untermauert folgt der Schluß: Die Menschheitsgeißeln Keuchhusten, Kinderlähmung, Masern und viele (Kinder-)Krankheiten mehr verlieren ihren Schrecken, noch bevor die ersten Impfungen im anglo-amerikanischen Raum eingeführt werden.

Im Jahr 1950, so die Autoren, habe die Todesrate durch Masern in England nur noch ein Zweihundertstel der Rate von 1908 betragen. Ähnliches gelte für die USA. Als 1957 die Impfung gegen Keuchhusten eingeführt wurde, seien die Krankheitsfälle bereits um 99 Prozent von ihrem Höchststand einige Jahrzehnte zuvor zurückgegangen – Impfungen hätten für weitere Verbesserungen keinen Spielraum gehabt.

Gerade im Blick auf die letzte Maserndiskussion wird die Quellenlage aktueller und spielt sich sogar im 21. Jahrhundert ab. Berechtigt sind die Fragen und Feststellungen dazu, daß Masern eine Krankheit der Geimpften sei. Impfungen hätten den Ausbruch lediglich auf das spätere Kindesalter verschoben. Die vielgepriesene Herdenimmunität durch eine flächendeckend hohe Impfrate sehen die Autoren angesichts von Masernausbrüchen in Schulklassen mit 100prozentiger Impfquote als widerlegt.

Das Buch ist detailverliebt recherchiert. Inwiefern die auf den ersten Blick wissenschaftlichen Quellen ordentlich ausgewertet wurden, kann der Leser nicht bewerten. Auffällig ist die Masse von Einzelfällen, die angeführt werden. Lassen sie wirklich auf das große Ganze rückschließen? Die Beschimpfung der Schulmedizin als Religion der Dummen und Beschränkten schadet dem Werk.

Nicht besser ist die kaum belegte Behauptung, die Impfbefürworter verbreiteten Märchen, ersetzten empirische Studien durch Mythen und stützten sich „nie“ auf konkrete Daten. Ein interessanter Baustein in der Impfdebatte. Es ist allerdings an der Zeit für ein umfassendes Werk, in dem beide Seiten in einen Dialog treten. Bis dahin läßt solcherart Lektüre Eltern, die sich zu Recht um ihre Kinder sorgen, genauso skeptisch zurück wie die Impflust mancher Kinderärzte.

Suzanne Humphries, Roman Bystrianyk: Die Impf-Illusion. Infektionskrankheiten, Impfungen und die unterdrückten Fakten. Kopp Verlag, Rottenburg 2015, gebunden, 494 Seiten, 22,95 Euro

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