© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

Architektonische Netzwerke
Baukunst: Le Corbusier und seine Mitarbeiter
Sebastian Hennig

Unter dem Namen Le Corbusier wurde der 1887 in der Schweiz geborene Charles-Édouard Jeanneret zum Inbegriff der modernen Baukunst. Ursula Muscheler schildert in ihrem Buch „Gruppenbild mit Meister“, welches feinmaschige Netz er dazu knüpfte. Sie beschreibt das sehr ausgewogen und verschweigt dabei nicht die dunklen Seiten dieses mönchischen Baumeisters.

Die Weltgeltung hat er nicht zuletzt einer unschönen Rücksichtslosigkeit zu verdanken. Beim Wettbewerbsbeitrag für den Völkerbundpalast in Genf bedient er sich zweifelhafter Methoden. Über einen Mitarbeiter Alfred Roth sendet er dessen Schweizer Professor und Mitglied des Preisgerichts jene Gruppenfotografie, die nun Muschelers Buch vorangestellt ist. Der Adressat bemerkte sogleich die Absicht: Im Hintergrund des Fotos war der Planentwurf für Genf zu erkennen. Auch die Gestaltung des Unesco-Gebäudes in Paris wollte er 1952 unlauter beinflussen.

Corbusier war nicht nur ein schlechter Verlierer, sondern auch ein großer Ausbeuter. Ohne die unentgeltlich für ihn schaffenden Jünger wäre von ihm vielleicht nur eine triste Orthodoxie, eine blasse Architekturtheorie übriggeblieben. Manche Leistungen von Pier Luigi Nervi und Oscar Niemeyer sind jedenfalls einfallsreicher und beschwingter als das Original. Adepten haben seine Grundsätze nach Japan, auf den Balkan, Indien und in den Maghreb getragen. Nicht immer blieb das unwidersprochen. In Europa haben die Kriegszerstörungen seinen Prinzipien in teilweise vulgärer Reduktion zum totalen Durchbruch verholfen.

Le Corbusier hat Leistungen der Mitarbeiter immer nur als Manifestationen des eigenen Genies gelten lassen. Das höchste Kompliment lautete: „Aber Sie sind ja ein Künstler wie ich!“ Antonin Raymonds japanisches Sommerhaus aus Lärchenholz übernimmt er dann gleich einmal in sein „Œuvre Complète“ und spielt die Leistung als bloße Ausführung seiner Idee herab. Kein Wunder also, daß der Weg mancher Gefährten sich in andere Kunstrichtungen abzweigte, wie bei Iannis Xenakis in die Musik und Roberto Matta in die Malerei. Mancher, der zu Lebzeiten auf Abstand ging, um nicht erdrückt zu werden, wurde nach dem Tod Le Corbusiers 1965 dann zu dessem eifrigen Verfechter.

Ursula Muscheler: Gruppenbild mit Meister. Le Corbusier und seine Mitarbeiter. Berenberg Verlag, Berlin 2014, gebunden, 200 Seiten, Abbildungen, 24 Euro

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