© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

Bundeswehr
Selbstverständlich Soldat
Martin Böcker

Die grundlegenden Eigenschaften des Staates sind der Wille und die Fähigkeit zur Gewalt, welche die Bundeswehr im Namen der Republik repräsentiert. Ihr Selbstverständnis als Streitkraft ist also in einer Welt, die ja selbst in Europa unfriedlich werden kann, keine intellektuelle Spielerei vergeistigter Offiziere, sondern von fundamentaler Bedeutung. Die „Innere Führung“ stellt in Form der Zentralen Dienstvorschrift 10/1 die offizielle und für Soldaten verbindliche deutsche Militärphilosophie dar. Ihre Kernidee ist der „Staatsbürger in Uniform“, ein Begriff, der vor allem die „Sui generis“-Debatte berührt – also die Frage, ob der Soldatenberuf ein Beruf wie jeder andere auch ist.

Natürlich kann solch ein philosophisches Thema nicht ständig auf der Tagesordnung sein, Deutschland und die Bundeswehr haben akutere Sorgen. Trotzdem haben 16 junge Offiziere (zu denen auch der Verfasser dieses Textes gehört) 2014 mit dem Sammelband „Armee im Aufbruch“ ein „Gesprächsangebot“, wie es die Herausgeber nennen, verfaßt. Die meisten Autoren sind an der Bundeswehr-Universität Hamburg studierende Kampftruppenoffiziere. In dem Buch stellen sie ihre Vorstellung vom Selbstverständnis deutscher Soldaten und deren Verhältnis zum Rest der Gesellschaft dar, wobei einige Autoren sehr deutlich machen, daß der Soldatenberuf ihrer Ansicht nach eben keiner ist wie jeder andere auch.

Dieses Gesprächsangebot wurde unter anderem von Gerald Wagner angenommen: Der Journalist hat das Buch Ende Februar prominent im Feuilleton der FAZ rezensiert. Er kritisiert dort die scharfe Abgrenzung einiger Autoren zwischen ihnen, den Offizieren mit elitärem Anspruch, und einer Bevölkerung, die als hedonistisch dargestellt werde. Vor allem letzteres bemängelt Wagner recht deutlich: Mit der dargestellten Haltung seien sich die jungen Offiziere letztlich doch für ihren Souverän zu schade.

Was er jedoch zu übersehen scheint, was er jedenfalls unerwähnt läßt, ist der Umstand, daß in dieser Gedankenwelt ganz andere Bedürfnisse formuliert werden als jene, welche das Verteidigungsministerium mit Kindertagesstätten, Karrierechancen und Flachbildfernsehern auf den Stuben zu befriedigen versucht.

Klaus Naumann hingegen, Militärhistoriker am Hamburger Institut für Sozialforschung und Mitglied des 14. Beirats Innere Führung, benennt das einige Tage später in der Frankfurter Rundschau schon klarer: In den letzten Jahren seien mehrere Publikationen aus dem Umfeld junger Offiziere erschienen, wie zum Beispiel „Armee im Aufbruch“ oder „Soldatentum“, die man als „Dokumente einer Verunsicherung und einer Suchbewegung lesen“ könne. Zugespitzter formuliert: Die schreibenden Soldaten suchen nach einer glaubwürdigeren Weiterentwicklung der „Inneren Führung“, manche auch nach einer Alternative.

Daß das nicht nur ein Problem akademisch ausgebildeter Offiziere, sondern auch junger Mannschaftssoldaten ist, geht aus einem im Februar veröffentlichten Forschungsbericht des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften hervor. Die Mehrheit der befragten Soldaten zeigte sich demnach mit Bezahlung, Unterkunft, Verpflegung und Entfernung zum Heimatort weitgehend zufrieden, nur knapp ein Drittel habe jedoch eine „Sinnhaftigkeit des Dienens“ erkannt.

Junge Soldaten suchen nach einer glaubwürdigen Weiterentwicklung der „Inneren Führung“. Nur ein Drittel erkennt eine „Sinnhaftigkeit des Dienens“. Das ist ein starkes Indiz dafür, daß Soldaten anders motiviert werden müssen als mit Karrierechancen und Elternzeit.

Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Hans-Peter Bartels (SPD), möchte dieses Problem mit einer Verbesserung des „Personalstrukturmodells“ angehen, die Autoren der Studie halten eine „individuellere Betreuung“ der Wehrdienstleistenden für zielführend. Das wäre logisch, wenn die Bundeswehr ein Arbeitgeber wie jeder andere wäre. Eine Institution also, deren Mitglieder sich tatsächlich nur insofern von anderen Staatsbürgern unterscheiden, weil sie „in Uniform“ sind – etwa wie ein Schaffner der Deutschen Bahn oder ein Lufthansa-Pilot.

Aber ist das in einem Beruf, dessen Besonderheit darin besteht, als Kombattant legal zu töten und ebenso legal getötet zu werden, wirklich von sinngebender Bedeutung? Als die Autoren von „Armee im Aufbruch“ ihren Dienst antraten, war schon bekannt, daß im Afghanistan-Einsatz auch deutsche Soldaten fallen. Dasselbe gilt für die befragten Mannschaftssoldaten. Die öffentlich gewordene Gedankenwelt der jungen Offiziere und Mannschafter ist doch ein starkes Indiz dafür, daß Soldaten anders motiviert werden müssen als mit Karrierechancen und Elternzeit.

Die Auffassung, daß „Personalstrukturmodelle“ oder Flachbildfernseher auf Stuben eine Motivation für den Militärdienst darstellten, liegt in dem Bild begründet, welches der „Staatsbürger in Uniform“ transportiert. Es suggeriert den Beruf wie jeder andere auch, weil er ja ein Staatsbürger ist wie jeder andere auch. Dieses Bild hat seinen Ursprung in einer Zeit, als die Deutschen kriegsmüde waren und ein starkes Mißtrauen gegen das Militär hegten. Der „Staat im Staate“ war aus der Perspektive der fünfziger Jahre sicherlich eine relevante Gefahr, die einer neuen Wehrmacht innegewohnt hätte.

Gleichzeitig begann jedoch der Kalte Krieg, und die militärische Stärke der Sowjetunion stellte eine tatsächliche Bedrohung für die Bundesrepublik dar. Mit der Idee des lediglich uniformierten Staatsbürgers, der sicher keinen eigenen Staat aufmacht, sollte den Deutschen das Mißtrauen gegenüber den neuaufgestellten Streitkräften genommen werden. Zugleich hat dieses Bild des Soldaten Sinn ergeben, weil er Repräsentant einer Wehrpflicht- und Verteidigungsarmee war. Diese hat sich auf einen Krieg vorbereitet, der, im Falle eines Ausbruchs, total geworden wäre. Die Verteidigung des eigenen Territoriums hätte sämtliche Bürger, vom Bäcker bis zum Bundeskanzler, und die gesamte Industrie integriert.

Spätestens seit 2001 und allerspätestens nach der Transformation, der Reform und der Neuausrichtung der Bundeswehr ist dieses Bild nicht mehr zu halten. Die aktuellen Einsätze der Bundeswehr als „Verteidigung“ zu bezeichnen ist selbst dann grotesk, wenn sie sicherheitspolitisch sinnvoll sind. Die materielle Ausstattung der Bundeswehr erledigt die deutsche Wirtschaft nebenbei – was auch dann der Fall wäre, wenn die Beschaffungsprozesse reibungsloser funktionierten.

Derzeit sind knapp 2.500 Soldaten im Einsatz. Zugegeben: Zu dieser Zahl müssen die Soldaten hinzugezählt werden, die sich in der Einsatzvor- und -nachbereitung befinden, und bis zum Ende der Isaf-Mission in Afghanistan war diese Zahl noch deutlich höher. Trotzdem: Die Beteiligung Deutscher an Kriegen und Kriegsähnlichem ist keine Aufgabe mehr, die allen Staatsbürgern aufgezwungen wird. Statt dessen wird sie nur noch von einer ziemlich geringen Zahl von Menschen umgesetzt, die sich freiwillig dazu gemeldet haben.

Die bisherige Militärphilosophie läßt sich nicht mehr sinnvoll weiterentwickeln. Die Verhältnisse fordern eine komplett neue, die unabhängiger vom Kriegsbild ist, dem Soldaten Vertrauen entgegenbringt und gleichzeitig emotional anzieht.

Elmar Wiesendahl, der als Direktor der Führungsakademie der Bundeswehr für die Ausbildung von Stabsoffizieren zuständig ist, hat schon 2010 versucht, diesem Wandel gerecht zu werden, indem er in seinem Essay „Athen oder Sparta – Bundeswehr quo vadis“ die Vision eines „neuen Soldaten“ entwirft: Er zeichnet dabei das Bild eines Kämpfers, der auch Aufbauhelfer, Sozialarbeiter, Polizist und Diplomat sein soll. Und das mit soft skills wie „Einfühlungsvermögen und Empathie, diplomatischem Fingerspitzengefühl, Offenheit und Toleranz, Kommunikations- und Kontaktfreude, interkultureller Kompetenz, Ambiguitäts- und Frustrationstoleranz, Reflexions-, Kritik- und ausgeprägtem Urteilsvermögen“. Einer, der als „Treuhänder der politischen Gemeinschaft“ voller Überzeugung für abstrakte Werte wie Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Demokratie in den lebensgefährlichen Einsatz geht.

Das liest sich toll und ist in der Theorie eine logische Weiterentwicklung des „Staatsbürgers in Uniform“ hin zur veränderten Einsatzrealität. Von Konkretem, wie Heimat, Volk und Vaterland, ist dort nicht mehr die Rede, noch nicht mal von Wohlstand oder Bevölkerung. Die soft skills und die rein abstrakten Ziele machen Wiesendahls Soldatenbild so dermaßen elitär, daß dieser „neue Soldat“ auch gleich ein „neuer Mensch“ sein müßte und viel weiter vom Staatsbürger in Zivilkleidung entfernt wäre, als es der Soldat als Soldat je sein könnte. Daß solche Überlegungen nicht zur Sinnstiftung beitragen, weil sie unrealistisch sind, wird bei der „Armee im Aufbruch“ ebenso deutlich wie im Forschungsbericht des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften.

Nur, ist der „Staatsbürger in Uniform“ nicht alternativlos? Wegen eines drohenden Staates im Staate, wie es so oft heißt? Mitnichten: In einer fast 70 Jahre alten Republik, in der mittlerweile 18 Bundestage gewählt wurden und deren Parlamentsarmee zivil verwaltet wird, ist dieses Argument nicht mehr aktuell und mutet in einem neuen Sinne ewiggestrig an. Jeder Soldat leistet den Eid, „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Das meint die freiheitlich-demokratische Grundordnung, und damit ist alles gesagt. Wer aber an einer Idee festhält, deren Ursprung im Mißtrauen gegenüber den Streitkräften liegt, degradiert den Soldaten zu einem Bürger, der sich für sein Alleinstellungsmerkmal rechtfertigen muß.

Doch ebendiese Fähigkeit zur Gewaltausübung ist ja die Grundlage von Staatlichkeit, und damit ist der Soldat als Soldat ein natürlicher Teil der demokratischen Ordnung. Wenn man der hier aufgeführten Argumentation folgt, dann muß man feststellen, daß diese Philosophie nicht mehr sinnvoll weiterentwickelt werden kann.

Die Folge dieser Erkenntnis ist die Forderung, eine komplett neue Militärphilosophie zu entwerfen, die unabhängiger vom Kriegsbild ist, dem Soldaten Vertrauen entgegenbringt und gleichzeitig emotional anzieht. Diese soll keine Rechtfertigung mehr sein, sondern ein kurzes, aber klares Bekenntnis zur Republik und eine ausführliche Darstellung der soldatischen Werte und Tugenden, die in den Dienst des Souveräns gestellt werden. Man darf annehmen, daß Männer und Frauen, die den Kriegsdienst erwägen, sich davon eher angezogen fühlen als von Flachbildfernsehern und Karrierechancen.

 

Martin Böcker, Jahrgang 1981, ist Hauptmann im Stab der Panzergrenadierbrigade 37 in Frankenberg. Er hat ein Studium der Staats- und Sozialwissenschaften an der Bundeswehr-Universität München absolviert. Gemeinsam mit den Oberleutnants Larsen Kempf und Felix Springer gab Böcker das Buch „Soldatentum. Auf der Suche nach Identität und Berufung der Bundeswehr heute“ heraus (Olzog, München 2013).

Foto: Soldat des Gebirgsjägerbataillons 232 aus Bischofswiesen in einer simulierten Gefechtssituation: Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere. Wer aber an einer Idee festhält, deren Ursprung im Mißtrauen gegenüber den Streitkräften liegt, degradiert den Soldaten zu einem Bürger, der sich für sein Alleinstellungsmerkmal rechtfertigen muß.

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