© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

Falsche Bürger, falsche Finger
„Lügensender“: Das ZDF treibt die Glaubwürdigkeit der Leitmedien mit zwei Berichten auf neuen Tiefstand
Markus Schleusener

Am 14. und 15. März zeigte das ZDF mehrfach einen Beitrag über die Stümperhaftigkeit der Alternative für Deutschland (AfD). Die Partei hatte doch im Wahlkampf versprochen, sich um die Belange der Brandenburger in Odernähe zu kümmern. Gegen Grenzkriminalität werde sie hart vorgehen, aber es sei nichts passiert, so der Tenor der Sendung.

Als Kronzeuge wird Gerrit Freitag angeführt, der in dem Grenzort Lawitz (AfD-Ergebnis: 28 Prozent) wohnt und Streife läuft, um die vielen Diebe abzuschrecken. In der Sendung äußerte er die Hoffnung, daß die AfD„den Leuten in Amt und Würden mal auf die Füße tritt“.

Doch leider sei daraus nichts geworden, so die Macher des ZDF-Berichts. Die Kriminalität habe sich nicht verringert. Und Freitag beteuert: „Der Schulterschluß, den wir uns mit der AfD erhofft hatten, ist leider ausgeblieben.“ Auch die Bürgermeisterin Gudrun Schmädicke äußert sich enttäuscht: „Von denen fühlen wir uns komplett alleine gelassen“, sagt sie – angeblich über die AfD. „Wir hatten eigentlich gedacht, daß die irgendwann mal hier auf der Matte stehen und sagen: ’Dankeschön für das Vertrauen, das Sie uns entgegengebracht haben.‘ Es kam nichts.“

Die AfD kümmert sich nicht. Es passiert nichts. Was für eine Schande.

Viele Zuschauer hatten sofort Zweifel, ob diese Geschichte so stimmt. Bei Facebook schreibt Dirk Meyer: „So ein Blödsinn. Seit wann kann eine Oppositionspartei Dinge ändern, wofür die Regierungsparteien des Landes Brandenburg verantwortlich sind?“ Und Thommy Jesse fragt, „ob das wirklich AfD-Wähler im Bericht waren?“

Möglicherweise nicht. Beim genauen Hinsehen entpuppt sich die ganze Geschichte als zusammengeschusterte Propaganda (neudeutsch: Fake). Gerrit Freitag, der als Lawitzer Bürger interviewt wurde, arbeitet selbst für ein Leitmedium, nämlich die vor Ort tonangebende Märkische Oderzeitung. Das unterschlug das ZDF seinen Zuschauern. Da werden Erinnerungen an den RTL-Reporter Felix Reichstein wach, der im Dezember beim Pegida-Umzug einen Demoteilnehmer verkörperte und dem NDR, für den er selbst früher gearbeitet hatte, ein Interview gab. Aber es kam noch besser. Ein Video der AfD zeigt, daß auch die Bürgermeisterin, die sich so kritisch über die AfD geäußert hat, nicht die Wahrheit sagt: Sie selbst hat sich nach der Wahl mit einem AfD-Funktionär getroffen. Die Märkische Allgemeine hat damals darüber berichtet. Mit Foto.

ZDF-Reporterin Anne Herzlieb hat sich auf wiederholte Nachfrage nicht zu den Schnitzern geäußert. Auch in der neuen Fehlerrubrik auf heute.de findet sich kein Vermerk dazu. Dafür korrigiert der Sender einen falschen Städtenamen: Kaliningrad sei am 10. März im Heute-Journal versehentlich als Königsberg bezeichnet worden. Das geht natürlich gar nicht.

Kein Wunder, daß die Deutschen den Medien immer weniger Glauben schenken. 2015 ist das Vertrauen in die Medien dramatisch gesunken. Laut dem Edelman Trust Barometer liegt es 2015 nur noch bei 45 Prozent – minus neun Prozent im Vergleich zu 2014. Damit liegen wir Deutsche jetzt unterhalb des globalen Durchschnitts (51 Prozent). Ein Trend, der nicht aufhören wird. Mag der getürkte Bericht über die AfD in Brandenburg eine Provinzposse sein, so hat die Satiresendung von Jan Böhmermann in der vergangenen Woche einen medialen Tsunami ausgelöst.

Böhmermann hatte die Günther-Jauch-Sendung über die Eurorettung zum Anlaß genommen, ein Youtube-Video zu zerpflücken: Dort zeigte Yanis Varoufakis, der griechische Finanzminister, Deutschland den Mittelfinger und sagte dazu, Deutschland solle seine Probleme selbst lösen.

Zwei Millionen Klicks für eine Nischensendung

Varoufakis sagte in der Sendung am Sonntag, das zwei Jahre alte Video sei gefälscht. Bild machte daraus am Dienstag eine große „Pleitegriechen beleidigen uns“-Aufregergeschichte und bemühte Experten, um zu beweisen, daß das Video doch echt ist.

Böhmermanns Sendung, die im Spartensender ZDF-Neo läuft (O-Ton Böhmermann: „kleine, gebührenfinanzierte Losershow“), brachte am Mittwoch die große Enthüllungsstory: Der Mittelfinger sei von der Redaktion nachträglich in das Video eingefügt worden. Jauch sei darauf reingefallen. Dazu werden Bilder gezeigt, wie der Finger reinmontiert wird. Außerdem zeigten die Macher das angeblich echte Video ohne Mittelfinger. Es war alles so großartig gemacht, daß es täuschend echt aussah. Viele Zuschauer waren hinterher verwirrt: War das wirklich so? Oder nur Satire?

Böhmermann hielt die Kulisse noch einen Tag lang aufrecht. Er habe das Video wirklich gefälscht. Varoufakis verlangte sogar von Jauch eine Entschuldigung. Und etliche Journalisten, allen voran Kai Diekmann, äußerten sich zu der Sendung, bis wirklich der letzte, der den 34jährigen Böhmermann und seine Sendung noch nicht kannte, bescheid wußte.

Das Video der Sendung wurde zwei Millionen Mal angeklickt. Am Ende der Woche hatte Böhmermann seine Zuschauerzahl fast verdoppelt. Für ihn war dies also ein Meisterstück. Aber immer mehr Bürger werden sich jetzt auch bei stichhaltigen Beweisen im Fernsehen fragen, ob das nicht gefälscht ist. Der Glaubwürdigkeit der deutschen Medien hat das ZDF in der vergangenen Woche einen Bärendienst erwiesen.

Foto: Jan Böhmermann: Der 34jährige Satiriker auf Augenhöhe mit den ganz Großen – Günther Jauch und „Bild“

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