© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

Wenn aus David eine Viktoria wird
Transvestitismus: In dem Drama „Eine neue Freundin“ von François Ozon schlüpft ein Witwer in die Kleider seiner verstorbenen Frau
Claus-M. Wolfschlag

Der französische Regisseur François Ozon setzt sich in seinen Filmen stets mit amourösen bis sexuellen Obsessionen auseinander. Dabei gelingt es ihm bisweilen eindringlich, die inneren Konflikte seiner Protagonisten und deren Spannungen zum gesellschaftlichen Umfeld einzufangen. In den Kriminalfilmen „Ein kriminelles Paar“ (1999) oder „Swimming Pool“ (2003) führen jene Obsessionen gar zum Mord.

Hingegen in dem 2012 erschienenen Film „In ihrem Haus“ scheint sich ein Oberstufenschüler zum Stalker der Familie eines Freundes zu entwickeln. Dabei unterstützt ihn sein zunehmend voyeuristischer Lehrer als Mitwisser. In „Jung & Schön“ (2013) schildert Ozon den Alltag einer nymphomanischen Schülerin, die beschließt, sich als Escort-Callgirl zu prostituieren, und in einen Konflikt mit ihren Eltern gerät, als diese zufällig dahinterkommen.

Nun hat der erstaunlich arbeitsame Ozon schon wieder einen neuen Streifen in die Kinos gebracht. Leider aber ist dieser schwächer als seine Vorgänger geraten. Das liegt vor allem am süßlichen Ende, wie überhaupt an einer zu rasch wohlgefälligen Handlung, die die durchaus angelegten Konfliktpotentiale nicht ausreichend nutzt, jedenfalls kaum zuspitzt. Statt dessen bedient Ozon zu sehr die Attitüden der derzeit modischen Transgender-Szene, ohne deren Hintergründe ausreichend zu hinterfragen.

Die Gesellschaft zeigt sich achselzuckend tolerant

Der Film beginnt mit einer Trauerfeier. Laura, die Kindheitsfreundin der jungen Claire (Anaïs Demoustier), ist an einer heimtückischen Krankheit verstorben, hinterläßt Mann und Säugling. Als Claire eines Tages den völlig abgetauchten Witwer David (Romain Duris) mit einem Besuch überrascht, macht sie eine für sie anfänglich schockierende Entdeckung: David sitzt in den Kleidern seiner verstorbenen Frau im Wohnzimmer. Nach einigen Ausflüchten gibt er zu, daß diese Obsession seiner Frau bekannt gewesen sei, er sie aber während seiner Ehe nicht ausgelebt habe.

Claire ist erst abgestoßen, dann verwirrt, doch nach einigen Tagen akzeptiert sie die Situation. Sie scheint gar bald gefallen an Davids Verwandlung in das Wesen „Viktoria“ zu finden. Der Verlust ihrer engsten Freundin scheint auf diese Weise eine Art von Ersatz zu finden, und sogar homoerotische Phantasien beschleichen sie langsam. So zieht sie schließlich, einem Abenteuertrip gleich, mit „Viktoria“ durch das Einkaufszentrum oder unternimmt einen Wochenendausflug aufs Land. Doch als David, der heterosexuell geblieben ist, mit Claire zu schlafen versucht, schreckt sie zurück, als ihr wieder gewahr wird, daß die neue Freundin „Viktoria“ immer noch ein Mann ist.

Dieses seltsame Spannungsfeld einer jungen Frau, die versteckte homoerotische Obsessionen gegenüber ihrer verstorbenen Freundin zögernd auf deren transvestitischen Mann überträgt, wird von Ozon aber nur unbefriedigend aufgelöst. Zuwenig schält der Film die Tragik in Davids Verhalten heraus, die sich in einer ständigen sexualisierten Anspannung äußert. So erregt es ihn stets von neuem, wenn er sich einen Rock anzieht oder Lippenstift aufträgt.

Das dargestellte Problem kreist zwar um die Frage der Identität, doch der gesellschaftliche Druck, der zu einem Versteckspiel führt und einzig echte Spannung in diese Geschichte trägt, ist nur ein eingebildeter. Denn die Gesellschaft zeigt sich fast achselzuckend tolerant, so daß es der ganzen vorangegangenen Aufregung gar nicht bedurft hätte. Die Schwiegereltern und Claires Ehemann haben, nach anfänglicher Überraschung, offenbar gar keine Einwände. So holt ein David alias „Viktoria“ einige Jahre später mit Schminke und Perücke gemeinsam mit der schwangeren Claire sein Kind von der Grundschule ab. Niemand findet das befremdlich, niemand sagt etwas. Eine intolerante Gesellschaft sieht anders aus. Will uns Ozon also damit sagen, daß Transgender längst so normal ist, daß es „zu Frankreich gehört“, so wie Conchita Wurst zu Österreich? Das könnte jene Spürnasen beruhigen, die fast täglich vor allerlei Diskriminierungen warnen, wäre ansonsten aber recht langweilig und wenig tragend für eine Filmhandlung.

Kinostart: 26. März 2015

www.eineneuefreundin.weltkino.de

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