© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

„Runter vom Sofa, raus ins Getümmel“
Frühsexualisierung: In Stuttgart geht der Streit um den grün-roten Bildungsplan in eine neue Runde
Michael Paulwitz

Der Streit um den „Bildungsplan“ der grün-roten Landesregierung hatte Baden-Württemberg im vergangenen Jahr in Atem gehalten. Zweihunderttausend Bürger unterschrieben eine Online-Petition gegen die Frühsexualisierung von Kindern „unter der Ideologie des Regenbogens“, fünf Protestkundgebungen wurden in der Landeshauptstadt Stuttgart abgehalten. Doch die grün-rote Landtagsmehrheit schmetterte im Herbst die Sorgen der Bürger im Petitionsausschuß eiskalt ab. Mit der sechsten „Demo für alle“ ging die Kontroverse am vergangenen Wochenende in die nächste Runde.

Inzwischen wurde nämlich ein „Aktionsplan“ der Landesregierung „für Akzeptanz und gleiche Rechte“ bekannt, der die Tendenz des Bildungsplans aufnimmt und weit darüber hinausgeht, weil er nicht nur die Schüler, sondern gleich das ganze Land ins Visier nimmt. Für die Koordinatorin des Dachverbandes „Demo für alle“, Hedwig von Beverfoerde, war das „hochideologische Umerziehungsprogramm für alle Bürger“, das als „Vorreiterprojekt für ganz Deutschland“ gedacht sei, ein gefundenes Mobilisierungsthema.

Mindestens 2.400 Demonstranten sowie prominente Redner aus dem In- und Ausland konnte das Aktionsbündnis unter dem Motto „Ehe und Familie vor! Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder“ nach Stuttgart holen, darunter die „Gender-Gaga“-Autorin Birgit Kelle, die Präsidentin der französischen „Manif pour tous“-Bewegung, Ludovine de La Rochère, und Ulrike Walker von der Schweizer „Schutzinitiative“, die Sexualerziehung als Elternrecht über eine Volksinitiative in die Schweizer Verfassung festschreiben will. Die Kundgebung und der anschließende Demonstrationszug vorbei an Landtag und Ministerien wurden von drei robust ausgerüsteten Hundertschaften vor linksextremen Störern geschützt.

Der von zahlreichen Rednern angegriffene „Aktionsplan“, den die Landesregierung mit dem eigens gegründeten Lobby-„ Netzwerk für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Intersexuelle und queere Menschen (LSBTTIQ)“ ausgehandelt hat, hat es in der Tat in sich. Die Journalistin Birgit Kelle bezeichnete den Aktionsplan als ein „staatliches Umerziehungsprogramm für das ganze Land“, das außer der Schule auch Kindergärten und soziale Einrichtungen betreffe. Wer sich der „Vielfalt“- und „Gender“-Ideologie nicht beugt, soll gemaßregelt werden.

Die CDU hält sich noch zurück

Der „Generalangriff auf Familie und Gesellschaft“ (Kelle) umfaßt rund zweihundert Maßnahmen, die mit „grün“ (angenommen), „gelb“ (noch Klärungsbedarf) und „rot“ (vorerst abgelehnt oder nicht in die Zuständigkeit der Landesregierung fallend) gekennzeichnet sind. Das LSBTTIQ-Netzwerk hat dabei darauf bestanden, nach dem Motto: „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“ auch die roten Maßnahmen zum Bestandteil des Gesamt-Aktionsplans zu machen, der noch vor der Sommerpause verabschiedet werden soll. Eine Million Euro stellt das Land in diesem und im nächsten Jahr für die Umsetzung zur Verfügung.

Zu den kurzfristig umsetzbaren „grünen“ Punkten zählen verschiedene Maßnahmen zur Verteilung von Steuergeld an Lobbygruppen und zur Bildung neuer sozialindustrieller Strukturen, etwa durch die Schaffung von kommunalen „Diversity-Beauftragten“, Landespreise, Webportale, Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, Propagandamaterialien und Progamme zur „Sensibilisierung“ und „Fortbildung“ von Lehrern, Eltern, Verwaltung, Sozialeinrichtungen, Museen und Bildungsstätten, aber auch die Einführung eines „dritten Geschlechts“ auf Elterngeld-Anträgen oder die provokative Unterstützung von Veranstaltungen auch an „konservativen Plätzen“.

Auf „gelb“ steht die Verankerung von „LSBTTIQ-Themen“ im derzeit in Überarbeitung befindlichen Bildungsplan, LSBTTIQ-Quoten in öffentlichen Gremien, Berücksichtigung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und Gelder und Infragestellung des Tendenzschutzes von Kirchen sowie Umerziehungsmaßnahmen für Justiz, Polizei und Gesundheitswesen. Vorerst auf „rot“ stehen noch Forderungen wie Legalisierung von Leihmutterschaft, Asylrecht „für geflüchtete LSBTTIQ-Menschen“, Rundfunkquoten und gezielte Einstellung, „Sensibilisierung“ von Medien und „Sanktionen für transphobe und homophobe Medieninhalte“, ein LSBTTIQ-Lehrstuhl und die Nichtvergabe von Aufträgen an Kirchen oder Hochschulen, die aus Sicht der Lobbyisten „diskriminieren“.

Kritikerin Kelle bezeichnete es im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT als wichtigen Erfolg der fortgesetzten „Demo für alle“-Kundgebungen, daß eine Debatte über die Machenschaften der Gender-Ideologen überhaupt angestoßen worden sei. Die einschlägigen Lobbygruppen seien mit ihrem Treiben ja nur soweit gekommen, weil die meisten Bürger davon nichts mitbekommen hätten. Die politische Opposition, namentlich die CDU, forderte Kelle in ihrer Rede auf, „runter vom Sofa und raus ins Getümmel“ zu kommen, um politischen Widerstand zu leisten.

Tatsächlich könnte der Gender-ideologische Aktionsplan bei der bevorstehenden Landtagswahl im kommenden Jahr zum Thema werden, bei dem die CDU von AfD und „Demo für alle“ getrieben wird. Medienberichten zufolge wurde das Papier der AfD zugespielt und von dieser an die Öffentlichkeit durchgestochen. Auf der Kundgebung ließ AfD-Landeschef und Europaabgeordneter Bernd Kölmel ein Grußwort verlesen, in dem er sich hinter die Anliegen der „Demo für alle“-Bewegung stellte.

Aus der Landtags-CDU hat der bildungspolitische Sprecher Skepsis gegen den „Aktionsplan“ angemeldet, der Landesverband und ihr Vorsitzender Thomas Strobel halten sich noch bedeckt. An der Basis ist man weniger zurückhaltend: Der Landeschef der „Christdemokraten für das Leben“, Joseph Dichgans, sprach als Mitveranstalter zu den Kundgebungsteilnehmern, unter denen sich neben Mitgliedern der AfD und der „Jungen Alternative“ auch Vertreter von Junger Union und Schüler Union befanden. Noch im Frühjahr bringt eine weitere Eltern-Demo die nächste Chance, um Farbe zu bekennen.

www.demofueralle.wordpress.com

Foto: Walker, Fiechtner (AfD), Kelle und von Beverfoerde: Petition wurde im Landtag abgeschmettert aber kein Grund zur Sorge: „Ich werde mich nicht ändern.“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen