© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/15 / 20. März 2015

Knapp daneben
Grenzen spielen keine Rolle mehr
Karl Heinzen

Seit 135 Jahren unterhalten Deutschland und Rumänien diplomatische Beziehungen. Dieses Jubiläum ist zwar nicht wirklich rund, aber doch, so meinte jedenfalls die Regierung in Bukarest, respektabel genug, um es zelebrieren zu dürfen. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz überreichte daher Außenminister Bogdan Aurescu seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier feierlich eine Broschüre, die sich an einer historischen Würdigung der Partnerschaft versucht. Ihr Titelbild, das die beiden Staatsmänner überglücklich in die Kameras hielten, wies aber ein kleines Manko auf. Eigentlich sollten die Karten beider Länder in den jeweiligen Nationalfarben gezeigt werden. Das deutsche Schwarz-Rot-Gold war jedoch leider in den Umrissen Frankreichs und nicht der Bundesrepublik zu sehen.

Auf der Suche nach einem Verantwortlichen stieß man in Bukarest auf Brânduşa Predescu. Die bisherige Sprecherin von Aurescu darf sich nun eine neue Stelle suchen.

Staaten wachen nicht mehr über ihren territorialen Bestand, sondern verteidigen Grundwerte weltweit.

Diplomatischer Druck wurde wohl nicht ausgeübt. Paris sieht im Ausgreifen der deutschen Farben nach Westen weder eine historische Anspielung noch ein Menetekel. Steinmeier wiederum weiß aus seinem eigenen Hause, wie schnell so ein Fauxpas geschehen kann. Für seinen jüngsten Ausflug nach Kinshasa stellte das Auswärtige Amt der Delegation Anstecknadeln bereit, die nicht die Umrisse der Demokratischen Republik Kongo, sondern des Nachbarlandes Kongo-Brazzaville zeigten.

Die Gelassenheit in Paris und Berlin zeugt aber nicht nur von diplomatischem Fingerspitzengefühl. Sie steht auch für einen Paradigmenwechsel in der Außenpolitik. Die Grenzen sind durchlässig, und die Menschen kommen und gehen. Staaten wachen nicht mehr über ihren territorialen Bestand und eine auf ihm eingepferchte Bevölkerung. Sie verteidigen Grundwerte und schützen Investitionen weltweit!

Nicht nur im Alltag der Bürger ist kartographisches Wissen dank moderner Navigationstechnologie entbehrlich geworden. Auch die Diplomatie kann darauf verzichten, da die Probleme, die sie zu schultern hat, universeller Natur sind.

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