© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/15 / 20. März 2015

Kahlschlag für unseren Gaumen
In Schokoriegeln und Tiefkühlpizzen: Das Ertragswunder Ölpalme zerstört die grünen Lungen der Erde
Christoph Keller

Pflanzliche Öle – unter dieser Allerweltsformel versteckten Hersteller bisher, daß ihre Margarine, ihre Schokoriegel, Fertigsuppen und Tiefkühlpizzen Palmöl enthalten, den „Regenwaldkiller Nr. 1“. Eine neue EU-Verordnung zur Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln vom Dezember vergangenen Jahres beendet diese Irreführung. Wie häufig, blieb die Brüsseler Bürokratie aber auch mit dieser Verordnung in Halbheiten stecken. Im Wortsinne, denn von den im EU-Raum jährlich konsumierten 5,5 Millionen Tonnen Palmöl entfallen nur 54 Prozent auf Lebensmittel, während 46 Prozent für Kosmetik, Reinigungsmittel und Biosprit verbraucht werden, die nach wie vor keiner Kennzeichnungspflicht unterliegen. Hier scheiterten die Eurokraten am Widerstand der mächtigen Palmölindustrie, die sich 50 Milliarden Dollar Jahresumsatz nicht wesentlich schmälern lassen will.

Trotz halbierter Durchschlagskraft stieß die Verordnung bei Umwelt- und Verbraucherschützern auf reservierte Zustimmung. Denn diese üben sich im Kampf um den Regenwald in Bescheidenheit. Darum gehört der World Wide Fund for Nature (WWF) weiterhin dem von ihm mitgegründeten „Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl“ (RSPO) an, obwohl in diesem Verein mit Sitz in Kuala Lumpur global operierende Konzerne wie Unilever, Nestlé und Procter & Gamble dominieren. Gegen 131 Palmölhersteller, 366 Verarbeiter und Hunderte von „Interessenvertretern“, darunter der Pestizidproduzent Paraquat, verteidigen nur 41 Nichtregierungsorganisationen wie WWF und Greenpeace ökologische Belange, wie Verena Friederike Hasel in der Zeit (26. Februar 2015) nachrechnet.

Der Einschätzung des Publizisten Tilman Wörtz (Natur, 2/1015) zufolge scheine es dem WWF auszureichen, wenn die weltgrößten Palmölerzeuger inzwischen Minimalstandards für nachhaltige Produktion garantieren und sie zertifizieren lassen. Wie andere Umweltschützer ist den WWF-Delegierten bewußt, daß RSPO-Siegel bestenfalls ein Anfang sein können, da sie Produkte schmücken dürfen, bei denen lediglich 30 Prozent des Palmöls aus nachhaltigem Anbau stammen.

Umwelt-Zertifikate eine „grauenhafte Vorstellung“

Seit 2013 ist das Ansehen des RSPO zudem weiter im Kurs gesunken. Ökoaktivisten in Indonesien und Malaysia entdeckten, daß seine Mitglieder in geschützten Waldgebieten rodeten und Palmölplantagen anlegten. Satellitenaufnahmen bewiesen Brandrodungen in Arealen, in denen es nach dubiosen Gutachten gar keinen Wald mehr gab. Gleichzeitig dauerten Landkonflikte zwischen Kleinbauern und Palmölkonzernen an. Allein in Indonesien wurden 2013 mehr als 500 Auseinandersetzungen dokumentiert. Kein Wunder, wenn derzeit weltweit über 250 Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsorganisationen die RSPO-Anstrengungen, mit Zertifikat und Siegel Transparenz zu schaffen, als „Greenwashing“ ablehnen.

WWF und Greenpeace wollen den RSPO-Konzernen hingegen eine zweite Chance einräumen und sie, wie Wörtz kritisch anmerkt, wieder „salonfähig“ machen. Das deswegen, weil sie weiterhin über eine konkurrenzlose „Marktdurchdringung“ und über Strukturen verfügen, die durch ein schwer aufzubauendes neues System nicht ersetzbar seien. Darum etabliere der „Runde Tisch“ jetzt unter eigenem Dach die „Palm Oil Innovation Group“, die in Deutschland Rewe und Edeka unterstützen. Deren Ziel ist es, strengere Zusatz- zu Standardkriterien der Zertifizierung zu entwickeln. Für Klaus Schenk, den Palmöl-Experten von „Rettet den Regenwald“, eine „grauenhafte Vorstellung“. Nachhaltigkeitsatteste, von WWF und Greenpeace abgenickt, würden nur eine Nachfrage ankurbeln, die ausschließlich mit monströsen Plantagen zu befriedigen sei. Und auch solche ökologisch bewirtschafteten Monokulturen fressen Regenwald und verdrängen Kleinbauern, die ihr Heil dann in der Brandrodung suchen.

Schenks Kontrahentin Gesche Jürgens, Palmöl-Fachfrau bei Greenpeace, weist dagegen auf die Unersetzlichkeit der ergiebigen Ölpalme hin. Die Nachfrage sei nun einmal vorhanden und steige vor allem in Asien. Bis zu 6.000 Früchte trägt ein Baum, so daß Ölpalmen auf einer Flächeneinheit zehnmal mehr Öl als Sojapflanzen liefern, von der schlechteren Bilanz bei Sonnenblumen-, Raps- und Palmkernöl gar nicht zu reden. Auch der Anbau von genmanipuliertem Soja reduziere den immensen Flächenbedarf dieser alternativen Ressource nicht. Überdies müsse die Fixierung auf das „Ertragswunder“ Ölpalme nicht notwendig die von Schenk befürchtete abermalige Kahlschlagoffensive auslösen, da Unilever & Co. allein in Indonesien auf zehn bis zwanzig Millionen Hektar Brachland expandieren und den Regenwald schonen könnten.

Wie die Zeit-Journalistin Hasel findet, ist das eine reichlich hypothetische Option. Weil es im korrupten Indonesien, wo seit 1990 drei Viertel des artenreichen Regenwaldes auf Sumatra und Borneo vernichtet wurden, keine „sinnvollen Landnutzungspläne“ gebe und sich, entgegen mancher im Wahlkampf genährten Hoffnungen, daran unter dem neugewählten Staatspräsidenten Joko Widodo, einem studierten Forstwirt, so bald nichts ändern werde.

Anteil von Palmöl im Biodiesel nicht steigern

An der Palmölfront sieht es für Retter des grünen CO2-Speichers Regenwald also düster aus, wenn auch viele die EU-Verordnung als Signal des Umdenkens begrüßen. Freilich fällt der durch Siegel fortan ermöglichte europäische Konsumverzicht gegenüber dem gigantischen, ungebremsten Verbrauch der Hauptabnehmer China und Indien wenig ins Gewicht. Darüber hinaus lassen Aussichten auf rücksichtsvollere Anbaumethoden oder die erst rudimentär erkennbare Ersetzung des Palmöls durch gentechnisch veränderte Algen gleichfalls wenig Raum für optimistische Beurteilungen globaler Palmöl-Kalamitäten.

Immerhin spendete, wie Wörtz berichtet, Brüssel jetzt verzweifelten Umweltschützern noch ein weiteres Trostpflaster: Die EU-Kommission will den Anteil pflanzlicher Öle im Biodiesel, darunter 20 Prozent Palmöl, nicht wie ursprünglich geplant weiter steigern. Man habe sich wissenschaftlich davon überzeugen lassen, daß Biosprit keineswegs CO2-neutral sei, sondern eine so „miserable Klimabilanz“ aufweise, „daß selbst fossile Kraftstoffe besser dastehen“.

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