© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/15 / 20. März 2015

Massenmord eines gekränkten Wahlverlierers
Das Giftgasattentat der buddhistischen Aum-Sekte von 1995 in Tokio sollte Zehntausende töten / Nur Glück verhinderte ein Fiasko mit dieser Dimension
Wolfgang Kaufmann

Religiöser Terror ist gegenwärtig meist islamistisch motiviert. Doch es gibt auch Ausnahmen hiervon, wie die wiederholten christenfeindlichen Pogrome radikaler Hindus in Indien sowie der Giftgasanschlag auf die Tokioter U-Bahn vom 20. März 1995 beweisen. Das letztere Attentat erfolgte dabei auf Befehl von Shoko Asahara alias Chizuo Matsumoto, einem nahezu blinden japanischen Esoteriker, der seit 1984 die Sekte Omu Shinrikyo („Om-Lehre der Wahrheit“) anführte und von sich selbst behauptete, er sei die Reinkarnation von Jesus und Buddha sowie dem Hindu-Gott Shiva.

Asahara wurde persönlich vom Dalai Lama unterstützt

Bei diesem Tun genoß Asahara auch die Unterstützung exiltibetischer Würdenträger beziehungsweise des Dalai Lama persönlich, mit dem er sich insgesamt fünfmal traf. Das resultierte daraus, daß die „Lehren“ des Gurus sehr stark von der speziellen Spielart des Buddhismus vom Dach der Welt inspiriert waren. Insonderheit verkündete Asahara unter Bezug auf die apokalyptischen Prophezeiungen bekannter Galionsfiguren des Lamaismus, ein Endzeitkrieg stehe bevor, wobei er den Ausbruch desselben schließlich auf 1997 datierte. Verantwortlich hierfür war wohl Asaharas Enttäuschung über seine herbe Wahlschlappe im Jahre 1990. Damals hatte er für das japanische Parlament kandidiert, aber von allen Bewerbern die wenigsten Stimmen bekommen. Außerdem steigerte sich der Führer der Omu Shinrikyo (die im deutschen Sprachraum eher als Aum-Sekte bekannt ist) sukzessive in die Vorstellung hinein, er müsse vor dem finalen Kampf zwischen Gut und Böse noch möglichst viele Menschen töten, um sie von ihren Sünden zu erlösen und auf höhere spirituelle Ebenen zu heben – ganz so, wie dies auch die Phowa-Doktrin im tibetischen Vajrayana-Buddhismus verlangt.

Also ließ Asahara in einem Kloster am Fuße des Vulkans Fujiyama Versuche mit Massenvernichtungswaffen anstellen, wie dem Ebola-Virus und dem Giftgas Sarin, das 1938 von Spezialisten der I. G. Farben entwickelt worden war. Diesen chemischen Kampfstoff brachte die Omu Shinrikyo dann auch zum Einsatz, wobei der erste Versuch einer Gasattacke auf das Regierungsviertel von Tokio im April 1994 keine Wirkung zeitigte, während das nächste Sarin-Attentat am 27. Juni des gleichen Jahres gelang und acht Einwohner der Stadt Matsumoto das Leben kostete.

Andererseits war aber auch das noch lange nicht der Massenmord, der Asahara vorschwebte. Darum befahl er fünf seiner Getreuen, nämlich Kenichi Hirose, Toru Toyoda, Masato Yokoyama sowie Ikuo und Yasuo Hayashi, größere Mengen Sarin in der Tokioter U-Bahn freizusetzen. Hierzu nutzten die Täter den morgendlichen Berufsverkehr im wie immer überfüllten Bahnhof Kasumigaseki, wo drei Hauptlinien zusammentrafen: kurz vor Abfahrt der jeweiligen Züge stachen sie mit ihren Regenschirmen Löcher in elf Kunststoffbeutel, welche das Nervengift enthielten. Hierdurch verbreiteten sich die Dämpfe in den betreffenden U-Bahnen und 15 weiteren Stationen auf der Strecke. Glücklicherweise war der selbstproduzierte Kampfstoff von relativ schlechter Qualität, dennoch forderte der Anschlag 13 Tote. Darüber hinaus erlitten 6.252 Menschen Gesundheitsschäden, an denen sie teilweise noch heute leiden.

Dalai Lama steht weiterhin zu seinem „Freund“ Asahara

In Reaktion auf das Attentat verhaftete die japanische Polizei zahlreiche der rund 10.000 Sektenmitglieder, von denen dann 189 vor Gericht kamen, wobei der letzte Prozeß gegen einen der Tatbeteiligten erst im Januar dieses Jahres eröffnet wurde und auf die Verhängung der Todesstrafe hinsteuert. Das gleiche Urteil traf auch schon Asahara und zwölf seiner Komplizen. Allerdings fand bislang keine einzige Hinrichtung statt, obwohl der Rechtsweg für diese 13 Delinquenten inzwischen ausgeschöpft ist und die meisten Japaner es nur allzu gerne sehen würden, wenn die Aum-Terroristen endlich am Galgen hängen. Dagegen konnte sich der Dalai Lama zu keiner Verdammung des von ihm protegierten Gurus entschließen. Vielmehr sah er in Asahara nach dem Anschlag immer noch einen „Freund, wenn auch nicht unbedingt einen vollkommenen“.

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