© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/15 / 20. März 2015

Die Denkverbote schwinden
Vorpolitischer Raum: In Frankreich tobt ein ideologischer Kampf der Weltanschauungen
Karlheinz Weissmann

Die Nouvelle Droite ist dabei, den Kampf der Ideen zu gewinnen.“ Der Satz stammt von Nicolas Truong, Redakteur von Le Monde und verantwortlich für den Bereich „Debatten“. Selbstverständlich ging es Truong nicht um eine Feststellung, sondern um eine Warnung, eine Warnung, die der amtierende Ministerpräsident Manuel Valls noch verschärft hat, indem er den Philosophen Michel Onfray öffentlich angriff, der sich durch seine sachliche Haltung gegenüber dem nonkonformen Philosophen Alain de Benoist zum Handlanger des Faschismus mache.

Auslöser dieser Polemik war eine Stellungnahme Onfrays: „Ich bin antiliberal, gegen den Euro und Europa, für die Völker, ich verteidige einen Sozialismus im Sinne Proudhons …“ und: „Ich ziehe eine richtige Analyse Alain de Benoists einer falschen Analyse von Minc, Attali oder BHL vor.“

Onfray, eigentlich ein Mann der libertären Linken, erfolgreicher Autor philosophischer Sachbücher und Außenseiter des akademischen Betriebes, hatte damit nicht nur die Meisterdenker der Republik – Alain Minc, Jacques Attali und Bernard-Henri Lévy, kurz BHL – offen attackiert, sondern auch den antifaschistischen Konsens in Frage gestellt; auf die versuchte Maßregelung durch Valls reagierte er mit einem saloppen: „Kretin“.

Über prinzipielle Alternativen nachdenken

Ob aus dem öffentlichen Aufsehen, das diese Vorgänge in Frankreich hervorriefen, aber tatsächlich geschlossen werden kann, daß die Nouvelle Droite ihr entscheidendes metapolitisches Ziel erreicht hat, steht auf einem anderen Blatt. Benoist dürfte der Einschätzung Truongs jedenfalls nur unter Vorbehalt zustimmen, wenngleich man der neuen Nummer seiner Zeitschrift Eléments (Nr. 154, Januar/März 2015) entnehmen kann, daß auch er das „Einheitsdenken“ vor dem Kollaps sieht. Einen Essay in der aktuellen Ausgabe überschreibt er deshalb mit „Der große Umbruch der Ideen“.

Dabei setzt Benoist voraus, daß die ökonomischen, demographischen und ideologischen Tendenzen alle auf einen Punkt zusteuern: die Infragestellung jenes konsequenten Liberalismus, der sich nach dem Zusammenbruch der Sowjet-union etablieren konnte und nicht nur die Freiheit des Marktes, sondern auch die des Individuums in den Mittelpunkt stellte, unbekümmert um historische wie gesellschaftliche oder religiöse Bindungen. Erst jetzt treffe der Siegeszug der „westlichen“ Werte auf organisierten Widerstand. Deshalb zeichneten sich Konturen eines „Endkampfs“ zwischen „Land“ und „Meer“ ab, ausgetragen zwischen jenen Mächten, die wie Rußland oder China auf dem Prinzip der nationalen Souveränität beharrten, und der amerikanischen Thalassokratie, die bisher ihr Konzept indirekter, fluider Machtausübung so erfolgreich habe durchsetzen können. Vieles spreche dafür, daß die Ära angelsächsischer Vorherrschaft an ihr Ende komme, nicht als Konsequenz eines „Kampfs der Kulturen“ wie Huntington gemeint hatte, sondern als Folge eines viel länger andauernden Konflikts zwischen „Geld“ und „Realität“, dessen aktuelle Verschärfung durchaus in einen neuen „Weltkrieg“ münden könne.

Parallel zum militärischen, ökonomischen und politischen finde ein Weltanschauungskampf statt. Jedenfalls sei zu beobachten, daß die „dominante Ideologie“ – eine Mischung aus Hedonismus, Konsum und sanfter Zensur – ihre Selbstverständlichkeit verliere. Bisher habe es nur eine Art „Samisdat“ geben können, eine Menge kleinerer Zirkel, Verlage und Publikationen, die sich dem Meinungsdiktat verweigerten und auf abenteuerlichen Wegen ihre dissidenten Auffassungen verbreiteten.

Die Wirkung war naturgemäß begrenzt. Erst die Destabilisierung der Gesamtlage eröffne die Möglichkeit, über prinzipielle Alternativen nachzudenken. Die wachsende Unruhe sei mit Händen zu greifen, das Aufbegehren gegen die Korruptheit der „Neuen Klasse“, der Verfall der inneren Sicherheit, der Niedergang des französischen Bildungssystems (die Schule als „Fabrik der Schwachköpfe“) oder die Masseneinwanderung (die dreiviertel der Bevölkerung ablehnen) betrachteten immer weniger Bürger als isolierte Mißstände, immer mehr als Systemfehler. Die „Finanzrechte“ im Bündnis mit der „multikulturellen Linken“ sehe den „Separatismus“ des Volkes mit Unruhe, sei aber ratlos angesichts der Tatsache, daß sie ihm auf dem üblichen Weg – Bestechung oder Indoktrination – nicht begegnen könne.

Ein klarer Hinweis auf die schwindende Wirksamkeit von Denkverboten ist ohne Zweifel der Erfolg des Buches „Le suicide français“ – „Der französische Selbstmord“ von Eric Zemmour; mittlerweile sollen fast eine halbe Million Exemplare verkauft sein. Zemmour, Redakteur des Figaro, algerisch-jüdischer Herkunft, hat eine der schärfsten Abrechnungen mit der „französischen Krankheit“ veröffentlicht und dabei fast jedes geltende Tabu verletzt, von der Bedeutung der „libération“ über die Stellung de Gaulles bis zum Modellcharakter der Assimilierung von Einwanderern.

Fortdauernde Kraft nationaler Mentalitäten

In Eléments findet sich auch ein ausführliches Gespräch zwischen Zemmour und Benoist. Zemmour stimmt ausdrücklich der Auffassung zu, daß ein „ideologischer Krieg“ stattfindet, dessen Ausgangspunkt für ihn der „Mai ’68“ ist. Damals sei es gelungen, eine Menge an Leitideen zu verankern, die sich auf das Erbe der großen Revolution bezog. Trotz der rituellen Beschwörung der Aufklärung sei es mit deren Vernunft allerdings nicht weit her, da man die eigentliche politische Implikation der „Ideen von 1789“ übersehen habe.

Zemmour zitiert Mirabeau mit den Worten, daß schließlich keiner der Verfasser der Erklärung der Menschenrechte daran gedacht habe, die „Rechte der Kaffern oder der Eskimos, genausowenig wie die der Dänen oder Russen“ zu deklarieren. Die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Republik als Sachwalter der Menschheit betrachtet habe, erlaubte es ihr deshalb, die genuin französischen Interessen zu verfolgen, die der eigentliche Kern jeder nationalen Politik sein müßten.

Wie konsequent Zemmour diesem Gedankengang folgt, ist auch daran zu erkennen, daß er zwar mit Benoist die Schaffung eines europäischen „Reiches“ für wünschenswert hält, aber nur dann, wenn es unter französischer Führung stehe, die Möglichkeit deutscher Dominanz erscheint ihm als „Katastrophe“.

Es handelt sich dabei auch um einen Hinweis auf die fortdauernde Kraft jener nationalen Mentalitäten, die in dem Dialog zwischen Zemmour und Benoist eine wichtige Rolle spielen, die man in Deutschland regelmäßig unterschätzt, die aber trotz aller Annäherung und Globalisierung auch heute noch die Vorstellungsweisen der einfachen Leute wie der Eliten in unseren Nachbarländern bestimmen. Der Tatbestand ist auch an den übrigen Beiträgen der neuen Nummer von Eléments ablesbar, ganz gleich ob es um die Auseinandersetzung mit Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ geht oder um die Einschätzung der Entwicklung in der Ukraine, die Bedeutung von Foucault oder die Neubewertung der Figur Jean Jaurès oder die besonderen Bedingungen des Medieneinflusses.

Was auch immer die „vollständige ideologische Rekonstruktion“ bedeutet, von der Zemmour spricht, sie wird daran relativ wenig ändern. Sie wird sich aber so oder so auf die politische Konstellation im kleinen wie im großen auswirken. Das heißt auch, daß es – anders als die tonangebenden Kreise wünschen – nicht nur um die Frage geht, wer welche Partei wählt, ob und wenn ja wie man im Frühjahr 2017 die Machtübernahme des Front National verhindern kann, sondern auch darum, wer in Zukunft mit welchen Begriffen und welchen Vorstellungen die Debatte bestimmt, wer jenen Einfluß im vorpolitischen Raum wahrnimmt, auf dessen Bedeutung Benoist und seine Denkschule seit je hingewiesen haben.

Foto: Alain de Benoist: Vieles spricht nach Ansicht des französischen Philosophen dafür, daß die angelsächsische Vorherrschaft an ihr Ende kommt

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