© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/15 / 20. März 2015

Pankraz,
A. Mölzer und die Rückkehr der Spießer

Das ist wirklich originell, fast sensationell: Im vorletzten Heft der FPÖ-nahen Wiener Wochenzeitschrift Zur Zeit, das sich sehr eindrucksvoll mit dem Thema der Früh- und Übersexualisierung unserer Gesellschaft beschäftigt, liefert ausgerechnet Andreas Mölzer, der Gründer dieser Zeitschrift und einer ihrer fleißigsten Mitarbeiter, einen ebenso donnernden wie elegant formulierten Gegenklang und Einspruch. „Die neue Prüderie“ heißt sein Beitrag, und er zeigt, daß wir heute eher vor einer Asexualisiereung statt vor einer Übersexualisierung stehen.

Bei vielen jungen Leuten, so Mölzer, gilt Triebbefriedigung bereits als „uncool“, oder sie tun wenigstens so, als fänden sie sie uncool. Denn das von der Natur vorgegebene Balzverhalten des Homo sapiens werde in immer weiteren Kreisen (und von der Lehrerin sowieso) nur noch als lasterhaftes Macho-Gehabe hingestellt. „Schlüpfrige Witze zu erzählen, einer Arbeitskollegin einen Klaps auf den Po zu geben oder anzügliche Komplimente zu machen, sind in dieser Gesellschaft der neuen Prüderie bereits im strafrechtlichen Bereich angesiedelt.“

Mölzer nennt die von ihm annoncierte neue Prüderie auch „die Rückkehr der Spießer“. Medien und Werbewirtschaft hätten sich dem Trend bereits voll angepaßt. Die Titelblätter der Illustrierten zeigten nur noch keusch verhüllte Weiblichkeit. „Die politischen Dominas, wie sie in den Links- und Grünparteien das Sagen haben, von Sahra Wagenknecht bis Eva Glawischnig, strahlen allenfalls noch die Erotik einer Rosa Luxemburg aus.“ Und nach der anderen, nach der Männerseite hin sei der Typus des Frauenhelden, des Schwerenöters und „Womanizers“ total außer Kurs gesetzt worden und aus der Literatur verschwunden.

Resümee Andreas Mölzer: „Wir leben heute wieder in einem verklemmten und verschwitzten Zeitalter, in dem Sexualität tabuisiert und verdrängt wird. Die dogmatische Herausstellung der Homosexualität ändert daran gar nichts, und Saturnalien, wie sie etwa der Wiener Life Ball darstellt, sind nur noch groteske Ausnahmesituationen in diesem Klima der neuen Asexualität (…) In einer gegenderten Gesellschaft, in der es keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen mehr geben soll, hat Sexualität als Triebfeder der Evolution eben nichts mehr zu suchen. Schöne neue Welt.“

Pankraz ist an sich mit Mölzers Ausbruch einverstanden, sieht aber – im Gegensatz zu ihm und anderen Analytikern – keinen Anlaß zur Panik. Daß man bei den Frauen nichts mehr von Schwerenötern und Womanizern wissen will, hält er eher für einen Fortschritt. Mit den weiblichen Super-Feministinnen und Gender-Gagarinen (JF 12/15) ist es leider noch nicht so weit, aber auch sie sind ein Muster auf Abruf. Ihr Treiben und ihre Behauptungen liegen mittlerweile derart weit außerhalb jeglichen gesunden Menschenverstandes, daß auch sie über kurz oder lang in der Versenkung verschwinden werden.

Leider muß man einräumen: Es könnte freilich sein, daß sich bis dahin – mangels Familiengründung und Kindersegen – westliche Männlein und Weiblein schon selber ausgerottet haben. Neue Völkerschaften würden dann den Laden übernehmen, die über das Verhältnis der Geschlechter, ihre Privilegierung oder Unterprivilegierung spontan besser Bescheid wissen als noch die gelehrteste Feministin und die erklärtermaßen auch schon geduldig darauf warten, daß sie in absehbarer Zeit die demographische Mehrheit und damit auch die volle Macht im Lande erringen werden.

An eine „Rückkehr der Spießer“ wäre dann gewiß nicht zu denken – und das wäre zweifellos ein schwerer Nachteil für das Funktionieren eines intakten und aushaltbaren Gemeinwesens. Denn ohne Spießer, ohne Spießbürger ist ein solches Gemeinwesen gar nicht vorstellbar. Es wird Zeit, daß der Begriff des Spießers endlich von jenem verächtlichen Odeur befreit wird, mit dem ihn einst halbintellektuelle Kräfte besonders in Universitätsstädten überzogen haben. Nur so kann man sich auch über das Ausmaß der Verklemmung und sexuellen Verschwitzheit verständigen, das Mölzer in seinem Prüderie-Aufsatz so beklagt.

Ursprünglich, noch in der frühen Neuzeit, waren die Spießer, die Spießbürger, nichts weiter als wehrpflichtige Stadtbürger niederen sozialen Ranges, die aber Stadtrecht genossen und im Kriegsfall mit Spießen ausgerüstet wurden, um die Mauern der Stadt zu verteidigen. Man unterschied zwischen Spießbürgern und „Pfahlbürgern“ draußen vor den Mauern, die kein dauerndes Bleiberecht besaßen, doch bei kriegerischen Auseinandersetzungen auch nicht eingezogen wurden, Auch privilegierte Innenbürger, Stadträte, Zunftvorstände, reiche Kaufleute und Universitätsprofessoren wurden nicht eingezogen.

Studenten galten als Pfahlbürger, obwohl sie in der Regel von Adligen oder reichen Bürgern abstammten, sie gehörten nicht dazu, redeten jedoch vielerorts keck mit und verachteten die Spießer, die „Philister“ , die zwar dazugehörten, doch nichts zu sagen hatten und offenbar auch nichts zu sagen wußten. Noch der junge Heinrich Heine äußerte sich, als er 1826 in Göttingen studierte, folgendermaßen: „Im Allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingetheilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh. Die Zahl der Göttinger Philister muß sehr groß seyn, wie Sand, oder, besser gesagt, wie Koth am Meer.“

Natürlich führten die Philister, die Spießer, mag sein gezwungenermaßen, zu Heines Zeiten auch ein „elendes Liebesleben“, kinderreich und abenteuerarm. Aber wer würde es heutzutage noch riskieren, ein solches Leben öffentlich lächerlich zu machen? „Von ‘ehelichem Beischlaf’ kann man ja heute kaum noch sprechen“, schreibt Mölzer in seinem Aufsatz voller Sarkasmus, „da hierzulande ohnedies nur noch Schwule und katholische Priester heiraten wollen“.

Vor derlei Konstellationen verhüllen wohl nicht nur Alt-Spießer kopfschüttelnd ihr Haupt, sondern auch Alt-68er respektive heutige Neu-Spießer. Und das ist gut so.

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